Einbürgerung nach Verurteilung zu einer Maßregel der Besserung und Sicherung

26. Oktober 2006 | Von | Kategorie: Leitartikel | Keine Kommentare |

VG Potsdam 3. Kammer, Urteil vom 30. Mai 2006, Az: 3 K 1712/04

Die Verurteilung zu einer Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 63 StGB) ist eine Verurteilung wegen einer Straftat i.S.v. § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG a.F. Orientierungssatz. Der einbürgerungsrechtliche Begriff der „Verurteilung wegen einer Straftat“ ist nicht mit dem strafrechtlichen Verständnis von einer das Verschulden des Täters beinhaltenden Straftat identisch, sondern geht hierüber aus ordnungsrechtlichen Gründen hinaus.

Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, eine Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, falls der Beklagte nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen.

Tatbestand:
Der am 23. Juli 1982 in H. geborene Kläger begehrt seine Einbürgerung, welcher der Beklagte die aufgrund strafgerichtlichen Urteils als Maßregel der Besserung und Sicherung erfolgte Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus entgegen hält.

Der Kläger reiste am 22. September 1989 nach Deutschland ein. Er wohnte mit seinen Eltern und Geschwistern, welche die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, zunächst in B. und besuchte bis zum Jahre 2000 die Schule. Seit dem 8. Schuljahr zeigte sich der Kläger als verhaltensauffällig, wobei er auch zu Gewaltanwendungen neigte. Er wechselte mehrfach die Schule und war auf Grund von Erziehungsschwierigkeiten von Mai 1997 bis Anfang 1998 in einer Jugendhilfeeinrichtung im Landkreis P. untergebracht, bevor er wieder in den elterlichen Haushalt nach B. zurückkehrte. Die 8. Schulklasse wiederholte er insgesamt drei Mal, bevor er im Jahre 2000 einen erweiterten Hauptschulabschluss erwarb.

Seit 1996 trat der Kläger wiederholt strafrechtlich in Erscheinung. Mit – rechtskräftigem – Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 25. November 1999 (411-80 Js 2576/96 Ls – 120/97) wurden gegen den Kläger wegen schwerer räuberischer Erpressung, versuchter räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung, versuchter Nötigung, Bedrohung in drei Fällen, Diebstahls in einem besonders schweren Fall, Diebstahls in drei Fällen, Betruges sowie Sachbeschädigung zwei Freizeitarreste verhängt, ihm die Auflage von fünf Freizeitarbeiten und die Weisung erteilt, an einem Antigewaltseminar teilzunehmen. Durch – ebenfalls rechtskräftiges – Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 6. September 2001 (411-4 Ju Js 2913/00 Ls – 90/01) wurde nach § 63 StGB die Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Diesem Urteil lagen im Zeitraum von November 1999 bis Dezember 2000 begangene vorsätzliche Körperverletzungen, ein Raub sowie ein versuchter Diebstahl in einem besonders schweren Fall zu Grunde, wobei das Gericht davon ausging, dass der Kläger bereits seit seinem 14. Lebensjahr an einer paranoiden Schizophrenie leide und dass er die genannten Taten im Zustand absoluter Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) begangen habe.

Am 18. Februar 1999 beantragte der Kläger in B. seine erleichterte Einbürgerung. Das Bezirksamt Z. von B. erteilte dem Kläger am 12. Juli 2000 eine bis zum 31. Juli 2002 gültige Einbürgerungszusicherung und forderte ihn auf, die Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit nachzuweisen. In der Folgezeit legte der Kläger eine Bescheinigung über den Verzicht auf die chinesische Staatsangehörigkeit vom 7. Juli 2000 und eine solche über den Verzicht auf die britische Staatsangehörigkeit vom 7. September 2000 vor.

