Verdachtsunabhängige Moscheekontrollen – Nutzen und Auswirkungen

4. Dezember 2008 | Von | Kategorie: Gesellschaft, Leitartikel | 6 Kommentare |

Stellen Sie sich vor, Sie wohnen in unmittelbarer Nähe einer Moschee. Tagtäglich sehen Sie Menschen, die in der Moschee ein und ausgehen, die Ihnen fremd sind, obwohl Sie seit vielen Jahren Nachbarn sind. Weder kennen Sie Mitglieder der Moscheegemeinde, noch haben Sie Kontakt zu Vertretern der muslimischen Gemeinde. Einmal jährlich wird ein Tag der offenen Moschee veranstaltet, an der Sie aber bisher nie teilgenommen haben. Im Laufe der nachbarschaftlichen Jahre haben Sie den Eindruck bekommen, als handele es sich bei diesen Menschen um ganz normale Bürger, auch wenn Sie in den Medien häufig einen anderen Eindruck über Muslime vermittelt bekommen. Es sind nette Menschen, die ihrer Arbeit nachgehen und Familien haben, um die sie sich sorgen und kümmern. Lediglich Ihre Religion ist eine andere, eine fremde eben. So wird in der Nachbarschaft über die Moschee-Menschen gemunkelt. Dennoch können Sie sich einer gewissen Portion Unbehagen nicht entziehen.

Bildmaterial: flickr.com/photos/re-ality/929933580/ & flickr.com/photos/dierkschaefer/2481484964/

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An einem Freitag, wo sich besonders viele Menschen in der Moschee versammeln, beobachten Sie einen Polizeieinsatz vor der Moschee. Sechs Zivilbeamte haben eine Kontrollstelle eingerichtet und kontrollieren unter strömendem Regen jeden, der in die Moschee geht oder aus der Moschee kommt. Offensichtlich denken sie, die Polizisten suchen nach einem Verdächtigen oder gar Terroristen. Berichte aus Zeitungen über sog. „islamistische“ Terroristen kommen Ihnen in Erinnerung. Bei Manschen in der Nachbarschaft schlägt das Unbehagen in Angst um. Andere fühlen sich in ihrem Argwohn gegenüber Muslimen bestätigt. Die Polizei startet ja nicht ohne Grund solche Aktionen mit den vielen Steuergeldern. Da muss ja was nicht stimmen. Haben Sie tatsächlich jahrelang Haus an Haus mit einem Sammelbecken für Terroristen gelebt ohne auch nur etwas zu erahnen? Der Gesprächsstoff für die nächsten Tagen und Wochen in der Nachbarschaft scheint gefunden zu sein. Mal sehen, denken Sie sich, ob der Multikulti eingestellte Walter von Gegenüber diese Menschen auch weiterhin grüßen wird.

Eine fiktive Geschichte mit fiktiven Gedanken?

Nach § 26 I Nr. 4 PolG BW kann die Polizei die Identität einer Person feststellen, wenn sie an einer Kontrollstelle angetroffen wird, die von der Polizei zum Zwecke der Fahndung nach Straftätern eingerichtet worden ist. Auf diesen Paragraphen stützend haben am 21. November 2008 sechs Polizisten in Zivilkleidung vor einer kleinen Moschee im Baden-Württembergischen Heidenheim vor dem Freitagsgebet eine Kontrollstelle eingerichtet. Die von der Polizei eingerichtete Kontrollstelle war dabei so positioniert, dass jeder, der in die Moschee ein- oder ausging zwangsläufig von einem der sechs in Zivilkleidung erschienenen Polizeibeamten überprüft wurde.

Als Begründung wurde den Kontrollierten mitgeteilt, dass man auf der Suche nach zwei „islamistischen Terroristen“ sei, die steckbrieflich gesucht würden. Außerdem seien in letzter Zeit häufige Anschläge von PKK-Aktivisten auf türkische Einrichtungen verübt worden, weswegen man türkische Einrichtungen beschützen müsse. Auf Einladung des Gemeindevorsitzenden wurden die Kontrollen von der Straße in die Gemeinderäume verlegt. „Zum einen“, so der Vorsitzende, „mussten die Polizisten im Regen stehen und zum anderen wollte ich nicht, dass die Nachbarschaft einen falschen Eindruck bekommt. Die Kontrolle gab ein hässliches Bild ab.“

