Union und SPD lehnen Opferschutz für Zwangsverheiratete ab
26. Juni 2008 | Von E. S. | Kategorie: Leitartikel, Politik | Keine Kommentare |Zu Beginn des Jahres 2008 hatte die Die Grünen ein Antrag zur Verbesserung des Opferschutzes bei Zwangsverheiratungen vorgelegt, dass am 25. Juni 2008 von der Mehrheit der Koalitionsfraktionen (Union und SPD) abgelehnt wurde. Kernpunkt des Antrags war den Zwangsverheirateten eine erweiterte Rückkehroption zu ermöglichen. Nach der geltenden Rechtslage dürfen selbst Opfer, die im Ausland zwangsweise verheiratet wurden, nach einem Auslandsaufenthalt von mehr als sechs Monaten nicht mehr in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren.
§ 57 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG: Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:
7. wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten … eingereist ist
Die Grünen machten darauf aufmerksam, dass Opfern von Zwangsverheiratungen im Ausland meist vom Umfeld auch die Möglichkeit genommen wird, innerhalb der sechs-Monats-Frist wieder nach Deutschland einzureisen. Zusätzlich stützten sie ihren Antrag auf die Anhörung im Ausschuss vom 19. Juni 2006 mit dem Titel „Bekämpfung von Zwangsverheiratungen“. Experten waren überwiegend der Ansicht, dass die wichtigste Voraussetzung für Opferschutz ein gefestigter Aufenthaltstitel sei.
Während die PDS dem vernünftigen Antrag zustimmte, enthielt sich die FDP. Die um Opfer von Zwangsverheiratungen sehr bedachten Koalitionsparteien Union und SPD aber sprachen sich zwar nicht grundsätzlich gegen eine Verlängerung des Rückkehrrechts ab, stellten jedoch Bedingungen, die wiederum offenbaren, dass es keineswegs um Opferschutz geht, sondern um den Leitgedanken: „Weg ist weg“. Die SPD beispielsweise erklärte, sie könne den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zwar nicht mittragen, forderte aber zugleich, sich dem Thema im Herbst intensiver zuzuwenden. Dann müsse auch über „arrangierte Ehen“ gesprochen werden.
Man beachte: Die Betonung liegt auf „gesprochen“. Wenn die SPD aber nicht einmal den Schutz für zwangsverheiratete Opfer tragen kann, stellt sich doch im Umkehrschluss die Frage, was die SPD überhaupt bereit ist zu tragen, wenn es lediglich um Opfer – sofern man hier überhaupt von Opfern sprechen kann – von arrangierten Ehen geht. Hinzu kommt, dass bei arrangierten Ehen die Problematik bezüglich der rechtzeitigen Rückkehr verschwindend gering sein dürfte. Schließlich heiratet hier die Braut aus eigenem Willen. Das Umfeld leistet allenfalls Ãœberzeugungsarbeit, ohne es gut- oder schlechtheißen zu wollen. Die Entscheidung, eine Ehe einzugehen, liegt aber bei der Braut. Ausgangspunkt für den Antrag der Grünen war aber eben die Zwangssituation des Opfers, die gegen ihren Willen zu Handlungen bzw. Unterlassungen gezwungen wird, was bei einer arrangierten Ehe überhaupt nicht vorliegt. Die SPD offenbart mit diesem vorgeschobenen Argument, dass sie im Grunde überhaupt nicht an einer Lösung für die Opfer interessiert ist.
Noch besser als die SPD argumentiert aber die Union. Man sei bereit, die Rückkehrfrist für Zwangsverheiratete auf zwei Jahre zu verlängern, wenn im Gegenzug die Ehebestandszeit verlängert werde.
Bei der Ehebestandzeit handelt es sich um die Zeit, die eine aus dem Ausland nach Deutschland eingereiste Ehefrau in der Ehe erdulden muss, damit es einen von der Ehe unabhängigen eigenständigen Aufenthaltsrecht erlangt. Aktuell erwirbt eine zwangsverheiratete Frau in Deutschland erst nach zwei Jahren Ehebestand auf deutschem Boden ein von der Ehe unabhängiges Aufenthaltsrecht. Wird die Ehe vor Ablauf von zwei Jahren annulliert oder geschieden, muss das Opfer zurück in sein Heimatland.
§ 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: Die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten wird im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn
1. die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat
Diese Ehebestandszeit soll nach dem Willen der Union also – um ein Schutz für Opfer zu gewährleisten – nicht verkürzt sondern verlängert werden, womöglich auf drei Jahre oder noch länger, damit das Opfer, um die sich insbesondere die Union ja angeblich so stark macht, eine zwangsweise eingegangene Ehe noch länger erdulden muss, um nicht wieder in die Hände jener zu fallen, die sie in der Heimat zwangsweise verheiratet haben.
Die Debatte um Zwangsverheiratungen und die zum Familiennachzug angeblich um der Opfer willen eingeführte Spracherforderniss vor der Einreise kann womöglich nicht verlogener geführt werden. Immer wieder offenbart insbesondere die Union, dass es nicht um Schutz der Opfer oder Verhinderung von Zwangsehen geht. Vielmehr stehen ausländer- und migrationspolitische Motive bei der Gesetzgebung im Vordergrund, die aber nicht offen ausgesprochen werden können, da es fatale Folgen hätte. Schließlich wird meist nur vermittelt, dass es um Abschieben und Fernhalten von Deutschland geht.
Der Vorteil, den die Damen und Herren bei solchen Debatten haben ist, dass es meist nicht in die Öffentlichkeit getragen wird. Debatten dieser Art zieren keine Titelseiten. Allenfalls erscheint eine kleine Meldung irgendwo im Innern einer Zeitung, die so kurz gefasst ist, dass der Leser lediglich registriert, dass wieder einmal über Zwangsverheiratungen gesprochen wurde. Hintergründe, Motive und Folgen bleiben meist im Dunkeln und interessieren meist nicht einmal. Hängen bleibt beim Bürger als Gesamtbild allenfalls, dass die Bundesregierung bemüht ist, Opfern von Zwangsehen zu helfen, so paradox das auch klingen mag. Schließlich war eben diese Botschaft auf den Titelseiten zu lesen. Nicht von ungefähr: Es war gewollt und gesteuert von denen, die heute sowohl auf Statements als auch auf Pressemitteilungen lieber verzichten.
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In der Summe, betrachtet man die bisherigen Leistungen der großen Koalition auf dem Gebiet der Gesetzgebung in Bezug auf Ausländer, erhärtet sich folgendes Bild zunehmend: Die Union ist bemüht, den unkontrollierten Zuzug von Ausländern – insbesondere durch Spracherfordernisse beim Ehegattennachzug vor der Einreise – ohne Rücksicht auf Verluste zu stoppen, muss aber Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD nehmen. Diese – wenigstens noch um Einhaltung von Grundrechten bemüht – duldet mehr oder weniger die Forderungen der CDU oder zieht mit, um die Koalition nicht zu gefährden. Nicht umsonst spricht sie sich häufig gegen die Gesetzesverschärfungen der CDU aus, stimmt dem aber dennoch zu. Eine Zwangsehe auf höchstem Niveau sozusagen, nicht nur auf dem Gebiet der Ausländerpolitik.