CDU produziert Familiendramen, um Schein- und Zwangsehen zu verhindern
17. März 2009 | Von E. S. | Kategorie: Leitartikel, Politik | 2 Kommentare |Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat in einer Kleinen Anfrage (16/11821) von der Bundesregierung Auskunft über die Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (2004/38/EG) verlangt. Außerdem wollten die Fragesteller die Haltung der Bundesregierung zur sogenannten Inländerdiskriminierung beim Familiennachzug erfahren.
Anlass der Kleinen Anfrage war unter anderem die Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie, mit der der Familiennachzug an Deutschkenntnisse geknüpft wurde. Seitdem erhalten Ehepartner aus Nicht-EU-Ländern ein Visum erst, wenn vorher ein Sprachtest bei einem Goethe-Institut im Ausland erfolgreich abgelegt wurde.
Diese Regelung wurde aber durch die sog. Metock-Entscheidung des Europäisches Gerichtshofes (EuGH)vom 25. Juli 2008 ad absurdum geführt, mit der Folge, dass sich der Familiennachzug zu nicht-deutschen Unionsbürgern ausschließlich nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU richtet. Danach braucht bspw. die russische Ehefrau des in Deutschland lebenden polnischen Staatsbürgers Miroslav Podolski keine Deutschkenntnisse nachzuweisen, während die thailändische Ehefrau des deutschen Staatsbürgers Jens Schweinsteiger oder die türkische Ehefrau des türkischen Staatsbürgers Yildiray Altintop diesen Nachweis weiterhin erbringen müssen.
Diese höchst umstrittene Regelung wurde mit der Verhinderung von Zwangs- und Scheinehen sowie der erleichterten Integration begründet, wobei es der Bundesregierung bis heute nicht gelungen ist, darzulegen, inwieweit diese Regelung geeignet und erforderlich ist, um die gesetzgeberischen Ziele zu erreichen. Im Gegenteil: Sie gerät zunehmend in Erklärungs- und angesichts massiver und nachhaltiger Benachteiligungen sowie Ungleichbehandlungen einzelner Herkunftsgruppen in Handlungsnot.
Auch die nun vorliegenden Antworten der Bundesregierung (BT-Drucksache 16/12013) überzeugen nicht. Vielmehr belegen sie erneut die Erklärungsnot, in der sich die Bundesregierung befindet. Insbesondere bei der sog. Inländerdiskriminierung – der an Sprachkenntnisse geknüpfte Ehegattennachzug zum deutschen Staatsbürger Jens Schweinsteiger – macht die Bundesregierung erneut keine gute Figur. Auf die Frage, ob die Bundesregierung im Hinblick auf die in 2007 verschärfte Ehegattennachzugsreglung (Nachweis von Sprachkenntnissen) das Problem der sog. Inländerdiskriminierung erkenne, verweist die Bundesregierung in gewohnter Manier – insbesondere wenn es unangenehm wird – auf frühere Antworten.
In dem vorliegenden Fall erreicht die Verweisungsmethodik der Bundesregierung allerdings eine neue Dimension. Sie verweist konkret „auf die Antworten der Bundesregierung zu Fragen 13 und 13 a) bis 13 e) der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke (Bundestagsdrucksache 16/10564) vom 13. Oktober 2008 sowie auf die Antworten der Bundesregierung zu den Fragen 12 und 12 a) bis 12 d) der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke (Bundestagsdrucksache 16/11811) vom 28. Januar 2009“.
In den bisher gewohnten Verweisungen auf frühere Bundestagsdrucksachen wurden zumindest die Nummern der Drucksachen genannt, in denen die vermeintlichen Antworten auf die Fragen waren. Hier aber verweist die Bundesregierung nicht auf die Nummer der Bundestagsdrucksache, in der die Antworten aufgeführt sind, sondern auf die Drucksache, in der die Fragen enthalten sind, auf die später – in einer anderen Bundestagsdrucksache – geantwortet wurde. Der interessierte Bürger soll, wenn er schon neugierig ist, gefälligst recherchieren – eine Schnitzeljagd. Offensichtlich ist es der Bundesregierung am liebsten, wenn die Antwort überhaupt nicht gelesen wird.
