Stillstand oder stand still?

3. November 2008 | Von | Kategorie: Gastbeiträge, Leitartikel, Politik | Keine Kommentare |

Eine Anmerkung zu den Visaverhandlungen mit der Türkei von Rechtsanwalt Ünal Zeran

Wie in der türkischen Tageszeitung Hürriyet berichtet wurde, hat EU Erweiterungskommissar Olli Rehn zu den Verhandlungen über die Visaerleichterung für türkische Staatsangehörige Stellung genommen.

Grenze in Deutschland

Grenze in Deutschland - Foto: Flickr/Sapphireblue (www.flickr.com/photos/sapphir3blu3/2741673155/)

Herr Rehn mußte eine schrifliche Anfrage des Europaabgeordneten Vural Öger beantworten. Herr Öger fragte nach der Ankündigung der Visaerleichterung für Serbien, warum diese nicht auch der Türkei angeboten wurde.

Visa-Erleichterungen könnten auch für die Bürger unseres langjährigen Partnerlandes Türkei einen konstruktiven Beitrag zur EU-Annäherung leisten. Angesichts der Tatsache, dass die Türkei bereits seit 2005 in Beitrittsverhandlungen mit der EU steht, wäre die Einführung von Visa-Erleichterungen in einem ersten Schritt und die Abschaffung der Visumpflicht in einem weiteren Schritt für türkische Bürger wünschenswert und würde ein positives und bürgernahes Signal setzen.

Gedenkt die Kommission, einen ähnlichen Fahrplan wie für Länder im Westbalkan auch für die Türkei vorzulegen? Wenn ja: Kann die Kommission einen möglichen Zeitrahmen nennen? Was sind die Gründe dafür, dass ein Fahrplan für Visa-Erleichterungen für die Türkei bisher nicht eingeleitet wurde?

Die Antwort des Herrn Olli Rehn im Namen der Kommsision vom 02.09.2008 (E-3669/08DE) verblüffte einige Akteure, die die Visaproblematik bezüglich der Türkei länger verfolgen.

„Die Kommission hat die Türkei mehrfach ermutigt, ihre Bereitschaft zur Aushandlung eines Visaerleichterungsabkommens – in Verbindung mit einem Rückübernahmeabkommen – zu signalisieren. Ein solches Abkommen würde den Bürgern der Türkei viele Vorteile bringen, wie z.B. die Senkung der Visagebühren von 60 auf 30 EUR, die Befreiung breiter Personengruppen von der Visumpflicht, Vereinfachungen bei den vorzulegenden Nachweisen sowie die Möglichkeit zur Beantragung von langfristigen Mehrfachvisen für bestimmte Personengruppen. Bisher hat die türkische Regierung jedoch kein Interesse an der Aufnahme entsprechender Verhandlungen gezeigt.

Was ein künftiges Rückübernahmeabkommen zwischen der EG und der Türkei betrifft, so fand die bisher letzte Verhandlungsrunde dazu im Dezember 2006 statt. Seitdem gab es zwar vereinzelte Kontakte zu dieser Frage, doch insgesamt sind die Verhandlungen nicht vorangekommen. Der Abschluss eines Rückübernahmeabkommens mit der Türkei ist nach wie vor ein prioritäres Ziel der EU. Daher stellt sie Überlegungen darüber an, wie die festgefahrenen Verhandlungen erneut in Gang gebracht werden können.“

Die EU Kommission hält der Türkei vor, nichts für die Visaerleichterung der eigenen Staatsangehörigen getan zu haben. Tatsächlich will die EU ein Abkommen über Visaerleichterungen jedoch nur mit einem Rückübernahmeabkommen (Readmission) vereinigen, zu der Ankara bisher nicht bereit ist. Es wird geschätzt, dass jährlich über 15.000 Drittstaatsangehörige über die Türkei in die EU unerlaubt einreisen. Die Türkei beziffert die Kosten der Rückübernahme mit 1,3 Milliarden Euro. Dies mag übertrieben klingen, jedoch verfügt das Land über keinerlei Infrastruktur, um diesem Problem zu begegnen. Erst allmählich beginnt das Land sogenannte Auffanglager einzurichten. Die Sorge ist berechtigt, dass man von der EU als Auffangbecken für unerlaubt eingereiste Personen missbraucht, und mit der Problematik allein gelassen wird.

Unter dessen drängen die türkischen Unternehmensverbände nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtsache Tum und Dari vom 20.09.2007, C 16/05 auf die Abschaffung der Visapflicht aufgrund der Standstillklausel des Art 41 des Zusatzprotokolls. Sowohl in der EU als auch innerhalb der türkischen Regierung werden sie nicht müde die Visafreiheit für Dienstleistungserbringer- und empfänger zu betonen. Frankreich hat nach der Tum und Dari Entscheidung mit den Mitgliedern der Istanbuler Handelskammer (ITO) eine Vereinbarung über erleichterte und längere Visaerteilungen für Geschäftsvisa geschlossen. Der Inhalt geht in die Richtung, wie sie Herr Rehn der Türkei als Gesamtpaket anbietet.

Interessant ist, dass sich innerhalb der EU offensichtlich eine große Angst breit macht, dass die Visafreiheit kommen könnte. Am 08.10.2008 verhandelte der EuGH die Vorlage des OVG Berlin/Brandenburg vom 19.05.2006 in der Rechtssache Soysal (C-228/06), welche vom Kollegen Rolf Gutmann vertreten wird.