Seit dem 26. März 2001 war der Kläger nach K. verzogen. In der Folgezeit trat der Beklagte nach Erhalt der den Kläger betreffenden Einbürgerungsvorgänge in eine erneute Prüfung der Einbürgerungsvoraussetzungen ein, wobei er von dem gegen den Kläger eingeleiteten Ermittlungsverfahren und dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 6. September 2001 erfuhr.

Mit Bescheid vom 22. April 2004 lehnte der Beklagte das Einbürgerungsgesuch des Klägers gestützt auf § 102 a AuslG (i.d.F. des Gesetzes vom 9. Januar 2002, BGBl. I S. 361) i.V.m. § 85 Abs. 1 AuslG (i.d.F. des Gesetzes vom 30. Juni 1993, BGBl. I S. 1062) ab. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, dass der Kläger seit November 1999 mit fünf erheblichen rechtswidrigen Taten aufgefallen sei, so dass in analoger Anwendung von §§ 88 Abs. 1 und 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG eine Einbürgerung nicht erfolgen könne. Die Verhängung einer Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 63 StGB sei einer strafrechtlichen Verurteilung gleichzusetzen. Denn es solle von der Einbürgerung ausgeschlossen werden, wer objektiv wichtige Rechtsgüter verletzt habe, ohne dass es auf ein Verschulden ankomme. Darüber hinaus seien auch die Voraussetzungen einer Einbürgerung aufgrund von § 8 StAG nicht erfüllt.

Mit seiner am 17. Mai 2004 erhobenen Klage verfolgt der Kläger, der inzwischen nach B. verzogen ist, sein Einbürgerungsgesuch weiter.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass er die – erleichterten -Einbürgerungsvoraussetzungen erfülle, da er gerade nicht wegen einer Straftat verurteilt worden sei, sondern die von ihm begangenen Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen habe. Eine analoge Anwendung der vom Beklagten herangezogenen Regelungen der §§ 88 Abs. 1 und 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG sei nicht zulässig, da angesichts des von Gesetzes wegen gegebenen Einbürgerungsanspruches keine Analogie zulässig sei. Selbst wenn er die dem Urteil vom 6. September 2001 zugrunde liegenden Taten im Zustand der Schuldfähigkeit begangen hätte, wäre er allenfalls zu einer geringen Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, verurteilt worden, was einer Einbürgerungszusage hinsichtlich der Bewährungszeit nicht entgegengestanden hätte; in der Zwischenzeit wäre die Bewährungszeit abgelaufen. Die ihm durch Urteil vom 25. November 1999 auferlegte Jugendstrafe sei schon nach § 88 Abs. 1 Nr. 1 AuslG unbeachtlich. Jedenfalls aber habe er einen Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Einbürgerungsbegehren. Der Beklagte hätte berücksichtigen müssen, dass er – der Kläger – inzwischen staatenlos und in einem solchen Fall eine wohlwollende Ermessensausübung geboten sei. Insoweit sei zudem unberücksichtigt geblieben, dass er lediglich der deutschen Sprache mächtig sei und die übrigen Familienmitglieder sämtlich eingebürgert worden seien.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22. April 2004 zu verpflichten, ihn einzubürgern,

