Jürgen Todenhöfer – These 10 von 10: Das Gebot der Stunde heißt Staatskunst, nicht Kriegskunst – im Irankonflikt, im Irakkonflikt und im Palästinakonflikt.
19. April 2008 | Von E. S. | Kategorie: Feuilleton | 2 Kommentare |Heute die letzte von 10 Thesen: „Das Gebot der Stunde heißt Staatskunst, nicht Kriegskunst – im Irankonflikt, im Irakkonflikt und im Palästinakonflikt.“ mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Todenhöfer auf JurBlog.de.
„Wer als Staatsmann dem Frieden dienen will, muss mit dem Staatsmann auf der Gegenseite reden“ (Helmut Schmidt)
Die jahrelange, fast kindliche Weigerung des amerikanischen Präsidenten, mit missliebigen Politikern wie Arafat, Assad, Saddam oder Ahmadinedschad persönlich zu sprechen, und die Entscheidung, stattdessen Strategien zu entwickeln, wie man diese – nach Rücksprache mit Gott – aus dem Amt bomben könnte, zählen zu den absurdesten Fehlentscheidungen unserer Zeit. „Wer als Staatsmann dem Frieden dienen will, muss mit dem Staatsmann auf der Gegenseite reden“ (Helmut Schmidt). Auch der Ost-West-Konflikt der Nachkriegsjahre konnte nur gelöst werden, weil sich Ronald Reagan nie zu schade war, die Herrscher des damaligen „Reichs des Bösen“ persönlich zu treffen.
Es stimmt einfach nicht, dass es im Irankonflikt außer der Strategie immer härterer Sanktionen nur noch die „katastrophale Alternative“ „iranische Bombe oder Bombardierung Irans“ gibt (Nicolas Sarkozy). Die entscheidende Alternative zur Ausgrenzung und Dämonisierung großer Kulturnationen wie des Iran ist ihre Wiedereingliederung in den Kreis gleichberechtigter Nationen – mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten.
Die Mehrheit der Iraner ist prowestlich eingestellt. Sie wartet und hofft auf den Westen. Aber nicht auf seine Bomben
Der Iran ist für den Westen vor allem deshalb ein Problem, weil er ihn zur Strafe für die Vertreibung des prowestlichen Schahregimes geächtet und ausgegrenzt und dadurch jeden Einfluss auf seine Politik verloren hat. Diese Entwicklung ist nicht unumkehrbar. „Wenn du einen Feind nicht besiegen kannst, umarme ihn“, sagt ein weises Sprichwort. Die Mehrheit der Iraner ist prowestlich eingestellt. Sie wartet und hofft auf den Westen. Aber nicht auf seine Bomben, die wieder vor allem Unschuldige töten würden. Und auch nicht auf die Invasion seiner Soldaten, sondern auf die „Invasion“ seiner Geschäftsleute und Touristen. Leidenschaftlich plädiert selbst die iranische Regimekritikerin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi gegen militärische Aktionen der USA, weil diese „nahezu alle Anstrengungen gefährden (würden), die demokratisch gesinnte Iraner in den letzten Jahren unternommen haben“.
Die komplexen Probleme des Mittleren Ostens lassen sich nur politisch lösen – am besten durch eine KSZE-ähnliche Langfrist-Konferenz für die gesamte Region. An ihr müssen neben dem UN-Sicherheitsrat alle wichtigen Akteure der Region beteiligt werden – einschließlich Syriens und des Iran sowie einschließlich der demokratisch gewählten Repräsentanten Palästinas und der Führung des legitimen irakischen Widerstands. Eine Lösung des Irakkonflikts wird es ohnehin nur geben, wenn die USA wie im Vietnamkrieg mit den Führern des Widerstands verhandeln – natürlich ohne die Terroristen von Al-Qaida. Die Führer des nationalistischen, baathistischen und gemäßigt islamischen Widerstands sind fast alle zu diesen Verhandlungen bereit.
Wer hätte vor sechzig Jahren ein Vereintes Europa für möglich gehalten? Politik braucht Visionen, auch im Nahen und Mittleren Osten.
Die Alternative zu verantwortungslosen Kriegen und genauso verantwortungslosem Nichtstun besteht wie im Ost-West-Konflikt der 70er und 80er Jahre in umfassenden harten, aber fairen Verhandlungen. Diese Politik wird wie der KSZE-Prozess nur Sieger kennen. Der brachte Osteuropa nach über anderthalb Jahrzehnten schwieriger Verhandlungen Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und wachsenden Wohlstand. Gesamteuropa schenkte er stabilen Frieden und Abrüstung. „Aus Todfeinden wurden Freunde – ohne dass ein einziger Schuss fiel“ (Hans-Dietrich Genscher). Genau das muss das Ziel einer solchen „Middle-East-KSZE“ sein. Vielleicht entsteht auch im Nahen und Mittleren Osten eines Tages ein gemeinsamer Wirtschaftsraum oder sogar noch mehr. Wer hätte vor sechzig Jahren ein Vereintes Europa für möglich gehalten? Politik braucht Visionen, auch im Nahen und Mittleren Osten.