Vor der Verhandlung muss es hinter den Kulissen der Kommission hitzige Debatten gegeben haben. Während es vor der Verhandlung noch einige Länder gab, die in ihren schriftlichen Stellungnahmen zum Verfahren die Visapflicht mit der Standstillklausel für unvereinbar hielten, schwenkten diese in der Verhandlung um. Auf ein mal sprach die EU mit einer Stimme. Die beteiligten Mitgliedstaaten sprachen sich für die Beibehaltung der Visapflicht aus. Auf die Frage eines Richters, ob der heilige Geist zu ihnen sprach und dies nun eine göttliche Eingebung sei, sollen laut Hürriyet die Vertreter dieser Länder geantwortet haben:

Man dürfe nicht vergessen, dass diese Problematik nicht nur Deutschland betreffe. Innerhalb des Schengenraums existierten keine Grenzen, so dass es sich auf alle EU Länder auswirken kann. Die Türken seien jedoch auch schon privilegiert. Die Türken könnten innerhalb des Schengenraumes ohnehin frei reisen. Ein Fernfahrer benötige nur noch ein einziges Visum innerhalb des Schengenraumes, während es früher mehrerer Transitvisa beantragen müsse.

Es sei keine Verschlechterung im Vergleich zum Rechtszustand 1973 eingetreten, eher eine Verbesserung. Dieses hilflose Argument unterschlägt, dass der beschriebene Zustand für alle Drittstaatsangehörigen gilt und von einer Privilegierung der Türkei keine Rede sein kann.

Der EuGH hat bereits eine Vorlage aus den Niederlanden gestrichen, nachdem es das vorlegende Gericht fragte, ob sie angesichts der Spruchpraxis in der Rechtssache Tum und Dari noch an der Vorlage festhalten wollten. Offensichtlich fehlte dem Raad von Staate der Mut an der Vorlage festzuhalten. Vielleicht wollten sie aber auch nicht die Wegbereiter für die Visafreiheit von türkischen Staatsangehörigen werden.

Olli Rehn hätte sich Rat bei dem Juristischen Dienst der Kommission holen sollen. Diese hatte noch vor der Tum und Dari Entscheidung am 08.09.2006 in dem Verfahren Soysal Stellung genommen:

Die Kommission schlägt daher vor, die Fragen des Vorlagegerichts folgendermaßen zu beantworten:

Art 41 Abs.1 des Zusatzprotokolls ist so auszulegen, dass eine Visumspflicht für türkische Staatsangehörige gegenüber einer früheren visumsfreien Einreise eine neue Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen kann, und dieser daher keinen Sichtvermerk für die Einreise in die Bundesrepublik benötigen.

Gleichzeitig darf man auf die Reaktion der Bundesregierung (BMI, AA) gespannt sein, wenn der EuGH im Sinne der Kläger entscheidet. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit versucht die Umsetzung der EuGH Urteile mit fadenscheinigen Gründen zu verhindern.

Einige Beispiele seien aufgeführt:

  • Nach der Sevince Entscheidung des EuGH erklärte sie, dass die Entscheidung nur die Niederlande binde.
  • Die Entscheidung Kus sei nur für türkische Ehegatten von Deutschen zu übertragen.
  • Die Eroglu Entscheidung sei auf Jugendliche die aus der Türkei eingereist sind und das 21 Lebensjahr vollendet haben, nicht anwendbar.
  • Der Bozkurt und Tetik Entscheidung wurde entnommen, dass die Arbeitnehmereigenschaft bei einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden nicht vorliege.
  • Nach der Savas Entscheidung zum Standstillgebot, dass diese nur die Einreise vor 1973 betreffe.

Man muss nicht orakeln, dass die Argumentation nach einer positiven Soysal Entscheidung lauten wird, dass dies nur LKW Fahrer betreffe, die sich nur kurz im Bundesgebiet zum Zwecke der Dienstleistung aufhielten. Weitergehendes könne man der Entscheidung nicht entnehmen. Entgegen der Spruchpraxis des EuGH zur Dienstleistungsfreiheit, wird man erklären, dass türkische Touristen und EU Touristen anders zu behandeln seien und die Rechtsprechung auf diese nicht zu übertragen sei.

Während der diesjährigen Frankfurter Buchmesse haben einige Autoren und Theaterschauspieler Schwierigkeiten bei der Visaerteilung gehabt. Dem türkischen Popstar Tarkan wurde zum Auftakt seiner Europatournee am Londoner Heathrow Flughafen die Einreise verweigert. Die Begründung lautete, er sei mit einem Visum zum touristischen Zwecke eingereist und nicht mit einem Visum, zum Zwecke der Erwerbstätigkeit. Erst nach der Intervention des türkischen Botschafters und die Hinterlegung seines Reisepasses mit der Verpflichtung, dass er London nach seinem Konzert sofort am nächsten Tag verlassen werde, ermöglichte ihm die Einreise nach England.

Das Institut für Türkisch Europäische Studien beziffert die Gesamtsumme der Gebühren für erteilte Visa für touristische Zwecke mit 500 Millionen EUR.

Die türkische Regierung tut gut daran, keinerlei Kompromisse und Vereinbarungen zu dem völkerrechtlichen Rechtszustand von 1973 zu machen. Schlechter kann es für die türkischen Bürger nicht werden als es ohnehin ist. Der EuGH wird ohne eine Stellungnahme des Generalanwaltes einzuholen bald in der Rechtssache Soysal entscheiden. Bisher zeigte sich der EuGH vom politischen Gegenwind wenig beeindruckt. Es bleibt zu hoffen, dass es weiter so bleibt und ein rechtswidriger Zustand endlich beendet wird.

Rechtsanwalt Ãœnal Zeran

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