Rücknahme der Einbürgerung bei Absicht, die alte Staatsbürgerschaft wieder aufzunehmen
10. Juli 2006 | Von E. S. | Kategorie: Leitartikel | Keine Kommentare |VGH Baden-Württemberg Urteil, 23.09.2002, Az: 13 S 1984/01 – AuslG 1990 § 86 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 09.07.1990
Leitsatz:
1. An einer Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit im Sinne des § 86 Abs 1 Nr 1 AuslG (AuslG 1990) idF vom 09.07.1990 fehlt es, wenn der Einbürgerungsbewerber bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung beabsichtigt, die bisherige Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben und er diese Absicht nach seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unter Stellung eines Wiedereinbürgerungsantrages beim Staat der bisherigen Staatsangehörigkeit verwirklicht.
2. Maßgebliches Indiz für eine solche Absicht ist ein in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Einbürgerung gestellter Antrag auf erneute Einbürgerung in den Staatsverband des Heimatstaates.
Tatbestand
Die am 15.4.1946 in Balikesir/Türkei geborene Klägerin lebt seit 1973 – mit einer Unterbrechung von weniger als sechs Monaten im Jahre 1979 – in Deutschland. Am 10.4.1990 beantragte sie gemeinsam mit ihrem früheren Ehemann Mahmut Akbulut und ihrer 1977 geborenen Tochter Ayse bei der Beklagten die Einbürgerung. In dem von ihr ausgefüllten Antragsformular kreuzte sie die Erklärung an: „Ich bin bereit, meine bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben und verpflichte mich, nach schriftlicher Zusicherung der Einbürgerung die erforderlichen Schritte zu unternehmen.“
Am 6.8.1991 wurde ihr von der Beklagten eine Einbürgerungszusicherung erteilt. Nachdem ihr mit Urkunde vom 23.7.1992 bescheinigt worden war, dass der türkische Ministerrat ihr zum Zweck der Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit die Genehmigung zur Entlassung aus dem türkischen Staatsverband erteilt hatte, wurde sie am 7.9.1992 eingebürgert. In der Folgezeit legte sie eine Bestätigung vor, wonach sie am 19.3.1993 aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen worden ist.
Am 6.2.1997 erschien in der Stuttgarter Zeitung ein Artikel darüber, dass viele ehemalige türkische Staatsangehörige nach ihrer Einbürgerung in den deutschen Staatsverband die türkische Staatsangehörigkeit wiedererwerben. In diesem Zusammenhang wird auch die Klägerin mit der Äußerung zitiert, sie habe vor vier Jahren nach ihrer Einbürgerung den türkischen Pass wieder zurückbekommen.
Daraufhin leitete die Beklagte im März 1997 ein Verfahren auf Rücknahme der Einbürgerung ein. Bei ihrer Anhörung gab die Klägerin an, sie habe die türkische Staatsangehörigkeit nicht wieder beantragt bzw. erhalten, sondern verfüge lediglich noch über einen türkischen Pass.
Daraufhin fragte die Beklagte beim türkischen Generalkonsulat in Stuttgart an, ob es möglich sei, den türkischen Pass wiederzuerlangen, ohne zuvor die türkische Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben. Hierauf antwortete das türkische Generalkonsulat mit Schreiben vom 5.5.1997, dass einzelne eingebürgerte deutsche Staatsbürger mit türkischer Abstammung ihre Pässe erhalten würden, um manche ihre Angelegenheiten, wie z.B. Finanzen, Erbschaften usw. in der Türkei damit regeln zu können. In den betreffenden Pässen werde vom Generalkonsulat kein eigener Vermerk für solche Fälle vorgenommen, ein Vermerk erfolge jedoch auf ihrem Datenträger. Auf ergänzende Anfrage der Beklagten, ob solche Pässe verlängert oder durch neue türkische Pässe ersetzt würden, antwortete das türkische Generalkonsulat unter dem 28.5.1997, wie bereits mit Schreiben vom 5.5.1997 mitgeteilt, dürften einzelne eingebürgerte deutsche Staatsbürger mit türkischer Abstammung auf Wunsch und vorläufig ihre Pässe beibehalten, um manche ihre Angelegenheiten, wie z.B. Finanzen, Erbschaften, Personenrecht usw. mit den türkischen Behörden regeln zu können.
Daraufhin wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 27.6.1997 an die Klägerin und forderte diese auf, ein Negativattest des türkischen Generalkonsulats vorzulegen, wonach sie keine türkische Staatsangehörige (mehr) sei. Die Klägerin teilte mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 2.7.1997 mit, sie habe bereits am 25.3.1997 alle erforderlichen Auskünfte gegeben; zu weiteren Mitwirkungshandlungen sei sie nicht verpflichtet.
Auf eine Anfrage der Beklagten, ob die Klägerin noch türkische Staatsangehörige sei, antwortete das türkische Generalkonsulat unter dem 22.7.1997, dass ohne Zustimmung der Betroffenen keine Auskunft über persönliche Daten erteilt werden könne. In der Folgezeit erklärte die Klägerin erneut, ein Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit sei nur nach Antrag möglich. Sie habe einen solchen Antrag nicht gestellt.
