Entgegen einer verbreiteten Ansicht ist in der Bundesrepublik Deutschland eine mehrfache Staatsbürgerschaft nicht unzulässig. Bis zum In-Kraft-Treten des StAngRG am 1. Januar 2000 galt nach § 25 Abs. 1 aF, dass derjenige die deutsche Staatsbürgerschaft durch die Annahme einer fremden Staatsbürgerschaft nicht verliert, der im Inland seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt hat (Staatsangehörigkeitsrecht, Heilbronner/Renner, München 2005, 4. Auflage, § 25 StAG Rn. 25). Demnach konnten Ausländer, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatten, die alte Staatsangehörigkeit wieder erlangen, wenn Sie nach wie vor in Deutschland ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt hatten (sog. Inlandsklausel). Vor allem diese Vorschrift manifestierte in der Vergangenheit den Grundsatz, dass doppelte Staatsbürgerschaften grundsätzlich und unter bestimmten Voraussetzungen möglich waren.
Von dieser Regelung wurde insbesondere von türkischstämmigen Ausländern oft Gebrauch gemacht, so dass die Bundesregierung die Inlandsklausel mit Wirkung zum 1. Januar 2000ersatzlos strich. Mit der Konsequenz, dass seit diesem Zeitpunkt eingebürgerte ehemalige Ausländer die deutsche Staatsbürgerschaft kraft Gesetzes, d.h. ohne dass es eines Verwaltungsaktes oder einer sonstigen Handlung bedarf, verlieren, sobald der Eingebürgerte durch seinen Antrag hin die Staatsbürgerschaft seines alten Landes oder eines anderen Landes annimmt. Der Betroffene wird zwar aufgrund der Vermutungswirkung seiner noch gültigen Papiere wie ein Deutscher behandelt. Dieser Zustand kann jedoch enden, sobald die Behörden Kenntnis von der doppelten Staatsangehörigkeit erlangen. Deutsche Behörden können auf verschiedene Weise von einer Wiedereinbürgerung erfahren, z.B. bei Ausstellung neuer Ausweispapiere, Anmeldung einer Eheschließung, Antrag auf Familienzusammenführung oder Einbürgerung des Ehepartners. Auch dürften deutsche und insbesondere türkische Behörden aufgrund des anvisierten Beitritts der Türkei zur Europäischen Union mittlerweile besser kooperieren. Inzwischen verzichtet die Türkei offenbar darauf, bei Auszügen aus den Personenstandsregistern die Tatsache einer Wiedereinbürgerung zu verschleiern (Bundeszentrale für politische Bildung, Migration und Bevölkerung, Ausgabe 2 März 2005, Seite 2).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass diejenigen, die nach dem 1. Januar 2000 Ihre Einbürgerungsanträge gestellt haben, zum Zeitpunkt der Wiedererlangung ihrer alten Staatsangehörigkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch (kraft Gesetzes) verloren haben.
II.
Die genaue Anzahl der betroffenen Personen ist aktuell nicht ermittelbar (BT-Drucksache 15/4880). Schätzungsweise sind jedoch 50.000 türkischstämmige Bürger vom Wegfall der Inlandsklausel unmittelbar betroffen (Dr. Lale Akgün, Hintergrundinformation: Chance zur Wiedereinbürgerung; http://www.lale-akguen.de/), so die türkische Regierung. Allein die große Anzahl der Betroffenen führte in jüngster Vergangenheit dazu, dass zahlreiche Artikel in Printmedien veröffentlicht wurden, die allerdings mehr zur Verwirrung beitrugen als den Betroffenen zu helfen. Sogar Äußerungen von Politikern geben meist nur Halbwahrheiten wieder, die meist unvollständig sind oder mögliche Probleme herunterspielen oder gar ganz verschweigen. So z.B. Dr. Lale Akgün, die auf ihrer Homepage einige Hintergrundinformation zum Thema bereitstellt, darin jedoch in einer unverantwortlichen Art und Weise über die Konsequenzen ihrer Lösungsvorschläge schweigt. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass Betroffene nach § 38 AufenthG ein Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis haben, wenn sie fünf Jahre lang als Deutsche ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben oder ein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis, die nur noch befristet erteilt wird, aber grundsätzlich verlängerbar ist, wenn man mindestens ein Jahr seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.