hilfsweise

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22. April 2004 zu verpflichten, über seinen Antrag auf Einbürgerung vom 18. Februar 1999 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, dass der Kläger auf Grund des Urteils vom 6. September 2001 die Einbürgerungsvoraussetzungen nicht erfülle. Seit 1996 sei der Kläger wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten, wobei die Anordnung der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus einer strafrechtlichen Verurteilung gleichzustellen sei. Im Übrigen sei es nicht ausgeschlossen, dass der Kläger die chinesische Staatsangehörigkeit wiedererwerben könne. Jedenfalls gebühre im Rahmen einer Ermessensentscheidung dem öffentlichen Interesse daran, die Einbürgerung von Straftätern zu verhindern, Vorrang.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorganges und der durch das Gericht beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Berlin (4 Ju Js 2913/00) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:
Die als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 – 2. Alt. – VwGO) erhobene Klage ist ohne Weiteres zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben worden, hat indes in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 22. April 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; der Kläger hat in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder den mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf Einbürgerung noch den hilfsweise geltend gemachten Anspruch darauf, dass der Beklagte über seinen Einbürgerungsantrag unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Der mit dem Hauptantrag geltend gemachte Anspruch auf Einbürgerung folgt entgegen der Rechtsansicht des Klägers nicht aus den auf den vorliegenden Fall anwendbaren Regelungen der gemäß § 40 c StAG maßgeblichen §§ 85 bis 91 AuslG in der vor dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung. Die zuletzt genannten Vorschriften sind nach der zitierten Ãœbergangsregelung anzuwenden, da der Kläger seinen Einbürgerungsantrag vor dem 16. März 1999 gestellt hat (vgl. zur Frage des anwendbaren Rechts bei Änderung der Rechtslage: BVerwG, Beschluss vom 19. August 1996 – 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399). Nach der hier entscheidungserheblichen Fassung von § 85 Abs. 1 AuslG ist ein Ausländer, der nach Vollendung seines 16. und vor Vollendung seines 23. Lebensjahres die Einbürgerung beantragt, einzubürgern, wenn er

1. seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
2. seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat,
3. sechs Jahre im Bundesgebiet eine Schule, davon mindestens vier Jahre eine allgemeinbildende Schule besucht hat und
4. nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist.

Diese Voraussetzungen sind hier nicht alle erfüllt.

Hier hatte der Kläger zwar am 18. Februar 1999, mithin nach Vollendung seines 16. Lebensjahres, die Einbürgerung beantragt, nachdem er seit mehr als acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte und er mindestens sechs Jahre im Bundesgebiet eine Schule, davon mindestens vier Jahre eine allgemeinbildende Schule besucht hatte (vgl. § 85 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AuslG). Auch hat der Kläger während des Verwaltungsverfahrens Unterlagen über die Aufgabe seiner hier in Betracht kommenden chinesischen sowie britischen Staatsangehörigkeit beigebracht (vgl. § 85 Abs. 1 Nr. 1 AuslG). Dem geltend gemachten Einbürgerungsbegehren des Klägers steht jedoch entgegen, dass er wegen einer Straftat verurteilt worden ist (vgl. § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG). Dies ist hier der Fall, weil das Amtsgericht Tiergarten mit rechtskräftigem Urteil vom 6. September 2001 die Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischem Krankenhaus angeordnet, also eine Maßregel der Sicherung und Besserung nach §§ 61 Nr. 1, 63 StGB verhängt hat, weil der Kläger im Zustand der Schuldunfähigkeit rechtswidrige Taten (vorsätzliche Körperverletzungen, Raub, versuchter Diebstahl in einem besonders schweren Fall) begangen hatte. Nach § 88 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bleibt bei der Entscheidung über das Einbürgerungsgesuch des Klägers lediglich die rechtskräftige Verurteilung durch das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 25. November 1999 außer Betracht.

Die gerichtliche Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unterfällt als Maßregel der Besserung und Sicherung dem Begriff der „Verurteilung wegen einer Straftat“ i.S.v. § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG, da sie die Feststellung eines tatbestandsmäßigen sowie rechtswidrigen Verhaltens des der Straftat Beschuldigten voraussetzt und nur durch Urteil ausgesprochen werden kann (vgl. §§ 260 Abs. 4 Satz 4, 267 Abs. 6 StPO). Der einbürgerungsrechtliche Begriff der „Verurteilung wegen einer Straftat“ ist nicht mit dem strafrechtlichen Verständnis von einer das Verschulden des Täters beinhaltenden Straftat identisch, sondern geht hierüber aus ordnungsrechtlichen Gründen hinaus (so die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. VGH BW, Urteil vom 10. November 2005 – 13 S 2223/04-, InfAuslR 2006, 93; BayVGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 – 5 BV 04.1561-, zitiert nach juris; ebenso Makarov/von Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, Stand Juni 1998, § 85 AuslG Rz. 47; Berlit, in: GK-StAR, Stand April 2005, IV-3 § 85 AuslG Rz 251 ff.). Der Kläger verkennt insoweit den ordnungsrechtlichen Begriff der „Verurteilung wegen einer Straftat“ in § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG, der keine Entsprechung im Bereich des Strafrechts hat. Dort ist – insoweit lediglich – in § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB mit Wirkung für das Strafrecht der Begriff der rechtswidrigen Tat gesetzlich definiert, jedoch nicht der Begriff „Straftat“ und erst recht nicht geregelt, was unter „Verurteilung wegen einer Straftat“ zu verstehen ist.