Wie man diese Politik angesichts der gigantischen militärischen Überlegenheit der USA mit der feigen „Beschwichtigungspolitik“ vor dem Zweiten Weltkrieg vergleichen kann, bleibt ein neokonservatives Geheimnis. Es ist keine „Appeasementpolitik“, wenn die jetzige US-Führung aufhört, immer neue Horrormärchen über muslimische Länder zu erfinden, wenn sie aufhört, sich den Weg zu den Rohstoffquellen freizubomben, wenn sie aufhört, die großen Ideale zu zerstören, für die viele Menschen Amerika einst so geliebt haben – und für die sie Amerika so gerne wieder lieben würden.
Anders als die westlichen Großmächte hat der Iran seit hundertfünfzig Jahren kein anderes Land angegriffen, obwohl er mehrfach angegriffen wurde – auch mit Hilfe des Westens.
Welches muslimische Land soll denn – angesichts der nichtausschaltbaren nuklearen und konventionellen Zweitschlagfähigkeit der USA und Israels – den Westen oder Israel auch nur mit minimalen Erfolgsaussichten angreifen können? Selbst für einen nuklear bewaffneten Iran, der in der Tat nicht wünschenswert ist, würde das kleine Einmaleins der Nuklearstrategie gelten: Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter. Wer die USA oder Israel nuklear angreift, kann sich gleich selbst in die Luft sprengen. Die USA können mit ihren Atomwaffen rein rechnerisch 20 Milliarden Menschen töten. Sie könnten die knapp 70 Millionen Iraner dreihundertmal zu Asche verbrennen. Der Iran weiß das – auch sein großspuriger Präsident. Sein Verteidigungshaushalt beträgt gerade mal ein Hundertstel des amerikanischen. Anders als die westlichen Großmächte hat der Iran seit hundertfünfzig Jahren kein anderes Land angegriffen, obwohl er mehrfach angegriffen wurde – auch mit Hilfe des Westens. Noch heute leben dort 400 000 im Krieg mit dem Irak schwer verletzte Invaliden, darunter 50 000 Chemiewaffenopfer, an deren Leid wir nicht unschuldig sind.
Das Iranproblem ist lösbar. Die US-Führung muss hierzu endlich über ihren Schatten springen und sich auf höchster Ebene bilateral oder im Rahmen einer Middle-East-KSZE mit der iranischen Führung an einen Tisch setzen. Sie muss dem Iran – genauso wie sie das gegenüber Nordkorea und letztlich auch gegenüber Libyen getan hat – wesentliche Sicherheitsgarantien anbieten gegen wesentliche Zugeständnisse im Nuklearprogramm und gegen einen nachprüfbaren Verzicht des Iran auf jede Form der Einmischung im Irak.
Auch der Atomwaffensperrvertrag fordert unmissverständlich die Abschaffung aller Atomwaffen. Die aktuellen Kernwaffenstaaten befinden sich alle im Zustand permanenter Vertragsverletzung.
Allerdings gehören nicht nur die potentiellen nuklearen Schubladenpläne des Iran, sondern auch die sehr realen Atomwaffen der heutigen Kernwaffenstaaten auf den Schrotthaufen der Geschichte. Alle Nuklearwaffen, auch die amerikanischen, sind – wie Ronald Reagan schon 1986 festgestellt hat – „völlig irrational, völlig inhuman und zu nichts zu gebrauchen als zum Töten“. Sie sind alle eine „Gefahr für unsere Zivilisation“. Selbst Henry Kissinger hat sich 2007 dieser „kühnen Vision einer nuklearwaffenfreien Welt“ angeschlossen. Auch der Atomwaffensperrvertrag fordert unmissverständlich die Abschaffung aller Atomwaffen. Die aktuellen Kernwaffenstaaten befinden sich alle im Zustand permanenter Vertragsverletzung.
Die Hauptgefahr unserer Zeit besteht nicht im Appeasement. Sie besteht darin, dass abendländisch-patriotische Sofa-Strategen, die sich ihren klammheimlichen Rassismus von niemandem nehmen lassen wollen, die Welt in einen ähnlich törichten Automatismus von Gewalt und Gegengewalt hineinschlittern lassen wie jenen, der zum Ersten Weltkrieg führte.
Staatskunst statt Kriegskunst, wachsames, geduldiges und zähes Verhandeln – das ist wie im Ost-West-Konflikt die richtige Strategie gegenüber der muslimischen Welt. Nur in einer gerechten Weltordnung finden Terroristen keinen Nährboden. Unser Motto muss lauten: Härte und Gerechtigkeit. Härte gegenüber den Terroristen, Gerechtigkeit gegenüber der muslimischen Welt.
