ARD zensiert?
3. September 2008 | Von E. S. | Kategorie: Feuilleton, Leitartikel | 5 Kommentare |Ich glaube ja sowieso an keine objektive Berichterstattung. In der richtigen Mischung der unterschiedlichen Standpunkte (Berichte) liegt in meinen Augen immer noch die meiste Wahrheit. So auch in einem seit einigen Tagen in der Bloggerszene höchst aufgeregt diskutierten Fall.
Die ARD hat am Abend des 30.08.2008 nach der Tagesschau spontan eine zehn-minütige Sondersendung in das Abendprogramm geschoben. Gezeigt wurde ein kürzlich aufgezeichnetes Interview, den Thomas Roth mit dem russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin geführt hatte. Das Putin-Interview wurde als Video und Text im Internet veröffentlicht mit dem Hinweis:“im Wortlaut“ (mittlerweile korrigiert). So weit, so gut.
Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Das selbe Interview wurde nämlich vom russischen Fernesehen ebenfalls gezeigt. Dort dauerte es aber keine zehn Minuten, sondern fast eine halbe Stunde. Wo war der Rest? Was hat Putin noch gesagt? Wieso konnte man Putin keine zwanzig Minuten länger geben, während eine Sendung am selben Tag über den amerikanischen Wahlkampf über mehrere Stunden ging? Wieso wurde vorgegaukelt, als sei das Interview „im Wortlaut“? Fragen über Fragen.
Als dann aber auch noch bekannt wurde, welche Teile des Interviews weggelassen wurden von der ARD, war das Chaos perfekt. Vergleicht man das ARD-Interview mit dem Interview in voller Länge, ändert sich nicht nur die Länge, womöglich auch die Sympathie und die Meinung des Lesers in Richtung Moskau. Und das möchte man bei der ARD wohl vermeiden.
Fragt sich nur, auf wessen Anweisung Inhalte so gekürzt werden, dass gerade die Teile wegfallen, in denen Putin den russischen Standpunkt mitteilt. Wieso berichtet kaum eine Zeitung über das äußerst peinliche Vorgehen der ARD in diesem Fall, während die falsche Darstellung von Fahnen so hohe wellen Schlug? Wer leitet den ganzen Laden – ich meine nicht die ARD sondern die deutschen Medien in ihrer Gesamtheit – eigentlich?
Ich für meinen Teil habe das Putin-Interview in beiden Versionen gelesen. Mir soll niemand mehr erzählen, zumindest die öffentlich rechtlichen würden mich nicht manipulieren wollen. Besonders Makaber ist in diesem Zusammenhang eine Frage aus dem Putin-Interview, die lautet:
Sind Sie nicht selbst in der Falle Ihres eigenen autoritären Systems? Sie empfangen Information über ihre Geheimdienste, Sie empfangen Information über die Militärs, Sie empfangen Information aus Ihrer Hierarchie, in der viele Angst haben, etwas Falsches zu sagen, weil die Führung etwas anderes entscheidet. Das heißt, Sie bekommen unter Umständen auch von den Medien nicht die Wahrheit geliefert, die Sie brauchen, weil auch dort viel Angst ist, etwas Falsches zu sagen, weil möglicherweise die Führung etwas anders entscheidet, die Menschen ihre Karrieren gefährden. Und eben dieses System verstellt Ihnen dann selbst den Blick auf große internationale Entwicklungen, zum Beispiel auch auf Europa hinzusehen. Wie sehen Sie das?
Hochachtung an Putin, der es in den letzten Wochen geschaft hat, Amerika und Europa ein Spiegel vorzuhalten, die nicht blendender sein könnte.
Wir in Europa haben Pressefreiheit, das stimmt. Die Freiheit der Presse, wesentliche aber für Europa und Amerika unangenehme Teile einer historisch wertvollen Dokumentation einfach wegzulassen, wird mit öffentlichen Mitteln gewährleistet. Und dann singt man das Lied vom Mehrheitsprinzip in der Demokratie. Die Mehrheit einer handvoll Meinungsmacher, die sich die Mehrheit zurechtschnibbeln.
Leseempfehlungen:
- Die Ankündigung des Interviews auf blog.tagesschau.de mit immer lesenswerter werdenden Leserkommentaren 🙂
- Das vollständige Interview auf Spiegelfechter im Vergleich zur ARD-Version (Lesen!)
- Thomas Roth Stellungnahme zu den Zensurvorwürfen
- Schließlich das vollständige Interview auf Druck der Leser auch auf Tagesschau.de
- Kontrovers zur Bloggerszene der Spreeblick
- Zum Schluss ein vorbildlicher Blogger mit Eifer
- Nachtrag: Handelsblatt – Das russische Zerrbild (lesenswert)
wir bekommen schon immer lediglich wohl aufbereitete Informationen serviert.
Deutliche Unterschiede lassen sich bereits erkennen, wenn man neben den bundesdeutschen auch die Nachrichten der Schweizer oder Österreicher auf 3Sat verfolgt.
Daneben verfügen Jounalisten zumeist über ein Parteibuch und nehmen gewollt oder ungewollt Einfluss im Sinne ihrer politischen Ausrichtung auf die Berichterstattung.
Objektive Berichterstattung ist und war daher schon immer ein Märchen aus Grimms Erzählungen.
LI
DANKE FÃœR DIESEN ARTIKEL
ich habe schon seid langem das Gefühl das wir von den von uns finanzierten öffentlich-rechtlichen Sendern nach chinesischem Vorbild medial an der Nase herumgeführt werden.
Ein Grund mehr für mich dem netten Herrn von der GEZ die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Die Meinungsfreiheit ist ähnlich zu begreifen, wie die so genannte Reisefreiheit, für die viele Millionen ehemalige DDR-Bürger ab jedem Montag auf die Straßen gingen. Schließlich war die Sehnsucht frei in der Welt zu reisen derart groß, dass die Menschen im Osten ihren Kindern Namen gaben, jedenfalls nicht deutschem Ursprungs waren, wie z.B. Pierre u.a.
Aber was nützt einem dann die Reisefreiheit, wenn man z.B. HARTZ IV-Empfänger ist.
Und so ähnlich liegt es mit der Meinungsfreiheit. Da gibt es zum einen die Medienkonzentration am privaten Flügel und dort wo sie sein sollte, wird sie im öffentlich-rechtlichen durch den Parteien- und Konfessionsproporz weggesprengt! Wer glaubt, dass es eine wirkliche Meinungsfreiheit und- eine Meinungsvielfalt gibt, der glaubt wirklich an die gute Geschichte mit der Amme!
Mittlerweile muss man selber investigativ sein und dabei auch mehrere Sprachen flüssig können, aber das fehlt vielen Menschen. Deutsche Medien unterliegen einer eigenen Zensur im Kopf, die schon im Vorhinein und im voreiligen Gehorsam das Geschehen in der Welt sich zusammenschnibbelt.
Es lebe die PRAWDA!
Hmmm, wenn ich hier soetwas behauptet habe, wollte mir das keiner glauben…..ich erinnere nur an den „deutschen Pressekodex“.
Grüße
Achim
[…] erinnerte ich mich an das zurechtgeschnibbelte Interview Wladimir Putins mit der ARD, der folgendes sagte: … Und nun zu einem anderen Wert, zum Thema Pressefreiheit. Sehen Sie […]