Was auf den ersten Blick stimmt und wie eine Regelung erscheint, die durchdacht und angemessen ist, kommen doch bei einer näheren Betrachtung erhebliche Zweifel auf, die für die Betroffenen meist nicht hinnehmbar sein werden.
1. Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass ein Bürger der vor seiner Einbürgerung im Besitze einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder gar im Besitze einer Aufenthaltsberechtigung war, durch die unverantwortliche Wiedereinbürgerungspraxis der Konsulate und der mangelnden Informationspolitik der deutschen Regierung, die türkische Staatsangehörigkeit wieder erlangt hat, de facto zurückgestuft wird und nur noch die befristete Aufenthaltserlaubnis erlangen kann. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die meisten Betroffenen, wenn sie Kenntnis über die Rechtslage gehabt hätten, die Wiedereinbürgerung nicht beantragt oder zumindest von der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband Abstand genommen hätten. Nicht zu vergessen ist, dass die Bundesrepublik Deutschland von der Einbürgerungspraxis der ausländischen Konsulate informiert war und dennoch nichts unternahm, um über die Auswirkungen der Wiedererlangung einer anderen Staatsbürgerschaft zu informieren. Erst jetzt sieht man halbherzige Bemühungen, die Bevölkerung mit mehrsprachigen Broschüren aufzuklären.
2. Die mögliche Niederlassungserlaubnis, was der alten Aufenthaltsberechtigung gleich kommt, ist in diesem Zusammenhang Makulatur, da diese eine fünfjährige deutsche Staatsbürgerschaft voraussetzt. Der Wegfall der Inlandsklausel trat am 1. Januar 2000 in Kraft und das Zuwanderungsgesetz am 1. Januar 2005. Da niemandem am 1. Januar 2000 die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen wurde und niemand zugleich am 1. Januar 2005 die türkische wiedererlangt hat, erfüllt keiner der Betroffenen die Voraussetzung, fünf Jahre als Deutscher den gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland zu haben. Demnach dürfte der Anwendungsbereich des § 38 AufenthG bezüglich der Niederlassungserlaubnis, äußerst gering sein.
3. Zu den Voraussetzungen für einen Anspruch auf die befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 38 AufenthG (s.o.) müssen, und das wird meist verschwiegen, zusätzlich die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG vorliegen. Nach dieser Vorschrift muss unter anderem der allgemeine Lebensunterhalt gesichert sein. Der Regelerteilungsgrund der Lebensunterhaltsicherung dient dazu, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu vermeiden (Bundesministerium des Innern, Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes, Vorläufige Anwendungshinweise, 5.1.1.2). Eine Sicherung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel ist gegeben, wenn der Lebensunterhalt entweder aus eigenen Mitteln des Ausländers oder aus Mitteln Dritter, die keine öffentlichen Mittel sind, bestritten wird und dies nicht nur vorübergehend. Eine Sicherungsmöglichkeit besteht auch im Rahmen einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG oder durch Unterhaltsleistungen von Familienangehörigen oder Dritter (Bundesministerium des Innern, Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes, Vorläufige Anwendungshinweise, 2.3 ff.). Festzuhalten ist demnach, dass ein Ausländer nach § 38 AufenthG keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis hat, wenn er die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund einer Wiedereinbürgerung verloren hat und mittlerweile arbeitslos geworden ist und Arbeitslosengeld II bezieht. Bei der bis 31. Dezember 2004 geltenden Regelung hätte er noch Anspruch auf Arbeitslosengeld gehabt und somit einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis. Die im Rahmen der Hartz IV Reform erfolgten Veränderungen können somit im Einzelfall Folgen bis hin zur Abschiebung haben. Auch wird der Assoziationsratsbeschluss 1/80 den Betroffenen nicht weiterhelfen, da diese auf Selbständige und Nichterwerbstätige keine Anwendung findet (BT-Drucksache 15/4880).
III.