Mit Verfügung vom 16.8.1999 nahm die Beklagte die Einbürgerung der Klägerin mit Eintritt der Bestandskraft der Verfügung zurück. Zugleich wurde die Klägerin aufgefordert, innerhalb einer Woche nach Eintritt der Unanfechtbarkeit dieser Verfügung die am 24.8.1992 ausgefertigte und am 7.9.1992 ausgehändigte Einbürgerungsurkunde zurückzugeben. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Einbürgerung sei rechtswidrig, da sie bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung beabsichtigt habe, zumindest materiell-rechtlich den Zustand der Mehrstaatigkeit herbeizuführen. Sie habe die Bereitschaft zur Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit arglistig vorgetäuscht. Eine wesentliche Einbürgerungsvoraussetzung habe sie somit von Anfang an nur zum Schein erfüllt. Auch wenn sie sich in ihren Behauptungen im Verwaltungsverfahren darauf beschränke, sie habe nur den türkischen Pass zurückerhalten, ergebe sich doch aus dem Bericht der Stuttgarter Zeitung eindeutig, dass es um den Besitz der doppelten Staatsangehörigkeit gegangen sei und der Besitz beider Pässe mit dem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gleichgesetzt werde. Durch ihre Erklärungen gegenüber der Stuttgarter Zeitung habe sie zumindest den Anfangsverdacht gesetzt, selbst auch die türkische Staatsangehörigkeit wiedererworben zu haben. Sie habe auch keine Nachweise für ihre gegenteilige Behauptung vorgelegt. Selbst wenn sie tatsächlich nur den türkischen Pass wiedererhalten habe, was nach den allgemeinen Aussagen des türkischen Generalkonsulats nicht ausgeschlossen werden könne, ändere dies nichts am Vorwurf der Täuschung über die fehlende Bereitschaft, die türkische Staatsangehörigkeit dauerhaft aufzugeben. Denn nach Art. 38 c türkisches Staatsangehörigkeitsgesetz Nr. 403 vom 11.2.1964 diene der türkische Pass als Nachweis für den Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit. Mit diesem Pass könne sie sich uneingeschränkt als türkische Staatsangehörige legitimieren und die damit verbundenen Rechtsvorteile beanspruchen und genieße also faktisch und damit materiell-rechtlich Mehrstaatigkeit. Es sei davon auszugehen, dass sie auch derzeit noch im Besitz eines türkischen Passes sei. Die dauerhafte Vermeidung der Mehrstaatigkeit sei auch wesentliche Voraussetzung im deutschen Einbürgerungsrecht. Das offensichtlich zielgerichtete Vorgehen der Klägerin zeige, dass sie mittels arglistiger Täuschung der Einbürgerungsbehörde ihre Einbürgerung unter Herbeiführung einer zumindest materiell-rechtlichen Mehrstaatigkeit erreicht habe. Daher könne die Einbürgerung keinen Bestand haben. Es werde nicht verkannt, dass sie aufgrund einer mehrjährigen Behandlung als deutsche Staatsangehörige, die auch eine der Voraussetzungen für ihre Wahl in den Stuttgarter Gemeinderat gewesen sei, erhebliches Interesse am Bestand der Einbürgerung habe. Da sie ihre Rechtsposition jedoch unter arglistiger Täuschung der Behörde erlangt habe, überwiege das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes. Dabei seien auch generalpräventive Aspekte zu berücksichtigen. Bei der Ermessensausübung sei des weiteren berücksichtigt worden, dass der Klägerin auch nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts kein Recht auf Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit zustehen würde. Auf Vertrauensschutz könne sie sich im Hinblick auf die arglistige Täuschung nicht berufen. In Ausübung des Ermessens werde die Einbürgerung jedoch nicht rückwirkend auf den Zeitpunkt ihrer Wirksamkeit, sondern für die Zukunft ab Bestandskraft dieses Bescheides verfügt. Die Rücknahmefrist sei gewahrt, da die Einbürgerung durch arglistige Täuschung erlangt worden sei. Art. 16 Abs. 1 GG stehe der Rücknahme nicht entgegen, da nur die wohlerworbene Staatsbürgerschaft geschützt sei. Im übrigen sei die Rücknahme einer durch arglistige Täuschung erreichten Einbürgerung selbst dann zulässig, wenn der Betroffene dadurch staatenlos werde.
Am 27.8.1999 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch und machte geltend: Die Rücknahmefrist von einem Jahr seit Kenntnisnahme sei verstrichen. Eine arglistige Täuschung könne ihr nicht nachgewiesen werden. Es sei unzutreffend, dass sie bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung die Absicht gehabt habe, den Zustand der Mehrstaatigkeit herbeizuführen. Sie sei vielmehr auf ihren Antrag aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen worden. Im übrigen sei sie nicht dazu verpflichtet, bei der Beschaffung von Nachweisen mitzuwirken, die zur Rücknahme der Einbürgerung führen könnten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.9.1999 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch zurück und verwies zur Begründung auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.
Am 22.10.1999 hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Sie hat beantragt, die Verfügung der Beklagten vom 16.8.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.9.1999 aufzuheben. Zur Begründung hat sie die bereits mit dem Widerspruch geltend gemachten Argumente wiederholt und ergänzend ausgeführt: Selbst für den Fall, dass der Nachweis arglistiger Täuschung noch gelingen könne, sei eine Aufhebung der Einbürgerung in die deutsche Staatsangehörigkeit nicht unbegrenzt zeitlich zulässig.
Die Beklagte ist der Klage aus den Gründen des angefochtenen Bescheides sowie des Widerspruchsbescheides entgegengetreten.
Mit Urteil vom 15.11.2000 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Verfügung der Beklagten vom 16.8.1999 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 22.9.1999 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Die Rücknahme der Einbürgerung sei rechtswidrig, da die Einbürgerung nicht – von Anfang an – rechtswidrig gewesen sei. Es sei nicht erwiesen, dass die Klägerin im Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit sei. Dabei obliege die Beweislast der Beklagten. Diese könne sich der Beweislast nicht dadurch entziehen, dass sie der Klägerin aufgebe, eine „Negativ-Bescheinigung“ vorzulegen und im Falle der Weigerung davon ausgehe, dass die Voraussetzungen für die Rücknahme vorlägen. Dem Artikel in der Stuttgarter Zeitung vom 6.2.1997 könne kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass die Klägerin weiterhin türkische Staatsangehörige sei, da in der Öffentlichkeit die Begriffe „Staatsangehörigkeit“ und „Besitz eines Passes“ teilweise synonym verwendet würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass nach Auskunft des türkischen Generalkonsulates einzelnen eingebürgerten deutschen Staatsbürgern türkischer Abstammung die Pässe belassen würden. Anderes folge auch nicht aus Art. 38 c des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 vom 11.2.1964, da dort lediglich geregelt sei, dass Pässe bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung begründeten, der Betreffende besitze die türkische Staatsangehörigkeit. Vorliegend sei der Beweis des Gegenteils jedoch erbracht, da die Klägerin ausweislich der in den Akten befindlichen Urkunde vom 19.3.1993 aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen worden sei. Im übrigen sei die Einbürgerung der Klägerin auch dann nicht rechtswidrig gewesen, wenn diese nach ihrer Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit am 19.3.1993 diese wiedererlangt habe. Denn die Voraussetzungen der Rechtsvorschrift, auf der die Einbürgerung der Klägerin beruht habe, seien erfüllt gewesen. Danach sei lediglich die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit erforderlich. Ein ungeschriebenes subjektives Tatbestandsmerkmal, wonach der Einbürgerungsbewerber den Willen haben müsse, seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht wieder anzunehmen, bestehe nicht. Dagegen spreche bereits der Wortlaut des Gesetzes. Im übrigen sei die Vermeidung von Mehrstaatigkeit kein wesentliches Element des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts. Denn dieses nehme in zahlreichen Fällen die doppelte Staatsangehörigkeit hin. Zutreffend sei allein, dass das deutsche Recht eine Mehrstaatigkeit zu verhindern trachte, die unmittelbar durch die Einbürgerung eines Ausländers entstehen könne. Dies beruhe jedoch nicht auf der grundsätzlichen Ablehnung der Mehrstaatigkeit, sondern auf völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Diese sei aufgrund der Haager Konvention vom 12.4.1930 verpflichtet, an einer Mehrstaatigkeit von Staatsangehörigen anderer Staaten nicht dadurch mitzuwirken, dass diese ohne besondere rechtfertigende Gründe ohne Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit durch die Bundesrepublik Deutschland eingebürgert würden. Der Zweck des § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bestehe daher lediglich darin, im Verhältnis eines Ausländers zu seinem Heimatstaat keine Belastung eintreten zu lassen. Dieser Zweck werde nicht vereitelt, wenn der andere Staat seine früheren Staatsangehörigen später wieder einbürgere. Die staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgen der Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit durch einen Deutschen seien in § 25 RuStAG abschließend geregelt. Eine erweiternde Auslegung des § 86 Abs. 1 AuslG komme daher nicht in Betracht. Insbesondere sei es unzulässig, eingebürgerte Deutsche insoweit schlechter zu stellen als Deutsche, die ihre Staatsangehörigkeit durch Abstammung erworben hätten. Gegen die von der Beklagten vertretene Auslegung spreche des weiteren die Änderung des § 25 RuStAG durch Art. 1 des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.7.1999. Diese Änderung sei damit begründet worden, dass die bisherige Regelung, wonach ein Deutscher die deutsche Staatsangehörigkeit nur dann mit dem antragsgemäßen Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit verliere, wenn er in der Bundesrepublik Deutschland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden Aufenthalt habe, häufig genutzt worden sei, um den Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung zu unterlaufen. Diese Missbrauchsmöglichkeit sei nunmehr beseitigt worden. Im übrigen habe die Beklagte der Klägerin auch nicht nachweisen können, dass sie zum Zeitpunkt der Einbürgerung bereits die Absicht gehabt habe, sich erneut in den türkischen Staatsverband wieder einbürgern zu lassen. Da zwischen der Einbürgerung und der Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit ungefähr sechs Monate verstrichen seien, sei es ohne weiteres möglich, dass in dieser Zeit ein Sinneswandel der Klägerin stattgefunden habe.
