Der Angeklagte ist der gefährlichen Körperverletzung schuldig, der Gesetzgeber der …

17. April 2008 | Von | Kategorie: Recht | 11 Kommentare |

Es gibt nicht oft Urteile, die man am liebsten einrahmen und aufhängen möchte. Aber es gibt sie: Az.: Ls 212 Js. Wem die Lektüre des ganzen zu lang ist, kann sich auch allein a) Verstoß gegen Artikel 1 GG (Menschenwürde), b) Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 3 (Diskriminierungsverbot), c) Verstoß gegen Artikel 97 Grundgesetz (richterliche Unabhängigkeit) gegen Ende der Entscheidung durchlesen. Es lohnt sich, wenn man Interesse daran hat zu erfahren, wie der Gesetzgeber teilweise hantiert und was Gerichte davon halten.

Der Angeklagte ist der gefährlichen Körperverletzung schuldig.

Gründe

Der heute 17-jährige Angeklagte ist kurdischer Abstammung und kam mit seinen Eltern, die der jesidischen Glaubensgemeinschaft angehören, im Alter von 4 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland. Die Eltern des Angeklagten beantragten hier Asyl, da sie aufgrund ihres Glaubens religiöser Verfolgung ausgesetzt waren. Zeitgleich kamen mit dem Angeklagten seine heute 12 Jahre alte Schwester, die noch in der Türkei geboren wurde und sein 15-jähriger Bruder, der gleichfalls 3 Jahre seines Lebens in der Türkei verbrachte, mit nach Deutschland. In Deutschland wurde ein weiteres Kind geboren. Nachdem die Familie des Angeklagten zunächst in einem Asylbewerberheim untergebracht wurde, wohnt sie heute in einer eigenen Wohnung. Die Kinder der Familie wie auch der Angeklagte besuchten von Anfang an einen Kindergarten. Der Angeklagte wurde dann altersgerecht eingeschult und musste die 1. Klasse aufgrund von Sprachschwierigkeiten wiederholen. Danach besuchte er ohne größere Probleme die Grundschule bis zur 6. Klasse. Er wechselte dann auf die Gesamtschule in Bernau und befindet sich dort in der 9. Klasse. Während des Verfahrens wurde er, obwohl dies im Herbst vergangen Jahres nicht absehbar war, nachdem er seine Leistung erfolgreich steigerte, schließlich in die 10. Klasse versetzt. Er beabsichtigt, eine Kfz-Mechaniker-Lehre nach Beendigung der Schule aufzunehmen. In seiner Freizeit hielt sich der Angeklagte insbesondere im Jahre 2006, teils mit gerichtsbekannten Jugendlichen deutscher wie auch ausländischer Abstammung auf. In seiner Freizeit spielt der Angeklagte heute zusammen mit deutschen Jugendlichen Fußball. Sein größerer Freundeskreis ist deutscher Abstammung.

Seit ca. einem ½ Jahr hat der Angeklagte eine gleichaltrige deutsche Freundin, die die 9. Klasse einer Realschule besucht.

Das Familienleben des Angeklagten ist u.a. davon geprägt, dass der Vater aufgrund einer nur bestehenden Duldung durch die Ausländerbehörde nach wie vor nicht arbeiten darf. Die Mutter des Angeklagten, die bereits aufgrund der Verfolgung in der Türkei psychische Probleme hatte, ist hierdurch sowie wegen der nach wie vor bestehenden ausländerrechtlichen Problematik psychisch weiter angeschlagen. Ihre psychischen Probleme haben sich durch die nachfolgend dargelegten Bleiberechtsregelungen weiter verstärkt. Sie befindet sich in ärztlicher Behandlung. Die Geschwister des Angeklagten sind integriert. In ihrem Stadtteil sind sie beliebt und haben deutsche Freunde. Die Mutter des Angeklagten ist Hausfrau und der Vater, gelernter Schneider, eben aufgrund des Umstandes, dass er einer geregelten Arbeit nicht nachgehen darf, ohne Beschäftigung. Die Familie lebt mithin seit Beginn ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland von Sozialleistungen. Die Eltern des Angeklagten kümmern sich genügend um diesen. Beide Elternteile nahmen regelmäßig an den Verhandlungen im Verfahren teil.

Ausweislich der Auskunft aus dem Erziehungsregister ist der Angeklagte bisher viermal strafrechtlich in Erscheinung getreten. Nachdem die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) am 27.7.2005 wegen einer am 19.4.2005 begangenen räuberischen Erpressung von der Verfolgung abgesehen hatte, sah sie sodann am 20.4.2006 wegen Erschleichen von Leistungen nochmals von der Verfolgung ab. Ein weiteres Verfahren wegen Verstoß gegen das Waffengesetz – Tatzeit: 4.2.2006 – wurde sodann am 13.6.2006 durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 45 Abs. 2 JGG beendet.