Eine telefonische Anfrage bei der zuständigen Polizeidirektion Heidenheim ergab, dass es sich um eine verdachtsunabhängige Kontrolle gehandelt hat. Es lagen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass man hätte die gesuchten Terroristen oder PKK-Aktivisten in der Gemeinde antreffen können. Solche Präventivmaßnahmen würden von Zeit zu Zeit in unmittelbarer Nähe von Moscheen durchgeführt, um der Bevölkerung das Gefühl zu geben, die Polizei sei aktiv und tue etwas gegen die terroristische Bedrohung und werde vorbeugend tätig. Und um das Aufsehen so gering wie möglich zu halten, sei man in Zivilkleidung erschienen.

Dass es im Ergebnis für den Nachbarn keine Rolle spiel, ob die Polizei in Uniform erscheint oder nicht, musste die zuständige Polizeidirektion in Heidenheim aber einräumen, wie auch die Tatsache, dass durch solche Maßnahmen mehr verloren wird als gewonnen.

Der Moscheebesucher sieht sich einem Generalverdacht ausgesetzt, nur weil er für den Freitagsgebet eine Moschee aufsucht. Am besten lässt sich seine Gefühlswelt wohl nachvollziehen, wenn Sie sich vorstellen, wie es wäre, wenn Sie vor dem sonntäglichen Gottesdienst vor der Kirche von der Polizei mit dem Hinweis kontrolliert würden, man sei auf der Suche nach zwei fundamentalistisch-extremistischen Christen aus den USA. „Was habe ich damit zu tun“, wäre die erste Frage, die Ihnen durch den Kopf geht. Die Gedanken eines türkischen Muslims gehen viel weiter: Er kommt sich ausgegrenzt, diskriminiert und schikaniert vor. Das Gefühl, er sei unerwünscht, wird verstärkt und sein Glaube an den Rechtsstaat und Demokratie werden nachhaltig geschwächt.

Seine ohnehin von Vorurteilen belasteten Beziehungen zur Nachbarschaft nehmen irreparable Schäden an. Denn kein Nachbar wird sich erzählen lassen, dass die Kontrolle „verdachtsunabhängig“ war, sofern er überhaupt noch ins Gespräch mit ihm kommt. Und selbst dann, wird der Nachbar mit dem Begriff „verdachtsunabhängige Kontrolle“ nichts anfangen können. So abwegig wird sich die Polizei wohl kaum verhalten, wird er sich denken, so ganz ohne Grund eine Kontrollstelle einzurichten. Das ohnehin herrschende Misstrauen wird jedenfalls wachsen.

Selbstverständlich muss die Polizei ihre Arbeit tun und für Sicherheit und Ordnung sorgen. Daran hat eine Moscheegemeinde ein mindestens genauso großes Interesse wie sein einheimischer Nachbar. Die Bedrohung, die vom Terrorismus ausgeht, beschäftigt und beängstigt ihn in den allermeisten Fällen mehr als die Mehrheitsgesellschaft. Er ist Opfer in zweifacher Hinsicht: Zum einen könnte er, seine Frau oder Kinder, genauso wie jeder andere auch, möglicher Opfer eines Anschlags sein. Zum anderen muss er sich für die Untaten anderer Rechtfertigen, nur weil er einer Religion angehört, in dessen Namen Anschläge verübt werden.

Daher muss es für die Polizei als Freund und Helfer ebenso selbstverständlich sein, solche Nebenfolgen zu berücksichtigen. Eine verdachtsunabhängige Kontrolle trägt weder zur Beruhigung der Bevölkerung noch zur Verbesserung der Sicherheitslage bei. Im Gegenteil, die Bevölkerung wird in Angst und Schrecken versetzt. Bestehende Vorurteile werden bestätigt. „Kein Rauch ohne Feuer“, denkt sich der Nachbar, der eine solche Kontrolle vor einer Moschee sieht. Anschließend kann man dem Nachbarn nicht einmal mehr verübeln, wenn er gegen den Bau einer Moschee in seiner Umgebung auf die Straße geht und demonstriert.