Auf den Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 30.8.2001 die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen. Dieser Beschluss wurde der Beklagten am 25.9.2001 zugestellt.
Mit am 4.10.2001 eingegangenem Schriftsatz beantragt die Beklagte,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15.11.2000 – 7 K 4694/99 – zu ändern und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung macht sie geltend: In Anbetracht der Gesamtumstände sei davon auszugehen, dass die Klägerin bereits bei der Beantragung der Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft beabsichtigt habe, diese später wieder anzunehmen. Des weiteren sei davon auszugehen, dass sie wieder türkische Staatsangehörige sei. Die mit der unstrittigen Annahme des türkischen Passes verbundene Vermutung, dass sie türkische Staatsangehörige sei, sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht widerlegt. Die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit liege zeitlich vor der Wiedererlangung des Passes und sei daher nicht geeignet, die Vermutungswirkung zu entkräften. Dasselbe gelte für die Auskunft des türkischen Generalkonsulats vom 5.5.1997, weil diese letztlich keine konkrete Aussage hinsichtlich des Falles der Klägerin beinhalte. Hinzu komme, dass die ehemalige Praxis, türkische Pässe an nicht türkische Staatsangehörige wieder auszuhändigen, nach Aussage der türkischen Botschaft auch nach türkischem Recht unzulässig sei. In Fällen dieser Art sei es Sache der betreffenden Person, nachzuweisen, dass sie die türkische Staatsangehörigkeit nicht mehr besitze, indem sie ihren türkischen Pass zurückgebe oder ungültig stempeln lasse. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatigkeit seien unzutreffend. Ebenso gingen die Erwägungen des Verwaltungsgerichts fehl, es sei unzulässig, hinsichtlich des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit danach zu differenzieren, ob diese durch Abstammung oder durch Einbürgerung erworben sei. Denn eine Rücknahme komme nur bei der Einbürgerung in Betracht und werde im übrigen vom Verwaltungsgericht selbst nicht als grundsätzlich unzulässig erachtet.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend: Es sei nicht nachgewiesen, dass sie bereits zum Zeitpunkt ihrer Einbürgerung beabsichtigt habe, die Voraussetzung des Verzichts auf ihre bisherige Staatsangehörigkeit nur zum Schein zu erfüllen und die türkische Staatsangehörigkeit später wieder anzunehmen; ein erst nachträglich gefasster Entschluss, die türkische Staatsangehörigkeit wieder anzunehmen, habe nach § 25 Abs. 1 RuStAG in der damals gültigen Fassung nicht zum Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit führen können.
Auf Verfügung des Senats vom 17.12.2001 legte die Klägerin am 3.1.2002 eine Kopie ihres türkischen Passes vor, aus der sich ergibt, dass dieser am 13.8.1987 ausgestellt und am 20.12.1988 bis zum 19.12.1993 verlängert wurde. Weitere Verlängerungen erfolgten am 23.12.1994 bis zum 18.12.1998 und am 17.12.1998 bis zum 18.12.1999. Des weiteren wurde die Namensänderung der Klägerin am 17.12.1998 in den Pass eingetragen. Auf Anfrage teilte die Klägerin mit, ein neuer Pass sei ihr nicht ausgestellt worden.
Dem Senat liegen die Akten der Beklagten, die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Stuttgart und die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf diese Unterlagen sowie die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Diese waren Gegenstand der Berufungsverhandlung.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Berufung der Beklagten ist nach ihrer Zulassung statthaft und auch im übrigen zulässig. Die Beklagte hat die Berufung insbesondere innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Beschlusses über ihre Zulassung ausreichend begründet und einen bestimmten Antrag gestellt (§ 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO a.F.).
Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat – im Ergebnis – zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 16.8.1999 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 22.9.1999 aufgehoben. Denn diese Bescheide leiden an einem Ermessensfehler, sind daher rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 114 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass eine Einbürgerung nach § 48 LVwVfG zurückgenommen werden kann, wenn sie rechtswidrig ist. Eine erleichterte Einbürgerung nach § 86 AuslG a.F. ist dann rechtswidrig, wenn ihre tatbestandlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Einbürgerung nicht vorlagen. Das ist auch der Fall, wenn der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der Einbürgerung beabsichtigt hat, seine bisherige Staatsangehörigkeit umgehend wieder anzunehmen. Ob eine solche Absicht bei der Klägerin bestand, ist bisher nicht abschließend geklärt und kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben. Denn die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung steht im Ermessen der Einbürgerungsbehörde, das diese hier fehlerhaft betätigt hat. Eine fehlerfreie Ausübung dieses Ermessens setzt nämlich voraus, dass sich die Einbürgerungsbehörde davon überzeugt hat, dass ein Lebenssachverhalt vorliegt, der zur Rechtswidrigkeit der Einbürgerung führt. Lässt die Einbürgerungsbehörde dies – wie hier – ausgehend von einer unzutreffenden Rechtsauffassung letztlich offen, ist die Rücknahme der Einbürgerung ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.
Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung ist § 48 LVwVfG, da keine speziellen Bestimmungen im Staatsangehörigkeitsgesetz bestehen, die den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts vorgehen, und das Staatsangehörigkeitsrecht den Verlust der Staatsangehörigkeit auch nicht abschließend regelt und damit die Anwendbarkeit des § 48 LVwVfG ausschließt (Senatsbeschluss vom 9.5.1990 – 13 S 2666/89 -, NVwZ 1990,1198; Hailbronner in Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht 3. Aufl. 2001, § 8 StAG RdNr. 129; Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, § 16 RuStAG RdNr. 32). Die den Verlust der Staatsangehörigkeit regelnden Vorschriften der §§ 17 ff. StAG enthielten auch in der zur Zeit des Erlasses des Widerspruchsbescheids (22.9.1999) geltenden Fassung keine Bestimmungen über die Rücknahme bzw. sonstige Aufhebung rechtswidriger Einbürgerungen oder deren Unwirksamkeit. Auch sonst behandelt das Staatsangehörigkeitsrecht rechtswidrige Einbürgerungen nicht allgemein, sondern lediglich spezielle Fallgestaltungen, deren Regelung nicht verallgemeinert werden kann (so betrifft § 24 StARegG lediglich die Unwirksamkeit der Einbürgerung deutscher Volkszugehöriger nach dem StARegG). Dem Zusammenhang dieser Bestimmungen lässt sich nicht entnehmen, dass das allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz keine Anwendung finden soll, so dass es bei dessen im Zweifel anzunehmender ergänzender Anwendbarkeit bleibt (vgl. Senatsbeschluss vom 9.5.1990, a.a.O.)
Der Rücknahme von Einbürgerungen nach § 48 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG steht Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG nicht entgegen. Denn diese Bestimmung, wonach die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden darf, schützt nur die wohlerworbene Staatsangehörigkeit (Senatsbeschluss vom 9.5.1990, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2.9.1996, NVwZ-RR 1997, 742; OVG Hamburg, Urteil vom 28.8.2001, InfAuslR 2002, 81; Hess. VGH, Urteil vom 18.5.1998, NVwZ-RR 1999, 274; Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., Art. 16 GG, RdNr. 7 und § 91 AuslG RdNr. 26; a.A.: OVG Berlin, Urteil vom 2.11.1988 – 1 B 53.87 – zitiert nach juris; Berlit in GK-Staatsangehörigkeitsrecht; § 91 AuslG RdNr. 99 ff.). Für die Möglichkeit der Rücknahme rechtswidriger Einbürgerungen spricht mit Blick auf die Einheit der Verfassung zudem der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG; Renner in Hailbronner/Renner, a.a.O., Art. 16 GG RdNr. 36). Dies gilt insbesondere für die durch falsche Angaben erschlichene Staatsangehörigkeit.
Eine Einbürgerung ist u.a. dann rechtswidrig und kann somit nach § 48 Abs. 1 LVwVfG zurückgenommen werden, wenn die nach den zur Zeit der Einbürgerung geltenden Bestimmungen erforderlichen Voraussetzungen einer Einbürgerung nicht vorlagen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde, mit der die Einbürgerung wirksam wird (vgl. §§ 91 Satz 1 AuslG a.F., 16 Abs. 1 RuStAG; nach derzeitiger Rechtslage: §§ 91 Satz 2 AuslG, 16 Abs. 1 StAG).
Eine erleichterte Einbürgerung nach § 86 AuslG a.F. ist – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – rechtswidrig, wenn der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde beabsichtigt, umgehend nach seiner Einbürgerung beziehungsweise nach der darauf erfolgenden Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit diese wieder anzunehmen (vgl. Hailbronner in Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht 3. Aufl. § 85 AuslG RdNr. 42: Rücknahme der Einbürgerung zu erwägen). Denn bei einem solchen inneren Vorbehalt fehlt es an der Voraussetzung der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F.; ebenso nach § 85 Abs. Satz 1 Nr. 4 AuslG n.F.), über deren Vorliegen der Einbürgerungsbewerber dann täuscht, wenn er diesen Vorbehalt nicht offenlegt.
Eine solche Auslegung des § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. ergibt sich aus dem Wortlaut und dem Zweck dieser Bestimmung unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers. Der Begriff des „Aufgebens“ beinhaltet ein Element der Dauerhaftigkeit; die „Aufgabe“ einer Rechtsposition oder eines Rechtsstatus bedeutet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein Verhalten, das zum dauerhaften Verlust dieser Rechtsposition führt. Darüber hinaus hat das Wort „aufgeben“ auch ein subjektives Element in dem Sinne, dass der Wille des Aufgebenden darauf gerichtet sein muss, den Verlust der Rechtsposition (bzw. das Ende der Tätigkeit, des Betriebes etc.) in diesem oben dargelegten Sinne, das heißt als nicht nur vorübergehenden Zustand herbeizuführen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass ein Fortbestehen dieses Willens über den Zeitpunkt der Einbürgerung hinaus nicht mehr vom Tatbestandsmerkmal der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit umfasst ist, so dass ein der Einbürgerung zeitlich nachfolgender Entschluss, sich nunmehr wieder in seinen früheren Staatsverband einbürgern zu lassen, die Einbürgerung nicht – nachträglich – rechtswidrig werden lässt. (vgl. Berlit, in GK- Staatsangehörigkeitsrecht § 91 RdNr. 111; Makarov/v. Mangoldt, a.a.O. § 91 RdNr. 27).
