Stimmt das Deutschlandbild von der „weitverbreiteten“ Ausländerfeindlichkeit und (dadurch?) nicht gelungenen Integration? (Teil 2/4)

17. August 2008 | Von | Kategorie: Gastbeiträge, Gesellschaft, Leitartikel | Keine Kommentare |

Nehmen wir eine Anleihe aus der mich schon lange beeinflussenden Theorie der Quantenmechanik von Werner Heisenberg, die die Unschärferelation beinhaltet. In der „Kopenhagener-Interpretation“ bedeutete dies, dass der Beobachter das beobachtete System beeinflusst, dass der „Einfluss des Messinstrumentes auf den Zustand des Messobjektes“ [10] sich auswirkt.

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Das heißt, dass solche Untersuchungen auch der „kulturelle(n) Unschärfe-Relation…“ [11] unterliegen. Und im Hinblick auf Methodik und Arbeitsweise ist festzustellen, dass „der Irrtum systematische Formen annimmt“ [12] – was sich allerdings immer erst später zeigen wird.

Dabei ist an Th. W. Adorno u.a. zu erinnern, dem auch aktuelle Kommentatoren folgen: Den „auf das eigene kulturelle Vorurteil selbstkritisch Reflektierenden verbietet sich jedoch in kategorischer Form seine unbedingte Richtigkeit zu behaupten“ [13], vielmehr sind die „eigenen Positionen unter einen korrigierbaren Irrtums- und Kompromissvorbehalt“ [14] zu stellen.

Wäre es also klüger, die „weitverbreitete Ausländerfeindlichkeit“ ALS FRAGE ZU PUBLIZIEREN, will man sich nicht jener Mechanismen bedienen, die in der FES-Studien-Methodik abgelehnt werden?

Wenn die dokumentierten „negativen“ Auffassungen eine Art Verschiebebahnhof anderer Probleme sind, wovon die FES-Studien-Autoren und viele andere Untersucher / Autoren durchgängig ausgehen, so ist den klaren Worten des Ökonomen Helmut Schmidt zuzustimmen: „Wem es schlecht geht oder wer unzufrieden ist, der neigt leicht dazu, einen anderen dafür als schuldig anzusehen“ [15] – sog „Sündenbock-Mechanismus … mit negativen Einstellungen zu ausländischen Personen eigene Probleme lösen zu können“… [16].

Diesen „Verschiebebahnhof“ zeichnet eine hartnäckige Widersprüchlichkeit in Wort und Tat aus, was sich an ein unverfängliches Beispiel demonstriert.

Der sozialkompetente Münchner OB Uhde antwortete auf mediale Anfragen zu aufgefangenen kritischen Stimmungen auf und nach der „Wiesn“ (Oktoberfest in München): Der ‚echte’ Münchner wäre nicht gesund, würde er über die Wiesn nicht heftig granteln (also mit bayerisch deutlichsten Worten schimpfen). Dabei komme alljährlich fast alles schlecht und der Bierpreis am schlechtesten weg. Und OB Uhde stellt gleichzeitig fest, dass eben diese Grantler dieselbe Wiesn alljährlich höchstvergnügt und gerne besuchen, wohlwissend, dass rein rechnerisch der Bierpreis im Vergleich zur Gastronomie auf der aufwändig gestalteten Wiesn so schlecht nicht sei. Am Rande ist eine andere Beobachtung noch zu erwähnen: die Wiesn sei auch eine Art Schmelztiegel, in dem nahezu ausnahmslos fast alle deutlich sichtbaren Unterschiede temporär eingeschmolzen würden …(ähnlich äußerte sich bereits 1874 der amerikanische Konsul [67].

Diesen Widerspruch in Wort und Tat kennen wir aus anderen sensiblen Themen unserer Gesellschaft. Genau das beschimpfen wir, was wir gleichzeitig gerne tun, lassen oder glauben, um mit der Kritik, quasi per Vollkasko-Recht mit soeben abgewehrten Mechanismen auf Wunscherfüllung nach ‚Objekten unserer Begierden’ zu pochen.

Könnte das bedeuten, dass gut 90% der „deutschen“ Bevölkerung letztlich nicht „gefestigt“, sondern „latent ausländerfeindlich“ sind?

Neben politischer Mehrheit als rechts-demokratische Mitte (im Gegensatz zur links-demokratischen Mitte) verbleiben als „Ränder“ ca. 10% objektiv und dogmatisch mehr oder weniger ausländerfeindlich orientiert. Diese 10 % umfassen auch objektiv radikale Teile, egal welche Couleur mit zahlenmäßig anhaltend weniger Bedeutung als ständig medial propagiert. Dass die Grenzen zwischen genannten Positionen nicht trennscharf, eher überlappend randständig fließend sind, sei aus objektiven Gründen erwähnt.

Im EU-Vergleich steht Deutschland mit „Vorurteilen und Ausländerfeindlichkeit“ nicht, wie oft propagiert, an erst-schlechtester, sondern an „viertschlechtester Stelle“, [17] mit einem lange Zeit höchsten absoluten Anteil ausländischer BürgerInnen, und davon die höchste Anzahl mit Asylhintergrund in der EU.
Diese Toleranz-Statistik von Eurobarometer führen südeuropäische Länder an, deren Anteil ausländischer BürgerInnen lange Zeit sehr gering waren. Und z.B. in Spanien suchten bekanntlich nicht gerade unterprivilegierte Kreise ihr Domizil.