Der in § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG verwandte ordnungsrechtliche Begriff der Verurteilung wegen einer Straftat erhält seine Bedeutung aus dem Norm- und Sinnzusammenhang dieser einbürgerungsrechtlichen Vorschrift und insbesondere aus ihrer Entstehungsgeschichte. Das Gericht macht sich insoweit die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Berlin im Urteil vom 12. Juli 2005 – VG 2 A 26.03 – (InfAuslR 2005, 427) zueigen, wonach der Gesetzgeber mit der im vorliegenden Fall anwendbaren Fassung von § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG ausweislich der Regierungsbegründung zu dem entsprechenden Gesetzentwurf offensichtlich an die früher in § 8 Abs. 1 Nr. 2 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (vom 22. Juli 1913, RGBl. S. 583) geregelte Voraussetzung anknüpfen wollte, wonach der Ausländer „einen unbescholtenen Lebenswandel geführt“ haben muss (vgl. BT-Drs. 11/6321, S. 48). Mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung sollten solche Personen vom Erwerb der Reichs- und Staatsangehörigkeit ferngehalten werden, die nach ihrem Lebenswandel für die Zukunft keine Gewähr für eine einwandfreie Führung zu bieten vermochten (PrOVG, Urteil vom 13. Februar 1917 – I A 8/17 -, PrOVGE 73, 311). Der unbestimmte Rechtsbegriff des unbescholtenen Lebenswandels setzte weder eine Verurteilung noch ein schuldhaftes Handeln des Einbürgerungsbewerbers voraus, sondern erforderte, dass der Einbürgerungsbewerber in seinem Lebenswandel und den daraus erkennbaren charakterlichen Eigenschaften gewissen Mindestkriterien genügt hatte und noch genügte (BVerwGE 6, 186, 188). Derartige charakterliche Mängel konnten auch bei Straftätern vorliegen, die wegen einer psychischen Erkrankung schuldunfähig und zwangsweise untergebracht waren. Der Gesetzgeber dürfte danach beabsichtigt haben, nur „leicht gefährlichen“ Ausländern die Einbürgerung zu ermöglichen, die zwar eine abgeurteilte Straftat begangen haben, welche jedoch eine jugendtypische Verfehlung oder nur geringfügig war nicht jedoch solchen Ausländern, die allgemeingefährlich sind. Erkennbarer Sinn der Regelung in § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG – sowie seiner wortgleichen Entsprechung im heutigen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG – ist es, die Einbürgerung von Personen auszuschließen, die sich trotz ihres längeren Aufenthaltes und der sonst in § 85 Abs. 1 AuslG genannten Voraussetzungen nicht in die deutsche Gesellschaft integriert haben, sondern ein gemeinschaftsschädliches Verhalten gezeigt haben, ohne dass bereits prognostiziert werden könnte, dass sie sich zukünftig sozialgerecht verhalten werden. Ein in diesem Sinne verstandenes Integrationserfordernis ist bei einer Verurteilung zu einer Maßregel nach § 63 StGB nicht erfüllt, weil diese Maßregel nur wegen rechtswidriger Taten und nur dann verhängt werden kann, wenn die Gesamtwürdigung des Betroffenen und seiner Tat ergibt, dass von ihm in Folge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dass der Kläger für die Allgemeinheit gefährlich ist, hat das Amtsgericht Tiergarten, gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten, im Einzelnen dargelegt. Ist ein Ausländer jedoch gefährlich für die Allgemeinheit, fehlt es an dem vom Gesetzgeber mit § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG gezeigten Integrationsnachweis bzw. an der Integrationsfähigkeit des Einbürgerungsbewerbers. Das Gericht folgt der Auffassung des Verwaltungsgerichts Berlin in dem zitierten Urteil, wonach psychisch Kranke, die für die Allgemeinheit gefährlich sind, keinesfalls dem Leitbild des Gesetzgebers an einem integrierten Ausländer entsprechen, der mit der Einbürgerung gleichberechtigter, aber auch gleichverpflichteter Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland werden soll. Jedenfalls bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist auch keine Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel nach § 63 StGB im Falle des Klägers erfolgt, so dass sich die eventuelle Frage, ob eine andere Bewertung trotz fehlender Tilgung der Verurteilung des Klägers im Bundeszentralregister (vgl. §§ 3 Nr. 1 i.V.m. Nr. 4, 45 BZRG) gerechtfertigt sein kann, hier nicht stellt.