Für die Auslegung, dass das Aufgeben der bisherigen Staatsangehörigkeit i.S.d. § 86 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG a.F. (und dementsprechend auch i.S.d. § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG n.F.) voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber nicht bereits zur Zeit seiner Einbürgerung beabsichtigt, seine bisherige Staatsangehörigkeit alsbald wieder anzunehmen, spricht insbesondere der Zweck der Bestimmung, der erkennbar darauf gerichtet ist, Mehrstaatigkeit durch Einbürgerung dauerhaft zu vermeiden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Einbürgerungsvoraussetzungen nach § 86 Abs. 1 AuslG a.F. auch dann als erfüllt anzusehen sind, wenn der Einbürgerungsbewerber sich aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit entlassen lässt, nur um diese nach seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband umgehend wieder anzunehmen. Denn in diesem Falle wäre der – dann nur vorübergehende – Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit eine sinnentleerte Formalie. Anderes kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht mit dem Hinweis auf völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland begründet werden, die bereits dann erfüllt seien, wenn nicht unmittelbar durch die Einbürgerung eine Mehrstaatigkeit begründet werde, sondern es dem Herkunftsstaat überlassen bleibe, den in den deutschen Staatsverband Aufgenommenen seinerseits wieder einzubürgern. Der Hinweis im verwaltungsgerichtlichen Urteil auf die Präambel der Haager Konvention vom 12.4.1930 trägt bereits deshalb nicht, weil die Haager Konvention nur von relativ wenigen Staaten ratifiziert wurde, zu denen das Deutsche Reich – als Rechtsvorgänger der Bundesrepublik Deutschland – nicht gehörte (Hailbronner in Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. Einl. E RdNr. 12) und zudem keine verbindlichen Regelungen zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit bei Einbürgerungen enthält (Hailbronner, a.a.O. Einl. F RdNr. 7). Aber auch das Ãœbereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6.5.1963 (BGBl. 1969 II, S. 1954), das von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert (BGBl. 1969 II, S. 1953), von der Türkei jedoch nicht unterzeichnet wurde (vgl. zu den Signatarstaaten: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. S. 1026), ist nicht geeignet, die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung zu tragen. Denn dieses Abkommen zielt gerade auf die dauerhafte Vermeidung der Mehrstaatigkeit, so dass eine Auslegung des § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F., die letztlich die Mehrstaatigkeit ohne Beschränkung ermöglicht, soweit der Herkunftsstaat dabei mitwirkt, mit dem Geist dieses Abkommen unvereinbar ist. Im übrigen spricht die Tatsache, dass § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. ohne Beschränkung für alle Einbürgerungsbewerber – und nicht nur für die Staatsangehörigen der Signatarstaaten – gilt, dagegen, dass mit dieser Bestimmung letztlich nur Interessen des Herkunftsstaates an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit verfolgt werden sollen. Denn das allgemeine Völkerrecht verbietet doppelte oder mehrfache Staatsangehörigkeit nicht (BVerfG, Beschluss vom 21.5.1974, BVerfGE 37, 217, 218; Hailbronner, a.a.O. Einl. F RdNr. 4), so dass eine völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik, ein solches Interesse zu schützen, nicht besteht.
Es ist vielmehr davon auszugehen, dass § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. es nicht letztlich dem Herkunftsstaat des Einbürgerungsbewerbers überlassen will, ob dieser Mehrstaater wird, sondern das Ziel verfolgt, die Mehrstaatigkeit grundsätzlich auf Dauer zu verhindern. Denn jedenfalls seit dem 20. Jahrhundert verfolgt das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht den Grundsatz, dass Mehrstaatigkeit durch Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unter Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit und auch im übrigen so weit wie möglich vermieden werden soll. Dies wird nicht nur mit der Umsetzung der im Ãœbereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6.5.1963 übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen begründet; dieses Abkommen selbst wird vielmehr als Ausdruck auch innerstaatlicher Anschauungen gesehen. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21.5.1974 (BVerfGE 37, 217), die Mehrstaatigkeit als „Ãœbel“ bezeichnet und dies – unter anderem – mit den Loyalitätsanforderungen der Staaten und deren Interesse an einer klaren Abgrenzung der Personalhoheit begründet (vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 18.8.1981, BVerwGE 64, 7, 10 und Beschluss vom 29.9.1993, InfAuslR 1994, 104; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. Einl. Teil F RdNr. 5 ff.; Makarov/v. Mangoldt a.a.O. § 85 RdNr. 28; Marx, Staatsangehörigkeitsrecht § 9 RuStAG, RdNr. 16).
Auch systematische Erwägungen sprechen für die hier vertretene Auslegung des § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. Das Bestreben, Mehrstaatigkeit zu vermeiden, findet außer in den §§ 86 Abs. 1 Nr. 1, 85 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. auch in der entsprechenden Regelung des durch das RuStAÄndG 1969 geänderten § 9 Abs. 1 Nr. 1 RuStAG (heute: § 9 Abs. 1 Nr. 1 StAG) Ausdruck. Die allgemeine Bestimmung über die Ermessenseinbürgerung nach § 8 RuStAG wurde (und wird im Rahmen des § 8 StAG) nach den Einbürgerungsrichtlinien ebenfalls so gehandhabt, dass Mehrstaatigkeit grundsätzlich vermieden werden soll (vgl. Nr. 5.3 der Einbürgerungsrichtlinien vom 15.12.1977 <GMBl. 1978, S. 16, 18> und auch die aktuelle StAR-VwV vom 13.12.2000 <GMBl. 2001, S. 122, 129>).
Der Hinweis auf den mittlerweile außer Kraft getretenen (und durch §§ 7, 40a StAG ersetzten) § 6 StARegG, wonach Statusdeutsche auch ohne Aufgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit eingebürgert wurden, kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht als Begründung dafür herangezogen werden, dass das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht Einbürgerungen unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit im Allgemeinen neutral gegenüberstehe. Denn diese Bestimmung bezog sich nur auf Deutsche i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG, deren Rechtsstatus ohnehin weitgehend dem der deutschen Staatsangehörigen entspricht. Demgegenüber soll bei der erleichterten Einbürgerung von Ausländern nach §§ 85 ff. AuslG nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen die Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung hingenommen werden, wie sich auch aus § 87 AuslG ergibt. Es handelt sich hierbei neben der Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen im Hinblick auf die vom Herkunftsstaat geforderte Ableistung des Wehrdienstes nach Ermessen von der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit abzusehen (§ 87 Abs. 2 AuslG a.F.), um eng umgrenzte – hier nicht einschlägige – Fallkonstellationen, in denen die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit aus nicht vom Einbürgerungsbewerber zu vertretenden Gründen unmöglich ist oder scheitert oder Entlassungsbemühungen als unzumutbar anzusehen sind (vgl. § 87 Abs. 1 AuslG a.F.). Zwar hat § 87 AuslG durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.7.1999 (BGBl. I, S. 1618) nunmehr eine Erweiterung erfahren, so dass die Mehrstaatigkeit in weiteren Fällen hinzunehmen ist. Diese Novellierung erfolgte jedoch nach der Einbürgerung der Klägerin und stellt zudem das Erfordernis des Verlusts bzw. der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht grundsätzlich in Frage (vgl. BT-Drs. 14/533, S. 11, 12, 18).
Die Tatsache, dass das Staatsangehörigkeitsrecht in Fällen des gesetzlichen Erwerbs der Staatsangehörigkeit durch Abstammung nach § 4 Abs. 1 RuStAG (jetzt: § 4 Abs. 1 StAG) die Mehrstaatigkeit in Kauf nimmt, spricht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dagegen, dass das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht das Ziel verfolgt, so weit wie möglich Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Dass dies nicht ausnahmslos geschehen kann, stellt diesen Grundsatz nicht in Frage und kann jedenfalls nicht zur Auslegung einer Bestimmung herangezogen werden, deren Zweck ersichtlich die Vermeidung von Mehrstaatigkeit ist. Auch die – ebenfalls nach der Einbürgerung der Klägerin erfolgte – Neuregelung in den §§ 4 Abs. 3, 40 b StAG, wonach für die dort genannten Fälle im Interesse der Integration der betroffenen Kinder in die deutschen Lebensverhältnisse eine Mehrstaatigkeit hingenommen wird (vgl. Renner in Hailbronner/Renner a.a.O., § 4 RdNr. 84), vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen, zumal diese Mehrstaatigkeit nur vorübergehend in Kauf genommen wird (vgl. hierzu § 29 StAG).