Diesen Nachteilen stehen kaum Vorteile gegenüber. Seit 2001 werden – unabhängig von verfassungsrechtlichen Bedenken – in vielen Bundesländern verdachtsunabhängige Kontrollen durchgeführt. Die Kontrolle in Heidenheim stellt dabei eine harmlose Variante polizeilichen Vorgehens dar. Nicht selten wurden verdachtsunabhängige Kontrollen vor Moscheen mit Maschinengewehren vom SEK (Sondereinsatzkommando) durchgeführt. Frauen und selbst Kinder wurden auf den Unterarm abgestempelt, damit sie nicht doppelt überprüft werden. Das Ergebnis: Verdachtsunabhängige Moscheekontrollen haben zu keinerlei Ermittlungsergebnissen im Kampf gegen den Terrorismus geführt.

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Wenn der Mehrheitsgesellschaft durch verdachtsunabhängige Kontrollen vor Moscheen eine nicht existente Gefahr suggeriert und er in Angst versetzt wird, kann von Integrationsförderung keine Rede mehr sein. Integration ist kein Einbahnstraßenprojekt und liegt auch nicht allein in Händen derer, die sich integrieren sollen. Integration muss auch einen Abnehmer haben. Das Zusammenspiel mit der Mehrheitsgesellschaft, eine gute nachbarschaftliche Beziehung ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass nicht mit unbedachten Repressalien erschwert werden darf.

6 Kommentare
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  1. Ein doch so schwieriges Thema.
    Ich mache die Erfahrung, daß es etliche Unterschiede zwischen den muslimischen Gemeinden gibt – der eine ist Interagtionwillig, der andere ein Rechtbesessen, ein anderer sogar nicht ansprechbar. Zitat eines Imams: „Mit Ungläubigen sprechen wir nicht“!.
    Also, wenn es um Integration geht, so ist es notwendig, daß gerade die Moscheen Ihre Türen besser öffnen müssen – d.h. nicht im Sinne des „Tag der offenen Tür“.
    Auf der anderen Seite ist es auch nicht die Aufgabe der Polizei nach belieben Leute zu durchsuchen, nur weil sie den islamischen Glaubensweg gehen.“Die Würde des Menschen ist unantastbar“, daß sollte sich jeder Polizibeamte merken; auf der anderen Seite sollte dies auch von unseren muslimischen Gemeindevorstehern beherzigt werden; tut alles dafür, daß eure Würde nicht verletzt wird.
    Wer an mangelndem Selbstbewußtsein seine Moscheen in Industriegebieten baut bzw. fertig stellt oder gar an Viertel, wo es mit dem Rotlicht Nachbarfschaft lebt (z.B. Gelsenkirchen), der zieht natürlich diese Escapaden erst recht automatisch an.
    Um Vorurteile abzubauen, reichen „Tag der offen Türe“ nicht. Die Moscheen brauchen Hoca’s die die Sprache der zweiten bzw. dritten Generation beherschen; sie müssen dafür nicht unbedingt deutsch reden jedoch das moderne DENKEN wäre hier ein muß.
    Um auf die Sicherheitskräfte zurück zu kommen, an dem Tag, wo der interkulturelle Dialog zwischen all den Glaubensgemeinschaften erfolgreich abgeschlossen wurde, werden auch abschreckende Szenen wie im obigen Artikel dargestellt, nicht mehr vorkommen.

  2. @ Hülya:

    Wer an mangelndem Selbstbewußtsein seine Moscheen in Industriegebieten baut bzw. fertig stellt oder gar an Viertel, wo es mit dem Rotlicht Nachbarfschaft lebt (z.B. Gelsenkirchen), der zieht natürlich diese Escapaden erst recht automatisch an.

    Es gibt wohl kaum eine Gemeinde, die frewillig in ein Industrieviertel zieht. Es sind oftmals die Umstände (verweigerte Baugenehmigungen, verweigerte Standorte etc.), die Gemeinden zum Ausweichen zwingen.

    Die Moscheen brauchen Hoca’s die die Sprache der zweiten bzw. dritten Generation beherschen; sie müssen dafür nicht unbedingt deutsch reden jedoch das moderne DENKEN wäre hier ein muß.

    Die meisten Gemeinden können gute Hocas leider nicht ausbilden. Dafür reicht deren Kompetenz nicht. Deutschland hat dies versäumt. Gute Hocas zu importieren ist leider auch nicht möglich, da die Einreisebestimmungen für Hocas so sind, dass ein Hoca praktisch nur für drei Monate in Deutschland verweilen darf. Dann muss er zurück. So ist es natürlich schwierig, Hocas an die hiesigen Verhältnisse heranzuführen.

