Stimmt das Deutschlandbild von der „weitverbreiteten“ Ausländerfeindlichkeit und (dadurch?) nicht gelungenen Integration? (Teil 1/4)

16. August 2008 | Von | Kategorie: Gastbeiträge, Gesellschaft, Leitartikel | Keine Kommentare |

Ist Bewegung im Land? Integrations- und Migrationsgipfel, Konferenzen in Serie – mit und ohne Beauftragte, Aschaffenburger Gespräche, Studien, Polit-Talks; sogar neue spezifische Fernseh-Formate seien geplant.

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Wesentlich länger als dieser -hoffentlich zielführende wenn auch eher verspätete- Aktionismus, bestehen bundesweit zahlreiche lokale Projekte, viele nicht registrierte lang- und kurzlebige Aktivitäten, in denen engagierte Menschen mit unterschiedlichen Nationalitäten aktiv organisiert sind.

Soziologisch bedeutet dies:

  • „Wenn sich die Häufigkeit der Interaktion zwischen zwei oder mehr Personen erhöht, so wird auch das Ausmaß ihrer Zuneigung füreinander zunehmen …“ [1].
  • „Je häufiger Personen miteinander in Interaktion stehen, desto mehr tendieren die zwischen ihnen vorhandenen Freundschaftsgefühle zur Verstärkung …“ [2].
  • „… wird gezeigt, dass vor allem intensive Kontakte zwischen Personen unterschiedlicher ethnischer Herkunft zum Abbau gegenseitiger Ressentiments beitragen“ [3].

Diese optimistische Sicht der Erwartungen bevorzuge ich gerne.

Wenig optimistisch sieht es Helmut Schmidt in seiner Suche nach neuer Moral, wenn er konstatiert, „je enger die Menschen beieinander wohnen, umso größer die Gefahr von religiösen, ethnischen und rassistischen Konflikten“ [4], was er nicht nur auf Deutschland bezieht.

Bei der bestehenden Vielfalt des Miteinanders von aus- und inländischen BürgerInnen vermitteln die Plakatierung der „neuen Bewegung“ und die einschlägigen Gesetze das Gefühl eher harter Landung auf dem „ausländischen Mars“ abseits von Deutschland.

Erinnern wir uns unserer jüngsten Geschichte mit ihren beeindruckenden Zahlen:

  • In Deutschland leben und arbeiten BürgerInnen aus anderen Ländern
  • aus über 200 verschiedenen Nationen [5];
  • in 50 Jahren mindestens ca. 55 Mio. BürgerInnen [5];
  • rd. 45 Mio. dieser BürgerInnen gingen wieder in ihre Herkunftsländer und in andere Staaten [5]; (Okt 1983 bis max. Juni 1984 schnell mit degressiver Rückführprämie DM 10.500 per „Rückkehrhilfegesetz“ um Arbeitslose und Kurzzeitarbeiter „schnell & billig loszuwerden“;)
  • statistisch gesichert verbleiben gute 10 Mio. vielfältig beruflich tätige BürgerInnen bei uns, ca. 4,5 Mio. Kinder noch nicht mitgezählt [5];
  • derzeit zählt Deutschland nach dem Statistikgesetz ca. 6,8 Millionen „Ausländer“;
  • zuzüglich eingebürgerte Deutsche und eingebürgerte Kinder von Zuwanderern über 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund [5];
  • in 2004 26% der zugewanderten BürgerInnen, die weniger als 5 Jahren hier wohnen, (früher 40% ) [5];
  • in 2004 mehr als die Hälfte (60%) zugewanderter BürgerInnen länger als 10 Jahre hier [5];
  • Ende 2004 ca. 16,1 und derzeit 17,3 Jahre lang hier (= durchschnittliche Aufenthaltsdauer) [5];
  • seit den Anfängen der Zuwanderung (damals Gastarbeiter genannt) rd. 22% mehr als 30 Jahre hier [5];
  • 2004 51% zugewanderter BürgerInnen (= Erwerbstätige und sofort verfügbare Erwerbslose“ = Erwerbsquote gemäß ILO-Konzept) ; die vergleichbare Erwerbsquote der Deutschen lag bei 48% [5];