Dafür, dass der in § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. zum Ausdruck kommende Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatigkeit nach wie vor hohen Rang hat, spricht des weiteren die Begründung des Regierungsentwurfs der §§ 86 ff. AuslG a.F. (BT-Drs. 11/6321, S. 47), in der ausgeführt wird: „… auch eine generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit würde dem Ziel einer Hinführung zu einer Loyalität zu unserem Staat nicht dienen. Das deutsche Einbürgerungsrecht ist vom Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit geprägt. Mehrfache Staatsangehörigkeit wird immer noch innerstaatlich und international als eine Erscheinung betrachtet, die sowohl im Interesse des Staates wie im Interesse der Bürger möglichst vermieden werden sollte (vgl. BVerfG Bd. 37, S. 217 ff., 254). Die Vermeidung von Mehrstaatigkeit – jedenfalls bei der Einbürgerung – ist auch ein international beachteter Grundsatz, welcher in dem Europarats-Ãœbereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit vom 6. Mai 1963 seinen Ausdruck findet. In dem ernsthaften und nachhaltigen Bemühen um Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit ist ein entscheidendes Kriterium für eine Zuordnung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland zu sehen.“ Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber jedenfalls nicht nur mögliche Konflikte zwischen dem Einbürgerungsbewerber und seinem Heimatstaat im Blick hatte, sondern dass entscheidend die Vorstellung eingeflossen ist, dass die Hinnahme von Mehrstaatigkeit der Integration abträglich sei und zu die Interessen der Bundesrepublik beeinträchtigenden Loyalitätskonflikten führe. Zwar umfasste der Entwurf der Bundesregierung zunächst den späteren § 86 AuslG nicht (dieser wurde erst auf Vorschlag des Innenausschusses eingeführt, BT-Drs. 11/6960, S. 28). Es ist aber nicht ersichtlich, dass das Erfordernis der Aufgabe bzw. des Verlusts der bisherigen Staatsangehörigkeit im Rahmen des § 86 AuslG a.F. anderen Zwecken als bei § 85 AuslG a.F. dienen sollte.
Die oben dargelegte Auslegung des „Aufgebens“ der bisherigen Staatsangehörigkeit i.S.d. § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F., wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass § 25 RuStAG in der zur Zeit der Einbürgerung der Klägerin geltenden Fassung einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit auf Antrag nur dann vorsah, wenn der Betreffende keinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Denn § 25 RuStAG regelt den Verlust der „wohlerworbenen“ deutschen Staatsangehörigkeit, während es hier um die Frage geht, ob ein solcher rechtmäßiger Erwerb überhaupt vorliegt. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass eine gleichheitswidrige Behandlung von Deutschen drohe, die ihre Staatsangehörigkeit aufgrund einer Einbürgerung und nicht durch Abstammung erworben hätten, ist nicht zutreffend. Denn § 25 RuStAG galt in der früheren Fassung (und gilt in seiner aktuellen Fassung, vgl. § 25 StAG) für alle Deutschen unabhängig davon, wie sie ihre Staatsangehörigkeit erworben haben. Er ist beispielsweise auch dann anzuwenden, wenn der Entschluss, die frühere Staatsangehörigkeit wieder anzunehmen, erst nach der Einbürgerung gefasst wurde. Auch die vom Verwaltungsgericht zitierte Änderung des § 25 RuStAG durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.7.1999 (BGBl. I S. 1618) und deren Begründung, wonach eine Umgehung des Grundsatzes der Vermeidung von Mehrstaatigkeit verhindert werden soll (BT-Drs. 14/533, S. 33), lassen keine anderen Schlüsse zu. Der Gesetzgeber wollte damit nicht zum Ausdruck bringen, dass es im Rahmen des §§ 85 ff. AuslG ausreicht, von vorneherein nur vorübergehend auf die bisherige Staatsangehörigkeit zu verzichten. Er hat vielmehr den Problemen, einen solchen geheimen Vorbehalt nachzuweisen, Rechnung getragen.
Im vorliegenden Fall ist nicht abschließend geklärt, ob die Klägerin bereits bei der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde im September 1992 beabsichtigt hat, sich alsbald nach ihrer Einbürgerung bzw. nach ihrer im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens in die Wege geleiteten Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit, wieder in den türkischen Staatsverband einbürgern zu lassen. Zwar spricht einiges dafür, dass sie die türkische Staatsangehörigkeit nach ihrer Einbürgerung wiedererlangt hat. Ihr türkischer Reisepass wurde ihr jeweils am 23.12.1994 bis zum 18.12.1998 und am 17.12.1998 bis zum 18.12.1999 verlängert. Darüber hinaus wurde auch die Namensänderung der Klägerin im Jahre 1998 in ihren Pass eingetragen. Damit dürfte aus den sogleich darzulegenden Gründen zwar noch nicht ab Dezember 1994, aber ab Dezember 1998 Art. 38 Abs. 2 c des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 vom 11.2.1964 (TStAG) greifen, wonach an den Besitz eines türkischen Passes bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung anknüpft, der Betreffende sei türkischer Staatsangehöriger. Diese Vermutung ist hier nicht bereits im Hinblick auf die Urkunde über die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit am 19.3.1993 widerlegt, da – worauf die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung vom 4.10.2001 zu Recht hinweist – die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft vor der Rückgabe und der Verlängerung des Passes erfolgte und daher nicht geeignet ist, die Vermutung zu widerlegen. Die Auskünfte des türkischen Generalkonsulats vom 5.5.1997 und vom 28.5.1997 legen jedoch nahe, dass die Passverlängerung im Dezember 1994 erfolgte, obwohl die Klägerin zu dieser Zeit nicht die türkische Staatsangehörigkeit besaß. Denn in diesen Auskünften wird ausgeführt, einzelne eingebürgerte deutsche Staatsbürger türkischer Abstammung würden ihre türkischen Pässe „beibehalten“, um damit Angelegenheiten in der Türkei – wie z.B. Finanzen oder Erbschaften – regeln zu können. In die betreffenden Pässe werde vom Generalkonsulat „kein eigener Vermerk für solche Fälle vorgenommen, jedoch in unserem Datenträger“. Die nicht näher eingeschränkte Verwendung des Wortes „Beibehalten“ in diesen Auskünften schließt auch die Möglichkeit einer Passverlängerung im Dezember 1994 trotz fehlender türkischer Staatsangehörigkeit zum Zweck der Regelung von Angelegenheiten in der Türkei ein. Bei dieser Sachlage kann im Hinblick auf die Passverlängerung im Dezember 1994 die Vermutung nach Art. 38 Abs. 2 c TstAG als widerlegt gelten. Dies gilt aber nicht für die Passverlängerung im Dezember 1998, da die türkischen Auslandsvertretungen im Gefolge der Änderung des türkischen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahre 1995 angewiesen worden sind, bei Aushändigung der Entlassungsurkunde aus der türkischen Staatsangehörigkeit gleichzeitig die türkischen Reisepässe ungültig zu stempeln und nach Aussage der türkischen Botschaft vom Herbst 1997 gegenüber dem Auswärtigen Amt die entgegenstehende Praxis des türkischen Generalkonsulats in Stuttgart unzulässig sei und die Botschaft diese Praxis gegenüber dem Generalkonsulat ansprechen wolle (vgl. die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3.11.1997 an den Oberbürgermeister der Beklagten). Ob im Hinblick darauf davon auszugehen ist, dass