Erstmals hatte sich der Angeklagte am 11.10.2006 vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Bernau unter dem Geschäftszeichen 5 Ls 212 Js 12048/06 (30/06) zu verantworten. Der Angeklagte wurde hier der räuberischen Erpressung in 3 Fällen und der Körperverletzung schuldig gesprochen. Zur Sache traf das Gericht aufgrund der damals bereits von Reue getragenen geständigen Einlassung des Angeklagten sowie der Bekundungen der gehörten Geschädigten folgende Feststellungen:

1. Am 26.02.2006 gegen 18:00 Uhr traf der Angeklagte im S-Bahnzug – der zu diesem Zeitpunkt am Bahnsteig des Bahnhofs in Bernau hielt – auf die Zeugen P. und W. Der Angeklagte war in Begleitung eines weiteren Jugendlichen, der allerdings auf seinem Platz verblieb. Der Angeklagte hatte die Kapuze seines Kapuzenshirts übergezogen und mit einem beigen Schal das Gesicht vermummt. Infolge fragte er zunächst den Zeugen P. und dann den Zeugen W. nach einer Zigarette. Als der Zeuge W. seine Zigarettenschachtel mit Zigaretten der Marke „Marlboro 100“ hervor holte, erklärte der Angeklagte „Gib mir die ganze Schachtel“. Auf die Weigerung des Zeugen W. hob der Angeklagte seine Faust und drohte „Sonst kriegst du eine drauf“. Aus Furcht vor Schlägen hielt der Zeuge W. dem Angeklagten die Zigarettenschachtel hin, die der Angeklagte ihm aus der Hand riß und in die Außentasche seiner Jacke steckte. Sodann fragte der Angeklagte die ihm körperlich unterlegenen Zeugen, ob sie Funktelefone dabei hätten. Als die Zeugen dies verneinten, sagte der Angeklagte zu dem Zeugen P.: „Guck mal noch mal ganz genau“. Dann forderte er die Zeugen in barschem Ton auf, ihre Handys vorzuzeigen, indem er kommandierte: „Zeigen!“ Der Zeuge P. hielt ihm darauf hin sein Handy hin. Der Angeklagte forderte: „Her damit!“ Der Zeuge P. erklärte zunächst, dass er ihm sein Handy vom Typ Sagem nicht geben würde. Daraufhin drohte der vermummte Angeklagte dem Zeugen P.: „Gib her, sonst kriegste eine!“ Aus Angst vor dem vermummten Angeklagten holte der P. sein Handy aus der Innentasche seiner Kleidung hervor. Der Angeklagte nahm dem Zeugen das Funktelefon aus der Hand, steckte es in seine Kleidung und erklärte: „Jetzt ist es meins!“

Anschließend wandte sich der Angeklagte nunmehr an den gleichfalls verängstigten Zeugen W. und fragte diesen: „Du, hast du ein Handy dabei?“ Der Zeuge W. hielt dem Angeklagten unter dem Eindruck der Drohungen darauf hin sein Handy vom Typ Nokia hin, welches der Angeklagte an sich nahm und einsteckte. Danach forderte er von den Zeugen W. und P. noch Geld. Diese erklärten ihm gegenüber jedoch, über kein Bargeld zu verfügen. Anschließend begab er sich in den vordersten S-Bahnwagen und setzte sich zu seinem Freund, dem Zeugen B., und versteckte die Handys unter dem Sitz der S-Bahn. Aufgrund sofortigen Eingriffs der zwischenzeitlich alarmierten Polizei wurde er vorläufig festgenommen.

2. Trotz Warnung von Sozialarbeitern und Polizei beging der Angeklagte sodann am 19.05.2006 eine erneute erhebliche Straftat. Der Angeklagte war zuvor des öfteren auf dem Hof der Gesamtschule in Bernau durch freches und rücksichtsloses Verhalten gegenüber anderen Schülern aufgefallen. Am 19.05.2006 gegen 13:30 Uhr versetzte der Angeklagte dem Zeugen K., einem Mitschüler, sodann ohne den geringsten Grund hierfür zu haben, einen Faustschlag auf den Hinterkopf. Als der Zeuge K. sich darauf hin zu dem Angeklagten umdrehte, trat der Angeklagte mit seinen beschuhten Füßen nach dem Zeugen und stieß ihm mit dem Knie in den Bauch. Dann zog der Angeklagte einen Gürtel aus seiner Hose und schlug damit in Richtung des Zeugen K.. Als andere Personen versuchten, den Zeugen K von dem Angeklagten wegzuziehen, packte der Angeklagte den Zeugen am Hals und würgte ihn noch. Der Zeuge K. erlitt eine Quetschung und Abschürfung am Hals, eine Schwellung im Bereich der Nase sowie eine Kontusion des linken Daumens.