    Es muss Bewegung rein in die Angelegenheit. Auf beiden Seiten. Mit Moscheekontrollen verlieren beide Seiten aber definitiv mehr, als sie daran gewinnen.

  3. Grundsätzlich, jegliche verdachtsunabhängige Kontrolle ist eine Unverschämtheit, egal ob auf der Autobahn, einem zentralen Platz in einer Großstadt, vor einem Bierzelt eines Festes der Freiwilligen Feuerwehr in Morbach, einer Kirche oder einer Moschee. Immer wird die kontrollierte Person einem Generalverdacht ausgesetzt, etwas rechtswdriges getan zu haben, oder evtl. in den Verdacht zu kommen, sie könnte selbiges tun. Jeder Bürger wird auf diese Weise verdächtig!

    Vor dem Hintergrund der „allgemeinen Terrorismusgefahr“ ist eine verdachtsunabhängige Kontrolle vor einer Moschee (und ich nehme an, dass die Kontrollstelle so eingerichtet wurde, dass wirklich nur Besucher der Moschee kontrolliert wurden), an Böswilligkeit kaum noch zu überbieten. Denn, wie bereits geschrieben, der unbedarfte schwäbische Nachbar wird sich tatsächlich denken, wenn die Polizei DIE kontrolliert, wird da schon etwas sein (mal ehrlich, solche Gedanken werden fast allen erstmal durch den Kopf gehen, selbst wenn man dann rational nachdenkend zu dem Ergebnis kommt, nein, muss nicht). Im Ergebnis wird so der nachbarschaftliche Frieden nachhaltig gestört. Man könnte glatt Absicht hinter diesem Vorgehen vermuten (oder ist es einfach nur purer staatlicher, gedankloser Alltagsrassismus?).

    Der Vorstand der Moschee (oder wer die auch immer leitet) hätte sofort (!) und massiv (!) auf die Barrikaden gehen müssen und alles an Rechtsanwälten herankarren, was nur geht, um diese Aktion auf der Stelle zu unterbinden! In diesen Fällen darf es keine Zusammenarbeit mit der Polizei geben, denn in der Öffentlichkeit wird dies nicht wahrgenommen. Bei den Anwohner bleibt immer der schale Beigeschmack, dass die Aktion der Polizei irgendwie richtig war, und das war sie ganz offensichtlich nicht.

  4. die Polizei muss halt nun mal dahin gehen, wo der islamistische Terror ausgebrütet wird. Und dieser Ort ist nun mal die Moschee. Darin sehe ich kein Problem.

  5. @ hans schneter:

    Hallo Herr Schneter,
    wenn der „islamische Terror“ in den Moscheen ausgebrütet wird, so ist es ja sehr einfach dem ein Ende zu setzen:-)) Oder?

    So wie jeder Pfarrer bzw. Priester, haben auch die Imame in den Moscheen ihre gewisse Freiheiten in Sachen Predigt. In jeder Kirche in jedem Gotteshaus wird jeden Sonntag bzw. Freitag oder Samstag politik gemacht, d.h. der Oberhaupt des Hauses trägt zur Meinungsbildung seiner Gemeinde bei.

    Natürlich kann ein Qualitätsmanagement nicht auf die schnelle für alle Gotteshäuser eingeführt werden, schließlich geht es um den Glauben. – Nur, meinen Sie wirklich, die Polizei sollte sich in solch einer Präsenz als QM aufführen?
    Ich meine, wenn jeder mal das „Gotteshaus“ bzw. „Tempel“ der anderen Glaubensgemeinschaft besucht und den Dialog mit denen bewußt wahrnimmt, der wird bestimmt merken, daß der Terror -egal ob „islamisch“ oder „jüdisch“ oder „christlich“ – in anderen Ecken der Erde geschmiedet wird?

    Grüße

    Hülya

  6. Fragen wir doch mal andersrum: was ist denn bislang bei diesen Kontrollen an Erfolgen erzielt worden? Stehen die im Verhältnis zum angerichteten Schaden?
    Soweit mir bekannt, keine Erkenntnisse über irgendetwas, das mit Terrorismus zu tun hätte. Ergebnis sicher hin und wieder ein Mensch mit mangelhaftem Aufenthaltsstatus, den man dann stolz abführen kann.

 

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