die Klägerin jedenfalls derzeit türkische Staatsangehörige ist, kann aber offen bleiben. Denn jedenfalls ist nicht geklärt, ob eine Absicht der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde bestand, die türkische Staatsangehörigkeit wiederzuerwerben oder ob sie sich erst aufgrund eines nachträglichen und dann für die Rechtmäßigkeit der Einbürgerung unmaßgeblichen Entschlusses um die Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit bemüht hat. Zur Klärung dieser Frage wäre die Ermittlung erforderlich gewesen, ob und – vor allem – wann die Klägerin beim dafür zuständigen türkischen Ministerrat die Wiedereinbürgerung beantragt hat. Das türkische Generalkonsulat in Stuttgart hatte bereits in seiner Auskunft an die Beklagte vom 5.5.1997 darauf hingewiesen, dass ein derartiger Antrag zum Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit erforderlich ist und die türkischen Auslandsvertretungen insoweit keinerlei Zuständigkeiten besäßen. Da die Klägerin von Anfang an bestritten hat, einen Wiedereinbürgerungsantrag gestellt zu haben und das türkische Generalkonsulat bereits in seiner Auskunft vom 5.5.1997 unmissverständlich mitgeteilt hatte, insoweit mangels eigener Zuständigkeit keine Auskünfte geben zu können, war eine weitere Aufklärung nur durch Einholung einer amtlichen Auskunft (über das Auswärtige Amt) beim türkischen Ministerrat möglich. Die Beklagte ist jedoch im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, eine solche Aufklärung sei entbehrlich. Denn der Einbürgerungsbescheid sei schon deshalb rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin von vornherein die Absicht gehabt habe, sich den türkischen Reisepass wieder zu beschaffen und auf diese Weise „faktisch und damit materiell-rechtlich“ Mehrstaatigkeit zu genießen. Diese Rechtsauffassung ist jedoch unzutreffend. Da die Beklagte somit beim Erlass der Rücknahmeverfügung von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, leidet diese Verfügung an einem Ermessensfehler.
Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung setzt unter anderem voraus, dass die zuständige Behörde die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens erkennt und nicht überschreitet (Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 114 RdNr. 4; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 40 RdNr. 75). Dies erfordert, dass sie ausgehend von den zutreffend ermittelten rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen eines möglichen Einschreitens zu der Überzeugung gelangt ist, dass ein Sachverhalt vorliegt, der sie zu einem Einschreiten ermächtigt. Es begründet einen Ermessensfehler, wenn die zuständige Behörde ihrer Ermessensbetätigung maßgebend eine unzutreffende Rechtsauffassung zugrundelegt, und aus diesem Grunde eine entscheidungserhebliche Sachverhaltsfrage in der unzutreffenden Annahme offen lässt, dass sie unabhängig von der Beantwortung dieser Frage auf jedem Fall zum Einschreiten ermächtigt sei. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Entgegen der von der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 14.8.2002 geäußerten Auffassung ergibt eine am Empfängerhorizont orientierte Auslegung des angefochtenen Bescheides vom 16.8.1999, auf den der – für die Ermessensüberprüfung maßgebliche (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) – Widerspruchsbescheid vom 22.9.1999 auch hinsichtlich der Ermessensbetätigung lediglich verweist, dass die Beklagte es als ausreichend für die Rechtswidrigkeit der Einbürgerung angesehen hat, wenn die Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Einbürgerung beabsichtigte, sich – auch ohne Wiedereinbürgerung in den türkischen Staatsverband – lediglich faktisch auch künftig als türkische Staatsbürgerin behandeln und insbesondere ihren türkischen Pass wieder aushändigen zu lassen. Dies ergibt sich daraus, dass der Klägerin auf Seite 3 des Bescheides vom 16.8.1999 vorgeworfen wird, sie habe offensichtlich und unbestritten bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung die Absicht gehabt, zumindest materiell-rechtlich den Zustand der Mehrstaatigkeit herbeizuführen. Was mit der Formulierung „zumindest materiell-rechtlich“ gemeint ist, wird dann im letzten Absatz auf dieser Seite erläutert, in dem ausgeführt wird, die Klägerin könne sich mit diesem (türkischen) Pass uneingeschränkt als türkische Staatsangehörige legitimieren und die damit verbundenen Rechtsvorteile beanspruchen, genieße also faktisch und damit materiell-rechtlich Mehrstaatigkeit. Für diese Gleichstellung von „faktischer“ und „materiell-rechtlicher“ Staatsangehörigkeit durch die Beklagte spricht des weiteren die Formulierung, „selbst wenn die Klägerin tatsächlich nur den türkischen Pass wiedererhalten habe, was nach den allgemeinen Aussagen des türkischen Generalkonsulats zumindest nicht ausgeschlossen werden könne, ändere dies nichts an dem Vorwurf der Täuschung über die fehlende Bereitschaft, die türkische Staatsangehörigkeit dauerhaft aufzugeben“. Diese Ausführungen lassen für einen verständigen Empfänger nur den Schluss zu, dass die Beklagte von „zumindest materiell-rechtlicher“ Mehrstaatigkeit auch dann ausgeht, wenn der Eingebürgerte zwar kein türkischer Staatsangehöriger mehr ist, ihm jedoch nach seiner Einbürgerung vom Generalkonsulat der türkische Pass wieder ausgehändigt wurde. Angesichts dessen lässt die von der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 14.8.2002 zitierte Passage auf Seite 3 des angefochtenen Bescheids, „auch wenn Sie sich in ihren Behauptungen im Verwaltungsverfahren darauf beschränken, Sie hätten nur den türkischen Pass zurückerhalten, so ergibt sich doch aus dem Bericht eindeutig, dass es um den Besitz der doppelten Staatsangehörigkeit ging und der Besitz beider Pässe mit dem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gleichgesetzt wurde“ nicht hinreichend klar erkennen, dass die Beklagte der Klägerin vorwirft, sie habe die Absicht gehabt, sich wieder nach den Bestimmungen des türkischen Staatsangehörigkeitsrechts in den türkischen Staatsverband einbürgern zu lassen. Denn da die Beklagte das Beibehalten des türkischen Passes und die faktische Inanspruchnahme der damit verbundenen Vorteile neben der deutschen Staatsangehörigkeit als „Mehrstaatigkeit“ bezeichnet, ist für den Empfänger nicht eindeutig, dass dem Begriff „doppelte Staatsangehörigkeit“ eine andere Bedeutung beigemessen werden sollte, zumal der Hinweis darauf, dass die Klägerin den Besitz beider Pässe möglicherweise mit dem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gleichsetze, den Schluss nahe legt, man werfe ihr (lediglich) vor, dass sie die Aushändigung ihres türkischen Passes erstrebt habe, weil dies für sie den Besitz der doppelten Staatsangehörigkeit bedeutet habe. Dementsprechend wird auch im Rahmen der Ermessensbetätigung (Seite 4 des angefochtenen Bescheids) auf die arglistige Täuschung abgestellt, mit der die Klägerin ihre Einbürgerung „unter Herbeiführung einer zumindest materiell-rechtlichen Mehrstaatigkeit“ erreicht habe. Ausgehend von diesem Verständnis hat die Beklagte nicht ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin bei ihrer Einbürgerung die Absicht gehabt habe, alsbald die türkische Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen.