Der Kläger hat auch nicht den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Neubescheidung seines Einbürgerungsgesuchs. Die im angegriffenen Bescheid nach § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG i.V.m. § 85 AuslG getroffene Entscheidung des Beklagten ist unter Berücksichtigung des beschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabs (§ 114 Satz 1 VwGO) insoweit nicht zu beanstanden. Nach § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG wird im Einzelfall entschieden, ob die Straftat außer Betracht bleiben kann, wenn der Ausländer zu einer höheren Strafe als die in Satz 1 der Vorschrift genannten Strafen verurteilt worden ist. Der Beklagte hat bezogen auf den Einzelfall des Klägers nicht lediglich die fehlende Tilgung der angesprochenen strafrechtlichen Verurteilung, sondern vor allem auch die Schwere der abgeurteilten Taten in seine Entscheidung eingestellt, und demgegenüber den Wunsch nach einer einheitlichen Staatsangehörigkeit aller Familienmitglieder des Klägers zurücktreten lassen. Hiermit ist den Erfordernissen an eine rechtmäßige Ermessensentscheidung Genüge getan.

Es kommt schließlich auch keine Einbürgerung des Klägers nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG in Betracht. Hiernach ist Voraussetzung für eine sog. Ermessenseinbürgerung unter anderem, dass der Einbürgerungsbewerber keinen Ausweisungsgrund nach §§ 53, 54 oder 55 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 AufenthG erfüllt. Der Kläger erfüllt indes mit den von ihm begangenen rechtswidrigen Taten den Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Hiernach kann ein Ausländer insbesondere ausgewiesen werden, wenn er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist. Da die im Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 6. September 2001 abgehandelten Straftaten von erheblichem Gewicht waren, kann von einem lediglich geringfügigen Verstoß des Klägers gegen Rechtsvorschriften nicht die Rede sein; es handelt sich in allen Fällen um Vorsatzstraftaten, die rechtswidrig waren und die der Kläger objektiv begangen hatte. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die ihm anzulastenden Verstöße auch schuldhaft begangen wurden (vgl. Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. A., § 8 StAG Rz 27 ff.), und ob der Betreffende tatsächlich ausgewiesen werden soll oder auch nur kann (BVerwG, Urteil vom 31. Mai 1994 – 1 C 5.93 -, BVerwGE 96, 86).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung und die Sprungrevision sind gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 134 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da die Frage der Auslegung des Begriffs „wegen einer Straftat verurteilt“ im Sinne von § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG (nunmehr § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG) grundsätzliche Bedeutung hat.

Ekrem Senol – Köln, 26.10.2006

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