Auch einige soziale Faktoren sind zu erwähnen:

  • im Jahr 2004 fanden ca. 65.450 Eheschließungen unter Beteiligung eines ausländischen Partners oder zwischen zwei ausländischen Partnern statt = Anteil von 16,5% aller Eheschließungen (1960 nur 4%); in nur 14% der Fälle handelte es sich um Eheschließungen zwischen einer Ausländerin und einem Ausländer, ansonsten war ein deutsche(r) PartnerIn beteiligt [5];
  • im Jahr 2004 kamen hier 36 214 Kinder mit ausländischer Staatsbürgerschaft lebend zur Welt (= 5% aller Geburten) [5];
  • im Schuljahr 2003/04 besaßen rd. 951 000 ( =10% aller ) Schüler eine ausländische Staatsangehörigkeit [5];
  • von insgesamt 246 300 Studierenden mit ausländischer Nationalität im Wintersemester 2004/2005 sind 24% (59 700) Bildungsinländer, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im deutschen Bildungssystem erwarben, die meisten sind Kinder von Zuwanderern [5];
  • 40% der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund nennen freundschaftliche Beziehungen mit Deutschen; 6% haben gar keine Kontakte zu Deutschen [6];
  • 61% der Migranten beteiligen sich außerhalb von Familie und Beruf aktiv an Vereinen, Gruppen und Organisationen oder Einrichtungen; zum Vergleich: bei Menschen ohne Migrationshintergrund liegt der Anteil bei 71%. [7];

Statt dieser durchaus positiven Zahlen werden meist nur „Fall“-Zahlen aus der Kriminal- und Strafverfolgungsstatistik erwähnt; „besonders negative Einzelfälle“ welcher Art auch immer, „vervielfältigen“ sich in Medien und Fernseh-Formaten – schon wabern Destruktions-Schwaden vernebelnd übers Land. Selbst hier geborene EU-Bürger wollen bestimmte populistisch versierte Politiker „insHerkunftsland ausweisen“. [Diese „Klugheit“ erinnert fatal an Thomas Mann (38 Jahre Wahlheimat München), der 1932 München, das „einstige Isar-Athen“ nunmehr „extrem konservativ, provinziell“ als „die dümmste Stadt in Deutschland“ zitierte [66]. DIE grauen Nebel hat das Licht der Fakten noch nicht durchdrungen …

„Ausländerfeindlichkeit“ als Objekt zahlreicher aufwändiger Studien und Untersuchungen war lange Zeit „nur“ in Universitäten, Seminaren und Tagungen, Verbänden, Wohlfahrtspflege, Kirchen, gemeinnützigen Vereinen und linken Strömungen interessant.

Eignet sich die neue FES-Studie aus der mir intellektuell eher nahestehenden Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), in der sogar Adorno und viele andere meiner „Lieblinge“ zitiert werden, zum plakativ-medial imperativen Warnsignal „Ausländerfeindlichkeit!“? Der (endgültige) FES-Studien-Titel wurde bewusst sachlich formuliert und publiziert: „Ein Blick in die Mitte – Zur Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen in Deutschland“

Folgen laut Spiegel [8] „Blog-Betreiber“ (und wie ich meine auch sonstige Medien !) jenen „amerikanischen Blog-Mechanismen“? Blogs in USA seien durch Schärfe und Polarisierung kultur-demokratisch bedeutender als die quantitativ kaum bedeutenden Blog-Pflänzchen im alten Europa …

Der neuen FES-Studie liegt – wie die Autoren vorweg betonen – nur die sehr geringe Anzahl von 150 Interviewten zugrunde, was das Plakat „weitverbreitete Ausländerfeindlichkeit“ nicht repräsentativ stützt. Gleichwohl sind die dokumentierten Aussagen der Befragten in verschiedenen Zusammenhängen diskutabel.
Dennoch, die 500 Seiten Dokumentation der höchstqualifizierten Methodik und der geradezu prädestinierten Interviewer mit empathischer Sozialkompetenz, lösen den solchen Studien innewohnenden Widerstreit nicht auf.