Anders als im angefochtenen Bescheid ausgeführt, ist eine Einbürgerung jedoch nur dann trotz zunächst erfolgter Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit wegen deren fehlender Aufgabe i.S.d. § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. rechtswidrig, wenn der Einbürgerungsbewerber zur Zeit der Einbürgerung beabsichtigt, seine bisherige Staatsangehörigkeit alsbald wieder anzunehmen. Ohne Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der Einbürgerung ist es demgegenüber, wenn der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt seiner Einbürgerung beabsichtigt, eine ihm von den Behörden seines Heimatstaates eröffnete Möglichkeit zu nutzen, trotz der Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit im Besitz des durch seinen Heimatstaat ausgestellten Passes zu bleiben, solange dies nicht mit der Wiedereinbürgerung verbunden ist. Denn eine solche Praxis der türkischen Generalkonsulate begründet keine Mehrstaatigkeit, da sie nicht dazu führte, dass der Betreffende wieder türkischer Staatsangehöriger wird. Die Wiedereinbürgerung setzt eine Entscheidung des türkischen Ministerrats auf Antrag des Betroffenen voraus (Art. 6 ff. TürkStAG), die in diesen Fällen gerade fehlt. Eine faktische Staatsangehörigkeit gibt es demgegenüber nicht; im übrigen ist es unschädlich, wenn der Eingebürgerte auch nach seiner Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit durch seinen Herkunftsstaat eine günstigere Behandlung erfährt, als sie sonstigen Ausländern durch diesen Staat zuteil wird, wie dies beispielsweise das türkische Staatsangehörigkeitsrecht nach seiner Reform im Jahre 1995 vorsieht (vgl. Art. 29 TürkStAG i.d.F. vom 7.6.1995).
Die Beklagte konnte diesen Ermessensfehler auch nicht dadurch beheben, dass sie im Berufungsverfahren (vgl. die Schriftsätze vom 14.8.2002 und vom 7.3.2001) die Auffassung vertreten hat, die Klägerin habe bereits bei ihrer Einbürgerung beabsichtigt, die türkische Staatsangehörigkeit wieder anzunehmen. Zwar kann die Beklagte als Trägerin der Ausgangsbehörde ihre Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren und somit auch im Berufungsverfahren ergänzen. Die Grenze für die Zulässigkeit einer solchen Ergänzung ergibt sich jedoch aus dem materiellen und dem Verwaltungsverfahrensrecht (BVerwG, Urteil vom 5.5.1998, BVerwGE 106, 351; Gerhardt, a.a.O. RdNr. 12 f.; Rennert in Eyermann, VwGO, 11. Aufl. § 114 RdNr. 85). Eine solche Ergänzung ist nur zulässig, wenn die nachträglich von der Behörde angegebenen Gründe schon bei Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes vorlagen, der Verwaltungsakt durch sie in seinem Wesen nicht geändert und der Betroffene in seiner Rechtsverteidigung nicht beeinträchtigt wird (BVerwG, Urteile vom 15.6.1971, BVerwGE 38, 191, 194 f., vom 28.11.1980, BVerwGE 61, 200, 210 und vom 16.6.1997, BVerwGE 105, 551). Diese Grenze ist hier überschritten, da es zu einer wesentlichen Änderung des angefochtenen Bescheides führen würde, wenn die Rücknahme nunmehr entsprechend den Ausführungen in den Schriftsätzen der Beklagten vom 7.3.2001 und vom 14.8.2002 auf eine bereits bei Einbürgerung vorgefasste Absicht, alsbald die türkische Staatsangehörigkeit wieder anzunehmen, gestützt würde. Denn eine solche Wesensänderung liegt nicht nur dann vor, wenn der Regelungsausspruch geändert oder erstmals überhaupt Ermessenserwägungen angestellt werden – was hier beides nicht der Fall ist – sondern auch dann, wenn die nachträgliche Ermessenserwägung zu einer neuen – gegebenenfalls inhaltsgleichen – Ermessensentschließung führt (Rennert, a.a.O., RdNr. 89). Das ist dann der Fall, wenn die die Ermessensentscheidung tragenden Gründe ausgewechselt werden (BVerwG, Urteil vom 5.5.1998, a.a.O.). Das wäre bei Einbeziehung der in den Schriftsätzen vom 7.3.2001 und vom 14.8.2002 vorgetragenen Erwägungen der Fall. Denn damit würde die maßgebliche Entscheidungsgrundlage durch eine andere ersetzt. Es stellt eine neue Ermessensentschließung dar, wenn nicht mehr – ausgehend von einer unzutreffenden Rechtsauffassung – offen gelassen wird, ob die Klägerin bereits zur Zeit der Einbürgerung die Absicht hatte, die türkische Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben, sondern die Rücknahme nunmehr auf eine solche Absicht gestützt wird. Denn damit werden die rechtlichen Grundlagen der Entscheidung wesentlich geändert (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 3.12.2001, AuAS 2002, 76 zu einer gerichtlichen Ermessensüberprüfung der Rücknahme einer Einbürgerung), wobei darauf hinzuweisen ist, dass eine derartige Absicht der Klägerin derzeit ohnehin nicht nachgewiesen ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht war nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Ekrem Senol – Köln, 10.07.2007