Staatsakt für Neudeutsche
29. Juni 2006 | Von E. S. | Kategorie: Leitartikel | Keine Kommentare |Günther Beckstein wäre stolz, könnte er sie jetzt sehen. Aus der schrammeligen Stereoanlage erklingen die ersten Töne der deutschen Nationalhymne. „Einigkeit und Recht und Freiheit“, quäkt der Chor vom Tonband, und die 18 frisch gebackenen Deutschen stehen genauso stocksteif da wie die meisten deutsch Geborenen zu einem solchen Anlass auch. Es ist der Augenblick, wo die neu Eingebürgerten im Rathaus von Köln-Rodenkirchen so deutsch wirken, wie sie deutscher gar nicht sein könnten. Dabei haben sie ihre neue Staatsangehörigkeit gerade erst aus den Händen von Bezirksvorsteherin Monika Roß-Belkner (CDU) erhalten.
Die acht Frauen und zehn Männer wirken so überzeugt, dass Bayerns Innenminister sich bestätigt fühlen müsste. Aber schließlich sollten eingebürgerte Deutsche in allem noch ein bisschen besser sein als „echte“ Deutsche. Wie bei dem von Beckstein (CSU) und Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) propagierten Einbürgerungstest. Auch hier sollen die Immigranten schlauer und toleranter sein und Fragen nach deutschen Philosophen, Mittelgebirgen oder der Rücksicht auf Schwule richtig und angemessen beantworten. …
Und doch soll der Moment ein feierlicher werden. So steht es in der Einladung … Sähe es finanziell nicht so schlecht aus, „würden wir es netter machen, vielleicht ein Gläschen Sekt anbieten“…
Die volljährigen Neu-Deutschen in Rodenkirchen bekommen … warme Worte von Bezirksvorsteherin Monika Roß-Belkner. „Sie haben sich entschlossen, sich zu diesem Land und seinen Menschen zu bekennen“, begrüßt die Rodenkirchener Bürgermeisterin die Einbürgerungswilligen. „Dazu möchten wir ihnen alles Gute wünschen.“ Doch bevor sie die Urkunden verteilt, die die leicht angespannt wirkenden Männer und Frauen zu Deutschen machen, hat sie noch ein wichtiges Anliegen. „Ich möchte Ihnen die ersten drei Artikel des Grundgesetzes vorlesen“, sagt Roß-Belkner. … „Und jetzt darf ich Sie ermuntern, sich für diese Gesellschaft einzusetzen, für sie aktiv zu werden“, schließt die Bezirksvorsteherin. Dazu zählt, natürlich, auch das Weiterlernen der Sprache. „Die ist die Voraussetzung, gut miteinander zu leben.“ …
Der 23-jährige Franzose darf dank eines Abkommens zwischen der Bundesrepublik und Frankreich deutsch sein, ohne aufzuhören, französisch zu sein. „Das ist auch gut so, denn ich fühle mich beiden Ländern zugehörig“, erzählt Ispas, der seit 20 Jahren in Köln lebt. „Für mich war es also kein Opfer, deutsch zu werden.“ Im Gegenteil: „Jetzt kann ich endlich wählen gehen.“
… Rodenkirchen aber bietet die Zeremonie nicht erst an, seit Beckstein sie zur Pflicht machen will. „Wir machen diese Feiern schon lange“ … Sie einen Eid auf die Verfassung schwören zu lassen, hält sie allerdings für übertrieben. „Das würde die Bezirksebene überstrapazieren.“ Auch Einbürgerungstests à la „Wer wird Millionär“ und Gesinnungstest, wie Hessen und Baden-Württemberg sie am liebsten durchgesetzt hätten, stoßen im Rodenkirchener Rathaus nicht auf Gegenliebe. „Quatsch sind solche Wissensfragen, ja, Schwachsinn“, bricht es aus der stellvertretenden Bürgeramtsleiterin Duman heraus. „Und auf Gesinnungsfragen kann man sich vorbereiten.“
Ausgerechnet mit der Verfassung passiert dann bei der Verleihung der Urkunden eine kleine Panne: Es gibt keine Grundgesetzbücher mehr. … Wenn das Herr Beckstein wüsste. …
Wie lange es dauert, variiert sehr stark. Der eine wartet drei Jahre, bei der anderen dauert es sechs Monate. Wie bei Hongyan Gong (39). Woran es gelegen hat, dass es so schnell ging, weiß die gebürtige Chinesin auch nicht. „Vielleicht, weil ich so fleißig Steuern gezahlt habe“, sagt sie und grinst. Gong ist ein Sprachtalent, spricht neben Deutsch, ihrer Muttersprache und Englisch auch fließend Norwegisch. In Deutschland lebt sie bereits seit neun Jahren, hat mit ihrem deutschen Lebensgefährten einen zweieinhalbjährigen Sohn. Warum wollte sie Deutsche werden? Gong lacht. „Das hat eher pragmatische Gründe. Ich bin im Marketing tätig, und es war immer äußerst unpraktisch für mich, mit dem chinesischen Pass auf Dienstreise zu gehen. Es ging nie spontan.“ Dafür braucht sie künftig ein Visum für die alte Heimat. …
Quelle: TAZ vom 27.6.2006 von Nadine Frenthoff
Ekrem Senol – Köln, 29.06.2006