Teile meiner persönlichen Erfahrungen stehen NICHT im Widerspruch zu dem, was die FES-Studie an Auffassungen und Aussagen der Befragten dokumentiert. Andererseits erlebte ich aber in wechselnden sozialen Umfeldern der Mitte auch durchgängig gegenteilige Erfahrungen.

Eine quasi quer und breit in der Bevölkerung verankerte Ausländerfeindlichkeit zu postulieren, kann, wie Untersuchungen über andere pointierte Berichterstattungen nachweisen, „unerwünschte Nebenwirkungen“ haben:

„Zwischen Meinungsklima und Berichterstattung finden Rückkopplungsschleifen statt: Journalisten schaffen Realitäten durch Berichterstattung, die wieder auf ihre Nachrichtenselektion bzw. Evaluation zurückwirken. … Zusammenfassend kann man sagen, dass in der Interaktion zwischen Meinungsklima und Medienrezeption die Massenmedien stärker die führende Rolle einnehmen, als der Berufsgruppe der Journalisten im Rückblick lieb sein kann“ [9]. Unterstellt man Berichterstattern (nicht nur, aber auch) die Absicht, damit in der Bevölkerung konstruktives Problembewusstsein erzeugen zu wollen, bergen nur auf negative Aspekte reduzierte Darstellungen ganz erhebliche Gefahren, nicht zuletzt die Gefahr der sog. selbsterfüllenden Prophezeiung.

Pointierte Berichterstattungen sorgten allein durch häufige meist unkritisch kopierte Wiedergabe, für eine aus purer Präsenz resultierende, negativ wirkende Karriere des Themas mit fragwürdigen Effekten.

Verifiziert wurde das jahrelang unkritisch in Befragungen und Untersuchungen benutzte sog. „Gast-Arbeiter“-Item. Selbstkritisch erwähnte die FES-Studie auf Seite 32 (pdf-Format) die Subjektivität jedes Forschenden als Einflussfaktor auf das Ergebnis.

Hans Werth – Juli 2008

Literatur nachweis (Quellen der Zitate)

[1] Langer W., Methoden der empirischen Sozialforschung IV/I, aus G. C. Homans, Theorie der sozialen Gruppe, Westdeutscher Verlag, Köln, 1965, S. 126]
[2] Langer W., a.a.O., S. 145]
[3] Wagner Ulf / Rolf van Dick, Uni Marburg Wintersemester 2002/2003; Fremdenfeindlichkeit „in der Mitte der Gesellschaft“: Phänomenbeschreibung, Ursachen, Gegenmaßnahmen, Zeitschrift für Politische Psychologie Nr. 2 &3, Jahrgang 9, Hamburg 2001, S. 41-54]
[4] Schmidt Helmut, Ökonom und Altbundeskanzler, Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral – Deutschland vor dem neuen Jahrhundert, Goldmann Reihe15071, W.Goldmann Verlag GmbH, 1998, S.244]
[5] Statistisches Bundesamt Wiesbaden (destatis) alle Angaben, soweit nicht anders vermerkt aus Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Bevölkerung mit Migrationshintergrund; Ergebnisse des Mikrozensus 2005, Wiesbaden 2007 und edis Europäischer daten-informations-service]
[6] Zentrum für Türkeistudien, Untersuchung des deutschen]
[7] TNS Infratest Sozialforschung (2005): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999-2004. Migrantinnen und Migranten. Studie im Auftrag des BMFSFJ]
[8] Spiegel Der“ Nr. 30 vom 21.07.08, S. 94]
[9] Siebe Th., Einfluss der Massenmedien auf Ausländerfeindlichkeit und ausländerfeindliche Delinquenz in Deutschland 1990-1993; 1995]

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