Kurz vor der Hauptverhandlung entschuldigte sich der Angeklagte bei den Zeugen P. und W. schriftlich. Er versuchte auch ein Täter-Opfer-Ausgleich durchzuführen und beabsichtigte zur Wiedergutmachung Arbeitsstunden zu leisten.“

Das Gericht verurteilte den Angeklagten seinerzeit zu einer Jugendstrafe in Höhe von 8 Monaten. Das Gericht sah seinerzeit unter Berücksichtigung, dass noch ein weiteres Verfahren wegen räuberischer Erpressung anhängig war, was zwischenzeitlich gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 JGG eingestellt wurde, schädliche Neigungen bei dem Angeklagten im Sinne des § 17 JGG für gegeben an. Da der Angeklagte sich erstmals vor einem Jugendgericht zu verantworten hatte und die Taten ehrlich bereute, setzte das Jugendschöffengericht die Vollstreckung der verhängten Jugendstrafe zur Bewährung aus.

Der Angeklagte fiel sodann nach dieser Verurteilung in strafrechtlicher Hinsicht nicht mehr auf. Er hielt regelmäßig Kontakt zur Bewährungshilfe, erfüllte die ihm auferlegten Arbeitsauflagen, ging regelmäßig zur Schule und entwickelte sich außerordentlich positiv. Er hielt weiter Kontakt zur Sozialarbeitern des Stadtteilzentrums und ließ sich nicht mehr hinreißen, an Straftaten teilzunehmen. In einem Fall trotz des Umstandes, dass während einer von einem Freund und ehemaligen Mittäter begangenen Sachbeschädigung dieser ihn de fakto ermunterte, an dieser teilzunehmen. Er erkannte, dass sein strafliches Verhalten ein Ende haben muss.

Des weiteren musste das Gericht feststellen, dass aufgrund der Verurteilung durch das Jugendschöffengericht vom 11.10.2006 nicht nur bei dem Angeklagten die vom damaligen Gericht erhoffte Kehrtwendung eingetreten ist, sondern zeitgleich für die gesamte Familie des Angeklagten eine vom damaligen Gericht nicht gekannte und damit auch in seiner Entscheidung nicht berücksichtigte Rechtsfolge eintrat.

So teilte die Ausländerbehörde des Landkreises Barnim der Familie des Angeklagten, die Antrag auf Aufenthalt und Arbeitsmöglichkeit nach der Bleiberechtsregelung gestellt hatte, mit, dass sie nicht unter die von der durch die Innenminister der Bundesrepublik Deutschland am 17.11.2006 – mithin nach der hiesigen Verurteilung und nach den begangenen Taten beschlossene Bleiberechtsregelung – fallen wird. Dies deshalb, weil die im Land Brandenburg mittels Verwaltungsvorschrift umgesetzte Bleiberechtsregelung auf Familien nicht angewendet wird, in der ein Familienmitglied, wie vorliegend der Angeklagte, zu einer Jugendstrafe verurteilt worden ist. Die Ausländerbehörde verwies insoweit auf Punkt 3.4 des Erlasses des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg vom Dezember 2006, in dem es heißt:

von dieser Regelung ausgeschlossen sind Personen, die wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurden; Geldstrafen von bis zu 50 Tagessätzen (kumulativ) bleiben grundsätzlich außer Betracht. Nicht zum Ausschluss führen Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz oder nur von Ausländern begangen werden können.

Sodann verwies die Ausländerbehörde auf Punkt 3.6 des Erlasses, wo es heißt:

Bei Ausschluss eines Familienmitglieds wegen Straftaten erfolgt grundsätzlich der Ausschluss der gesamten Familie. Die Trennung der Kinder von den Eltern ist in Ausnahmefällen möglich, wobei der Rechtsgedanke des § 37 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz entsprechend herangezogen werden kann und die Betreuung der Kinder im Bundesgebiet gewährleistet sein muss.

