Nach Auffassung von Künßberg war der Gebrauch der Folter den Germanen zunächst unbekannt. Fest steht jedoch, dass die Germanenreiche, die auf römischem Boden gegründet wurden, nach dem Vorbild des römischen Rechts die Folter in ihre Gesetzgebung aufgenommen hat[1]. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass sich die Folter bei den Germanen eigenständig entwickelt haben kann, und dass später bei den Aufzeichnungen der germanischen Stammesrechte der entsprechende Terminus des römischen Rechts einfach übernommen wurde. Diese These gilt seit der grundlegenden Abhandlung von Winfried Trusen über „Strafprozeß und Rezeption“ aus dem Jahre 1984 als widerlegt[3].
Die Folter durfte nach römischem Recht ursprünglich nur gegen Unfreie angewendet werden, was ihre Rechtfertigung in der umfassenden Macht des „pater familias“ fand[5]. Uneingeschränkt galt dies jedoch nur für die Zeit der Republik. Im Prinzipat und in der Kaiserzeit wurde die Praxis zum Teil auch auf Freie ausgedehnt. Dies spiegelt sich im Codextitel „De quaestionibus“ (C.9.41), der in mehreren Stellen die Zulässigkeit der Folter auch gegen Freie dokumentiert[6].
Mit Ausnahme des westgotischen Rechts büßte die Folter in den germanischen „Nachfolge-Staaten“ erheblich an Bedeutung ein. Der Grund hierfür war das Prinzip der Verbrechensverfolgung des „germanischen Rechtsdenkens“. Ein gerichtliches Verfahren wurde nämlich nur dann eingeleitet, wenn der Verletzte Anklage erhob. Die Folter war „ein Produkt einer ganz anderen staatlichen Organisation, die in der Verbrechensverfolgung eine Staatsaufgabe und keine Angelegenheit einer Prozesspartei sah[7].
Der Inquisitionsprozess
Durch den Inquisitionsprozess im 13. Jahrhundert erlangte die Folter ihre alte Bedeutung zurück. Sie wurde nunmehr auch in „normalen“ Verfahren zur Erlangung eines Geständnisses eingesetzt[8]. Der Grund hierfür war die Vorstellung, dass jeder Verbrecher vom Teufel besessen sei und dies nur durch die Folter gebrochen werden könne[9]. Ferner reichten in der gerichtlichen Beweisführung für eine Verurteilung weder Indizien noch eine sonstwie geartete freie Überzeugung des Gerichts aus. Vielmehr war ein Geständnis oder die Aussage zweier Zeugen erforderlich, die den Täter bei der Tat selbst gesehen haben müssen[10]. Da Tatzeugen nur selten zur Verfügung stehen, entwickelte sich das Geständnis zu dem entscheidenden Beweismittel: confessio est regina probationum (=das Geständnis ist die Königin der Beweismittel)[11]. In dieser Form ist die Folter erstmalig im Stadtrecht von Wiener Neustadt bezeugt[12].
Hexenprozesse
Bereits im 13. Jahrhundert stand die Zauberei in der „Treuga Heinrici“ unter Strafe. Aber auch bekannte Rechtsbücher wie beispielsweise der Sachsen- und Schwabenspiegel oder die Carolina enthielten Bestimmungen, die das „crimen magiae“ mit schwerer Strafe bedrohten. Durch den Einfluss der Kirche seit dem Ende des 15. Jahrhunderts entwickelte sich die Zauberei zusätzlich zu einem schweren Religionsdelikt. Papst Innozenz VIII. (1484-1492) ordnete mit der sogenannten Hexenbulle „Summis desiderantes affectibus“ vom 5. 12. 1484 die strafrechtliche Verfolgung hexenverdächtiger Personen an. Mit seinem Einverständnis verfassten daraufhin die beiden Dominikanermönche Heinrich Institoris und Jakob Sprenger den berüchtigten „malleus maleficiarum“, den sogenannten Hexenhammer[13], der den Inquisitionsprozess verschärfte. Der Hexenprozess entwickelte sich zu einem Ausnahmeverfahren, der in anderer Weise als bei anderen Verbrechen geführt werden dürfe[14]. Somit war die strafrechtliche Verfolgung in Art und Maß „aufs willkürlichste gesteigert“[15].
Bekir Altas – Duisburg, 13.08.2007
Teil 1: Der Kampf gegen die Folter
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[1] Schröder/Künßberg: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, S. 399
[2] Lieberwirth, in: Thomasius, Christian: Über die Folter, Untersuchungen zur Geschichte der Folter, S.43; Amira: Grundriss des Germanischen Rechts, S. 277; Schmidt: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 92f.
[3] Trusen,: Strafprozeß und Rezeption. Zu den Entwicklungen im Spätmittelalter und den Grundlagen der Carolina, S. 33-69
[4] Pfenninger: Die Wahrheitspflicht des Beschuldigten im Strafverfahren, S. 357; Moos: Das Geständnis im Strafverfahren und in der Strafzumessung, Diss. Göttingen 1983, S. 14
[5] Höra, Knut: Wahrheitspflicht und Schweigebefugnis des Beschuldigten: eine Analyse der Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafprozess, S. 41
[6] C.19.41.8.pr, 9.41.11, 9.41.16, 9.41.17; siehe hierzu Falk: Zur Folter im deutschen Strafprozess. Das Regelungsmodell von Benedict Carpzov (1595-1666), Rn. 21, http://www.rewi-hu-berlin.de/FHI/Zitat/0106falk-folter.htm
[7] Lieberwirth, in: Erler /Kaufmann: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, I. band, S. 1150
[8] Wessels: Schweigen und Leugnen im Strafverfahren, JuS 1966, S. 170
[9] Rüping: Zur Mitwirkungspflicht des Beschuldigten und Angeklagten, JR 1974, S. 136
[10] Liepmann: Die Psychologie der Vernehmung des Angeklagten im deutschen Strafprozeß, ZStW 1924, S. 656
[11] Liepmann: Die Psychologie der Vernehmung des Angeklagten im deutschen Strafprozeß, ZStW 1924, S. 656
[12] Schmidt: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Auflage, S. 91
[13] Sellert: Friedrich Spee von Langenfeld – ein Streiter wider Hexenprozess und Folter, NJW 1986, S. 1223; Lorenz/Midelfort,: Hexen und Hexenprozesse. Ein historischer Überblick, historicum.net, URL: http://www.historicum.net/no_cache/ persistent/artikel/3353/, zuletzt besucht am 18.05.2007
[14] Sellert,: Friedrich Spee von Langenfeld – ein Streiter wider Hexenprozess und Folter, NJW 1986, S. 1225
[15] Schmidt: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 210