Ein für Studienzwecke erteilter Aufenthaltstitel verhindert grundsätzlich ein Hineinwachsen in eine aufenthaltsrechtliche Position nach Art. 6 ARB 1/80
20. September 2006 | Von E. S. | Kategorie: Leitartikel | Ein Kommentar |VGH Hessen Beschluss – 9. Juni 2006 – 12 TG 786/06
Leitsatz:
Die Nebenbestimmung in einem für Studienzwecke erteilten Aufenthaltstitel, wonach eine unselbstständige Erwerbstätigkeit nur bis zu 90 vollen bzw. 180 halben Arbeitstagen im Jahr gestattet ist, verhindert grundsätzlich ein Hineinwachsen in eine aufenthaltsrechtliche Position nach Art. 6 ARB 1/80 und ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH zum Assoziationsrecht nicht zu beanstanden.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 6. März 2006 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,– € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Aufgrund des Beschwerdevorbringens (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) kann nicht festgestellt werden, dass es das Verwaltungsgericht zu Unrecht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Stadt Gießen vom 14. Oktober 2005 anzuordnen. Vielmehr erweist sich dieser Bescheid nach der gebotenen summarischen Ãœberprüfung im Eilverfahren als offensichtlich rechtmäßig, weil der Antragsteller keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe von Art. 6 ARB 1/80 hat. Auf der Grundlage seines Vortrags war der Antragsteller nicht mindestens ununterbrochen ein Jahr ordnungsgemäß bei dem gleichen Arbeitgeber beschäftigt, so dass er kein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 ARB 1/80 1. Spiegelstrich erwerben konnte. Der Antragsteller hat zwar Verdienstnachweise beim gleichen Arbeitgeber für die Monate Mai 2002 bis Mai 2004 vorgelegt, er konnte hiermit aber – zunächst bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Stellung seines Aufenthaltsgenehmigungsantrags am 6. August 2004, aus dem gleichen Grund aber auch für die Folgezeit – nicht dartun, dass er ununterbrochen ordnungsgemäß als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen ist. Denn der ihm erteilte Aufenthaltstitel gestattete seit dem Jahre 2002 eine unselbstständige Beschäftigung höchstens bis zu 90 vollen Arbeitstagen bzw. (seit 2005 alternativ) 180 halben Arbeitstagen im Jahr.
Hieraus ergibt sich, dass der Antragsteller nicht „ordnungsgemäß“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 beschäftigt war, soweit die ihm bescheinigten Tätigkeiten über 90 volle bzw. 180 halbe Arbeitstage im Jahr hinausgehen. Dabei kann sowohl nach Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der Nebenbestimmung im Aufenthaltstitel die zugelassene Erwerbstätigkeit nicht auf mehr als 180 Tage im Jahr verteilt werden, um eine ununterbrochene Beschäftigung während eines Jahres zu erreichen. Denn durch die von der Ausländerbehörde beigefügte Nebenbestimmung (s. jetzt § 16 Abs. 3 AufenthG und Ziff. 16.3.4 der Vorläufigen Anwendungshinweise dazu) soll gerade die Verfestigung eines zu Studienzwecken erteilten Aufenthalts und ein Hineinwachsen in den Arbeitsmarkt mit der Folge eventueller assoziationsrechtlicher Aufenthaltsansprüche verhindert werden. Grundsätzlich kann bei einer Beschäftigung von 90 vollen oder 180 halben Tagen im Jahr ein Aufenthaltsanspruch nach Art. 6 ARB 1/80 wegen des Erfordernisses der mindest einjährigen ununterbrochenen Beschäftigung beim selben Arbeitgeber nicht entstehen (so bereits VG Berlin, Beschluss v. 23.11.2000 – VG 31 A 374.00 -, InfAuslR 2001, 112; s. auch LSG Berlin, Urteil v. 08.07.1998 – L 14 Ar 86/97 -, juris; ebenso Gutmann in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Band 5, Art. 6 ARB Nr. 1/80 Rdnr. 64; Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts B 402 Art. 6 Rdnr. 17).
Eine derartige Nebenbestimmung zu einem für Studienzwecke erteilten Aufenthaltstitel ist auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Assoziationsratsbeschluss 1/80 nicht zu beanstanden. Der EuGH legt seiner Rechtsprechung zu Grunde, dass sich aus dem ARB 1/80 kein Anspruch auf Einreise und keine Erleichterung der Zuwanderung ergibt, sondern dass Art. 6 ARB 1/80 vielmehr nur denjenigen türkischen Arbeitnehmern Rechte verleihen will, die ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten integriert sind (EuGH, Urteil v. 30.09.1987 – Rs. 12/86 – NJW 1988, 1442; siehe auch Gutmann, a.a.O., Rdnr. 11). Dementsprechend richtet sich die erstmalige Zulassung von türkischen Arbeitnehmern zum gemeinschaftlichen Arbeitsmarkt allein nach den nationalen Regeln und die Souveränität der Mitgliedstaat ist bei der erstmaligen Zulassung von türkischen Arbeitnehmern zum nationalen Arbeitsmarkt nicht beschränkt (siehe Hess. VGH, Beschluss v. 22.05.1996 – 12 TG 657/96 -, DVBl. 1996, 1273). Hiernach kann im Einzelfall durch Beifügung entsprechender Nebenbestimmungen zu für Studienzwecke erteilten Aufenthaltstiteln eine erstmalige Integration in den Arbeitsmarkt durch ununterbrochene Beschäftigung bei einem Arbeitgeber verhindert werden. Bestätigt wird dies durch die Auffassung des EuGH, wonach bei Studenten die Arbeitnehmereigenschaft im Verhältnis zum Studium aufenthaltsrechtlich untergeordnet ist (EuGH, Urteil v. 21.06.1988 – Rs. 197/86 -, EZAR 830 Nr. 9; siehe auch Gutmann, a.a.O., Rdnr. 60).
Demgegenüber käme die Entstehung aufenthaltsrechtlicher Ansprüche nach dem ARB 1/80 grundsätzlich auch bei unselbstständiger Erwerbstätigkeit eines Studenten von nicht nur ganz unwesentlichem und untergeordnetem Umfang in Betracht, wenn eine solche allmähliche Integration in den Arbeitsmarkt nicht durch Nebenbestimmungen die eine ununterbrochene Beschäftigung ausschließen, verhindert wird (siehe Gutmann, a.a.O., Rdnr. 62 und Rdnr. 65). Auch die vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung zitierten Bestimmungen der Allgemeinen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum ARB 1/80 setzen für das Entstehen von aufenthaltsrechtlichen Ansprüchen nach dem ARB gerade voraus, dass die aufgenommene Erwerbstätigkeit in vollem Umfang gestattet worden ist bzw. mit behördlicher Erlaubnis mehr als ein Jahr ununterbrochen beim gleichen Arbeitgeber ausgeübt werden kann.
Da sich nach alledem die angefochtene Entscheidung der Antragsgegnerin als offensichtlich rechtmäßig erweist, überwiegt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, vorläufig in Deutschland zu bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ekrem Senol – Köln, 20.09.2006
[…] Rechtsprechung des VGH Hessen Beschluss – 9. Juni 2006 – 12 TG 786/06 dürfte damit hinfällig geworden sein (siehe auch meine Ausführungen zum Beschluss). […]