Ziel muss eine Weltordnung sein, die von allen Staaten als gerecht akzeptiert werden kann. Eine Welt, in der Schluss ist mit der Diskriminierung von Muslimen im Westen und Schluss mit der Diskriminierung von Juden und Christen in der muslimischen Welt.
Ziel muss eine Weltordnung sein, die von allen Staaten als gerecht akzeptiert werden kann. Eine Welt, in der Schluss ist mit der Diskriminierung von Muslimen im Westen und Schluss mit der Diskriminierung von Juden und Christen in der muslimischen Welt. Eine Welt, die aufhört mit der gegenseitigen Dämonisierung von Religionen und Kulturen. Eine Welt, die auch die westlichen Massenvernichtungswaffen und Lügen-maschinen abrüstet. Eine Welt, in der die USA wieder Symbol des Friedens und der Freiheit und nicht mehr des Krieges und der Unterdrückung sind. Eine Welt, in der jeder den Balken im eigenen Auge sieht und nicht nur den Splitter im Auge seines Bruders.
Zur Person:
Dr. Jürgen Todenhöfer (67) ist seit über zwanzig Jahren Manager eines europäischen Medienunternehmens. Zuvor war er 18 Jahre lang Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Sprecher der CDU/CSU für Entwicklungspolitik und Rüstungskontrolle. Er schrieb zwei Bestseller über den Afghanistan- und den Irakkrieg. Mit seinem Honorar baute er ein Kinderheim in Afghanistan; ein Kinderkrankenhaus im Kongo ist zurzeit im Bau. Mit dem Autorenhonorar von „Warum tötest Du, Zaid“ wird er im Mittleren Osten ein israelisch-palästinensisches Versöhnungsprojekt und ein Hilfsprojekt für schwerverletzte irakische Flüchtlingskinder finanzieren.
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Aus der Reihe „Warum tötest Du, Zaid?“:
- These 1: Der Westen ist viel gewalttätiger als als die muslimische Welt
- These 2: Angesichts der Kriegspolitik des Westens ist es nicht wirklich erstaunlich, dass muslimische Extremisten immer mehr Zulauf bekommen
- These 3: Islamisch getarnte Terroristen sind Mörder. Für christlich getarnte Anführer völkerrechtswidriger Angriffskriege kann nichts anderes gelten.
- These 4: Muslime waren und sind mindestens so tolerant wie Juden und Christen. Sie haben die westliche Kultur entscheidend mitgeprägt.
- These 5: Nicht nur in der Bibel, auch im Koran sind die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten die zentralen Gebote.
- These 6: Die westliche Politik gegenüber der muslimischen Welt leidet unter einer erschreckenden Ignoranz einfachster Fakten.
- These 7: Der Westen muss die muslimische Welt genauso fair und großzügig behandeln, wie er Israel behandelt. Muslime sind so viel wert wie Juden und Christen.
- These 8: Die Muslime müssen sich wie ihr Prophet Mohammed für einen Islam des Fortschritts und der Toleranz einsetzen. Sie müssen dem Terrorismus die religiöse Maske vom Gesicht reißen.
- These 9: Nichts fördert den Terrorismus mehr als die „Antiterrorkriege“ des Westens.
Der Iran-Konflikt wird sich in diesem Jahr noch zuspitzen. Irgendwie werde ich den Gedanken nicht los, dass die Bush-Administration wirklich noch vor dem Ende von Bush(idos) Amtszeit einen Angriffskrieg beginnt? und dann gute Nacht?
Todenhöfer verliert für mich immer mehr an Seriösität, je mehr ich von ihm zu lesen bekomme. Klar das der bei Muslimen und Arabern beliebt ist 😉
Klar – der Westen spielt ein doppeltes Spiel. Aber das nennt man halt Politik. Klar ließe sich einiges vermeiden, wenn es nicht Interessengruppen gäbe die an Konflikten verdienen möchten.
Aber ! Das ändert kaum was an der Tatsache das es sich bei den Herren Arafat, Assad, Hussein, Achumdenistehnichtschad ( Ahmadinedschad ) Vollblutpolitiker mit zweifelhaften Intensionen handelt. Menschen die ein Amt, wie sie es inne haben ( hatten ) nicht inne haben dürften. Ohne Menschen wie diesen wäre die Welt wesentlich friedfertiger.
Bush jr. zähle ich nicht ernsthaft zur gleichen Kategorie – das ist ein „Format für sich“.
Aber Arafat und Co sind auch gegen die eigenen Leute vorgegangen – ganz nach Gestapo Manier. Und solche Verbrecher gönne ich keinem Land. Und hätte man Hitler frühzeitig auf die Finger geklopft, anstatt mit ihm zu reden und ein Zugeständniss nach dem anderen zu machen ….. viele Tote hätte es weniger gegeben !!!!!??????
Verbrecher sind keine ernsthaften politischen Dialogpartner !
Grüße
Achim