Einführung des Ethikunterrichts in Berlin als Pflichtfach verfassungsgemäß

20. April 2007 | Von | Kategorie: Recht | 2 Kommentare |

Mit Wirkung für das Schuljahr 2006/2007 wurde im Land Berlin für die Jahrgangsstufen 7 bis 10 der öffentlichen Schulen das Fach Ethik als ordentliches Lehrfach eingeführt. Grundlage hierfür ist eine neu gefasste Bestimmung des Schulgesetzes für das Land Berlin. Die Einführung des Lehrfachs erfolgte zunächst in der Jahrgangsstufe 7, in den Folgejahren wird der Unterricht auf jeweils eine weitere Jahrgangsstufe erstreckt. Der Ethikunterricht tritt als Pflichtfach ohne Abmeldemöglichkeit neben den Religionsunterricht. Die Teilnahme am Religionsunterricht ist freiwillig.

Nachdem ihre Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Schulgesetz als unzulässig abgewiesen worden war (vgl. hierzu Pressemitteilung Nr. 67/2006 vom 20. Juli 2006), beantragten die Beschwerdeführer – eine 13- jährige Schülerin und ihre Eltern (Christen evangelischer Konfession) – unter Berufung auf religiöse Erwägungen und Gewissensbedenken bei der Berliner Schulverwaltung die Befreiung des Mädchens von der Teilnahme am Ethikunterricht. Zugleich stellten sie beim Verwaltungsgericht den Eilantrag auf Freistellung vom Besuch des Unterrichtsfachs Ethik. Ihr Begehren blieb ohne Erfolg. Die nunmehr erneut erhobene Verfassungsbeschwerde ist von der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen worden, da die Einführung eines verbindlichen Ethikunterrichts ohne Abmeldemöglichkeit weder die Religionsfreiheit der Schülerin noch das Erziehungsrecht ihrer Eltern verletzen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Die Offenheit für eine Vielfalt von Meinungen und Auffassungen ist konstitutive Voraussetzung einer öffentlichen Schule in einem freiheitlich-demokratisch ausgestalteten Gemeinwesen. Der Landesgesetzgeber darf der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten „Parallelgesellschaften“ entgegenwirken und sich um die Integration von Minderheiten bemühen. Integration setzt nicht nur voraus, dass die religiös oder weltanschaulich geprägte Mehrheit jeweils anders geprägte Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzt und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und Andersgläubigen nicht verschließt. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, kann für den Landesgesetzgeber eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule sein. Die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog ist eine Grundvoraussetzung nicht nur für die spätere Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess, sondern auch für ein gedeihliches Zusammenleben in wechselseitigem Respekt vor den Glaubensüberzeugungen und Weltanschauungen anderer. Im Rahmen des staatlichen Erziehungsauftrags darf der Landesgesetzgeber mit Rücksicht auf die tatsächlichen Gegebenheiten und die religiöse Orientierung der Bevölkerung daher die Einführung eines gemeinsamen Ethikunterrichts für alle Schüler ohne Abmeldemöglichkeit vorsehen, um so die damit verfolgten legitimen Ziele gesellschaftlicher Integration und Toleranz zu erreichen und den Schülern eine gemeinsame Wertebasis zu vermitteln. Der Berliner Landesgesetzgeber durfte davon ausgehen, dass bei einer Separierung der Schüler nach der jeweiligen Glaubensrichtung und einem getrennt erteilten Religionsunterricht oder der Möglichkeit der Abmeldung von einem Ethikunterricht den verfolgten Anliegen möglicherweise nicht in gleicher Weise Rechnung getragen werden könne wie durch einen gemeinsamen Pflicht-Ethikunterricht.

Der betroffenen Schülerin wird die Teilnahme am Religionsunterricht auch nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise erschwert. Der freiwillige Besuch des Zusatzfachs Religion führt lediglich zu einer geringfügigen zeitlichen Mehrbelastung und besteht zudem unabhängig davon, ob zu den verbindlichen Fächern der Ethikunterricht gehört oder nicht.

Quelle: BVerfG-Pressemitteilung vom 19.04.07 / Beschluss vom 15. März 2007 – 1 BvR 2780/06 –

Ekrem Senol – Köln, 20. 04.2007

2 Kommentare
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  1. Früher – damals, letztes Jahrtausend – also zu meiner schulzeit gab es – zumindest in Niedersachsen – das Fach „Werte und Normen“… allerdings als Alternative zum Religionsunterricht.

    … nur um das mal erwähnt zu haben. Neu ist die Idee schließlich nicht.

    Gruß

    Thomas

  2. […] Senat hat den Ethikunterricht vor zwei Jahren gegen den Willen vieler Eltern und der Kirchen als Pflichtfach eingeführt. Der Religionsunterricht kann seither nur zusätzlich freiwillig und ohne Benotung auf dem […]

 

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