Wir machen uns dennoch die Mühe und suchen: Die Antwort der Bundesregierung müsste in den Bundestagsdrucksachen 16/10732 und 16/11997 zu finden sein. Wir finden aber – nicht überraschend – nicht die Antwort. Auf die Frage der Linksfraktion, die mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten gewesen wäre, verweist die Bundesregierung auf ellenlange Ausführungen zur Metock-Entscheidung des EuGH. So viel zur Kontrollfunktion der – Kleinen und Großen – Anfragen an die Bundesregierung.
Einen kleinen Schwenk macht die Bundesregierung aber doch noch. Zumindest gibt sie – wenn auch nicht ausdrücklich – zu, dass es tatsächlich zu einer Ungleichbehandlung kommt. Im weiteren Verlauf ihrer Antwort macht sie aber deutlich, dass an diesem unbefriedigenden Zustand gearbeitet werde. Nicht etwa dahingehend, die Regelung zu Gunsten von Benachteiligten zu ändern, sondern zu Lasten derer, die bevorteilt werden. Die Bundesregierung sei sich mit einer Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten einig, dass die vorgenannte Auslegung der Freizügigkeitsrichtlinie durch den Europäischen Gerichtshof möglicherweise zu einem verstärkten Missbrauch führen könne, z. B. zu Scheineheschließungen mit Unionsbürgern, um die nationalen Vorschriften zum Familiennachzug zu umgehen (BT-Drucksache 16/11997, Antwort auf die Frage 12). Auf die Frage jedoch, wie viele Scheinehen seit dem Inkrafttreten der Freizügigkeitsrichtlinie rechtskräftig festgestellt worden seien, muss die Bundesregierung passen: „Der Bundesregierung liegen keine Fallzahlen über rechtskräftig festgestellte Scheinehen unter Beteiligung von in Deutschland lebenden Unionsbürgern und Unionsbürgerinnen vor.“ (BT-Drucksache 16/12013, Antwort auf die Frage 23)
Nicht zuletzt wegen den abwegigen – weil bereits mehrfach entkräftet – Argumenten für die Nachweispflicht von Sprachkenntnissen von Reinhard Grindel (CDU) während der Debatte im Deutschen Bundestag vom 6. März 2009 über einen Antrag der FDP-Fraktion, mit dem die Handhabung der Sprachnachweise beim Ehegattennachzug vereinfacht werden sollte, lässt sich – auch unter Berücksichtigung der bisherigen Antworten der Bundesregierung zur Problematik – mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass die Bundesregierung an den Spracherfordernissen beim Familiennachzug festhalten wird, komme was wolle.
Mit der CDU ist so lange keine Änderungen in dieser Angelegenheit in Sicht, bis die Regelung vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig verworfen wird. Auf Entscheidungen des EuGH darf man indes nicht hoffen. Selbst wenn das Europäische Gerichtshof zu Gunsten der Betroffenen entscheiden sollte, versteht es die Bundesregierung, unangenehme EuGH-Entscheidungen geschickt als Einzelfallentscheidung abzutun und für nicht allgemeinverbindlich zu erklären. Eher ist man bereit, die Entscheidungsgrundlagen des EuGH – hier die EU-Richtlinien – in einem langwierigen und mühseligen Verfahren zu ändern, als endlich einzugestehen, dass Spracherfordernisse beim Ehegattennachzug vor der Einreise ein miserabler Schachzug war, an der viele Familien verzweifelt, gescheitert und zerstört sind. Die Regelung, die offiziell zur Verhinderung von Zwangsehen und zur Förderung der Integration eingeführt wurde – aber offensichtlich den unkontrollierten Zuzug von Ausländern verhindern soll, produziert seltsamerweise Familiendramen, bei der selbst Bollywood vor Neid erblassen würde.
Muß man betroffen sein um vor der dem Bundesgerichtshof zu klagen , oder kann man das auch so ?
Man sollte schon davon betroffen sein 🙂