1. Ein weiteres Problem könnte unter Umständen in Bezug auf das Kindergeld entstehen. Nach aktueller Rechtslage haben Anspruch auf Kindergeld nur diejenigen Ausländer, die eine Niederlassungserlaubnis oder Aufenthaltserlaubnis besitzen, § 1 Abs. 3 BKGG. Da Ausländer, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit ab dem Zeitpunkt verloren haben, zu dem sie ihre alte Staatsbürgerschaft wieder erlangt haben, auch keine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis haben, kann das ihnen gezahlte Kindergeld rückwirkend zurückverlangt werden. So hat das Finanzgericht Münster einen Betroffenen in einem vergleichbaren Fall zur Rückzahlung des zu Unrecht erhaltenen Kindergelds verurteilt (Finanzgericht Münster, Az: 14 K 1288/01 Kg). Hoffnung gibt allerdings eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die bisherige Differenzierung der Anspruchsberechtigten nach deren aufenthaltsrechtlichem Status in der bisherigen Art und Weise für verfassungswidrig erklärt. Demnach darf für einen Anspruch auf das Kindergeld nicht Maßstab sein, ob der Betroffene eine Aufenthaltserlaubnis hat oder nicht. Wie allerdings die Bundesregierung die gesetzte Frist bis zum 1. Januar 2006 nutzen wird um eine Neuregelung zu verabschieden, bleibt abzuwarten.
2. Auch die bereits erfolgte Familienzusammenführung von ehemaligen Deutschen, kann unter Umständen zum Problem werden. Wer zum Zeitpunkt der Familienzusammenführung wegen der Wiedereinbürgerung die deutsche Staatsbürgerschaft verloren hatte, hätte rechtlich gesehen überhaupt kein Anspruch auf Familienzusammenführung gehabt. Insofern war die Einreise rechtswidrig und auch sonstige erteilte Aufenthaltstitel, so dass auch hier die Ausweisung des Ehepartners droht.
3. Weitere zahlreiche Fälle könnten hier noch angeführt werden, deren einzelne Ausführung jedoch hier den Rahmen sprengen würde, wie z.B. das ausgeübte Wahlrecht oder der abgeleistete Militärdienst.
IV.
Aufgrund dieser zu erwartenden möglichen Probleme stellt sich unter den Betroffenen zu Recht die Frage, wie man sich verhalten soll. Dr. Lale Akgün, die Bundestagsabgeordnete der SPD, rät dazu, sich bei den Behörden zu stellen, um anschließend vom Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis Gebrauch zu machen. Ob diese Vorgehensweise die Beste ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit beantworten. Fakt ist, dass sowohl die türkische als auch die deutsche Regierung noch keine Lösung für die Problematik gefunden haben, die Bemühungen allerdings fortdauern. Fest steht allerdings auch, dass es aktuell kein Grund zur Eile gibt. Laut § 38 Abs. 1 AufenthG haben ehemalige Deutsche eine Frist von sechs Monaten, nach Kenntnis vom Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft, den Antrag auf Aufenthaltserlaubnis zu stellen. Die Frist beginnt mit der Erlangung der Kenntnis von dem rechtlichen Sachverhalt des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit durch den Antragsteller, nicht aber bereits mit der Erlangung der Kenntnis von den Gründen, die zu diesem Verlust führen. Zudem setzt erst die hinreichend sichere Kenntnis von dem Verlust der Staatsangehörigkeit die Frist in Gang. Erforderlich ist in der Regel die Kenntnisnahme einer verbindlichen Äußerung einer zuständigen Behörde, etwa einer Staatsangehörigkeitsbehörde (Bundesministerium des Innern, Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes, Vorläufige Anwendungshinweise, 38.1.10).
Die Entlassung aus der alten Staatsbürgerschaft zu beantragen, ist ebenfalls keine Lösung für mögliche Probleme, da unabhängig von einer anderen Staatsbürgerschaft die deutsche bereits gesetzlich weggefallen ist (s.o.). Dies würde allenfalls dazu führen, dass der Betroffene staatenlos wird.
V.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass „ehemalige“ Deutsche, einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis haben, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist. Zurzeit besteht keine notwendiger Handlungsbedarf, da abzuwarten bleibt, ob und welche Lösungen zu dieser Problematik noch ausgearbeitet werden. Abzuwarten ist letztlich auch die Durchführung des neuen Zuwanderungsgesetzes und der damit verbundenen übrigen Probleme.