Ausgerechnet deutsche Statistikbearbeiter von Eurobarometer nennen dann diese Länder gegenüber Deutschland als „fremdenfreundlicher“. Ich verweise auf „Sprachgebrauch“, „kritische Reflexion“ und deren Auswirkungen wie andernorts erwähnt.

Obwohl „Kontrast“-Untersuchungen nahezu total fehlen, ist zu erwähnen: Nichtdeutsche Personen, mit konkreter multikultureller Biografie bzw. polyglottem Lebenswandel, bestätigen den Deutschen sehr hohe Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit etc. . Aber es fehle am Lebensgefühl („Locker, spaßig“); laissez-fair (= lax, lässig).Stattdessen im Umgang mit Formalien und Vorschriften pingelig und in der Arbeit fixiert als „Mister 100%“. Deshalb würde ein von „Mister 100%“ abgelehntes ‚lockeres Ansinnen’, je nach Lebenseinstellung des Nachragenden, als unfreundliches Verhalten zur Ausländerfeindlichkeit stilisiert, schon um die öffentliche Verärgerung über die Ablehnung zu rechtfertigen. Multilateral Auslandserfahrene räumen dabei ein, dass z.B. „DIE Beamten“ anderer Länder zwar manchmal zunächst lächeln, aber in der Sache oft viel „einseitig härter“, „statusabhängiger“, direkter, auch mit unmittelbaren Drohungen, reagieren würden.

Im Rahmen von thematisierten Zeitabschnitten heißt es bei E. Wolfrum „Die BRD war ein weltoffenes Land“ [18], („war“ = im Untersuchungszeitraum) und die Deutschen „Reiseweltmeister“[19] ins Ausland und insgesamt kennzeichnet die BRD „wachsende Internationalisierung“ [20] als aktiver Prozess. Programmatisch der Titel des 700-Seiten-Werkes, den ich plakativ zitiere „DIE GEGLÃœCKTE DEMOKRATIE – Geschichte der BRD von ihren Anfängen bis zur Gegenwart“ [21].

Wer einerseits über Ausländer oft und gerne „die Nase rümpft“ und lamentiert, aber andererseits bei Katastrophen im Ausland beachtliches Engagement zeigt, stellt das Paradigma von der (weitverbreiteten) Ausländerfeindlichkeit zumindest indirekt in Frage.

„Weitverbreitet“ im besten Sinne war quer durch die Bevölkerung jahrzehntelange Spendenfreudigkeit für die Hilfe im Ausland, mit hohem Einzahlervolumen deren Beträge zu respektablen Summen führte; oder wie wir auf dem Bonner Marktplatz überrascht und es als arbeitsintensiv erlebten, für Biafra aus sozial gemischter Bevölkerung stundenweise die Münzeimer überquellten.

Und stützt das hessische Wahlergebnis dank garstiger Koch-Rezepte zumindest die “latente“ (weder manifest, noch dogmatisch gefestigt oder ideologisch begründet) [22] – „weit verbreitete Ausländerfeindlichkeit“?

Mundete den Hessen, trotz materieller Ängste und diffuser Nöte, die Heimat-Ur-Suppe vom honorigen Landes-Koch nicht? Wäre das dem Wahlvolk ein perfektes Dinner gewesen, so hätte der Profi-Koch als 5-Jahres-Akteur mit haushohem Abstand angesichts hochgejubelter „Ausländerproblematik“ gewinnen müssen.

Hans Werth – Juli 2008

Literatur nachweis (Quellen der Zitate)

[10] Müller Harald, Politikwissenschaftler, Wie kann eine neue Weltordnung aussehen, (Forum für Verantwortung), Fischer Verlag, 2008, S. 105]
[11] Müller Harald, a.a.O., S. 105]
[12] Müller Harald, a.a.O., S. 105]
[13] Harald. Müller, a.a.O., S. 1]
[14] Müller Harald, a.a.O., S. 105]
[15] HelmutSchmidt, a.a.O., S. 243]
[16] Stolz Jörg, Soziologie der Fremdenfeindlichkeit, Theoretische und empirische Analysen, Campus Verlag, Frankfurt/M., 2000, S. 92]
[17] Eurobarometer, 1999, a.a.O.]
[18] Wolfrum Edgar, a.a.O., S. 427]
[19] Wolfrum Edgar, a.a.O., S. 427]
[20] Wolfrum Edgar, a.a.O., S. 18]
[21] Wolfrum Edgar ,DIE GEGLÃœCKTE DEMOKRATIE – Geschichte der BRD von ihren Anfängen bis zur Gegenwart“, Pantheon Paperbacks / VerlagsGruppe Random House – Bertelsmann, München, 12/2007]
[22] Hofmann L. & H. Even, Soziologie der Ausländerfeindlichkeit, Beltz Verlag, Weinheim/Basel, 1984]

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