Eine durch das Gericht im Vorfeld der Hauptverhandlung erfolgte behördliche Anfrage beim Ministerium des Innern des Landes Brandenburg ergab, dass die durch Urteil des Jugendschöffengerichts verhängte Jugendstrafe eindeutig unter die von den Innenministern aufgestellte Grundsatzregelung fällt. Eine Trennung der Eltern oder Mitgeschwister von dem Angeklagten käme nicht in Frage. Hiernach könne die Familie des Angeklagten aufgrund der Verurteilung nicht die Vorteile der Bleiberechtsregelung in Anspruch nehmen.

Zwischenzeitlich ist die mit Erlass des Ministerium des Inneren des Landes Brandenburg vom Dezember 2006 geregelte Bleiberechtsregelung auch durch den Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates in dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union hinsichtlich der hier zur Kenntnis zu nehmenden relevanten Teile wie folgt beschlossen worden.

Hier heißt es zu Artikel 1 – Änderung des Aufenthaltsgesetzes zu Nummer 82:

§ 104 a Altfallregelung

(1) Einem geduldeten Ausländer soll abweichend vom § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 1. Juli 2007 seit mindestens 8 Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens 6 Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und er

1. über ausreichenden Wohnraum verfügt,

2. über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne der Stufe A 2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt,

3. bei Kindern im schulpflichtigem Alter den tatsächlichen Schulbesuch nachweist,

4. die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinaus gezögert oder verhindert hat,

5. keine Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen hat und diese auch nicht unterstützt und

6. nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben.

In § 104 a Abs. 3 heißt es dann:

(3) Hat ein in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 begangen, führt dies zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift für andere Familienmitglieder. Satz 1 gilt nicht für den Ehegatten eines Ausländers, der Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 begangen hat, wenn der Ehegatte die Voraussetzung des Absatzes 1 im übrigen erfüllt und es zur Vermeindung einer besonderen Härte erforderlich ist, ihm den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Sofern im Ausnahmefall Kinder von ihren Eltern getrennt werden, muss ihre Betreuung in Deutschland sicher gestellt sein.

Im Rahmen einer während der hiesigen Hauptverhandlung erfolgten behördlichen Anfrage gem. § 256 StPO an das Bundesministerium des Inneren der Bundesrepublik Deutschland erklärte dieses lediglich, dass bis zum Zeitpunkt der Urteilverkündung in vorliegender Sache die oben beschriebene Altfallregelung noch keine Gesetzeskraft erlangt habe, da das Gesetz noch nicht durch den Bundespräsidenten unterzeichnet und mithin auch noch nicht im Bundesgesetzblatt verkündet worden sei.

Aufgrund des Umstandes, dass der Angeklagte eben der Familie die Möglichkeit nahm, unter die Bleiberechtsregelung zu fallen, hielt er sich in der Vergangenheit für ganz besonders schuldig und erklärte sogar, dass er doch auch alleine zurück in die Türkei gehen wolle. Psychisch stellte das eine enorme Belastung dar. Dennoch beging der Angeklagte keine weiteren Straftaten.

Das Urteil des Amtsgerichts Bernau vom 11.10.2006, auf das der Vater des Angeklagten seinerzeit drängte, wurde nicht mit einer Berufung angefochten. Dies obwohl eine Berufung nach Auffassung des Gerichts auch Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Der Vater des Angeklagten wollte allerdings gerade, dass sein Junge, der ihm vorüber gehend „aus den Händen geschlittert war“, unter die Aufsicht der deutschen Behörden, mithin des Gerichts und der Bewährungshilfe gestellt würde. Er arbeitete insoweit an einer vernünftigen integrativen Erziehung seines Sohnes mit.

II.

Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme, der geständigen und von Reue getragenen Einlassung des Angeklagten sowie seiner ehemals mit angeklagten Mittäter T. und H., gegen die das Verfahren vorläufig eingestellt wurde, sowie auch aufgrund der Bekundung des Geschädigten D. konnte das Gericht folgenden Sachverhalt feststellen:

Am 25.9.2006 gegen 13.00 Uhr verabredeten der gesondert Verfolgten T. und der Zeuge D. eine Schlägerei. Die beiden trafen sich am Gymnasium in Bernau und gingen dann gemeinsam mit weiteren Schülern des Gymnasiums über die Straße in den Stadtpark. Beiden war klar, dass sie sich nunmehr prügeln wollten, was sie auch taten. Sie schlugen sich sodann wechselseitig. Die anderen Personen griffen zunächst nicht ein. Nachdem die Schlägerei fast zu Ende war, kamen der Angeklagte Y. und der ehemals Mitangeklagte H. zum Ort des Geschehens. Y. und H. waren Freunde des Angeklagten T.. Sie nahmen das Geschehen zur Kenntnis und erklärten nunmehr dem Angeklagten T., dass er sich doch weiter prügeln solle. Hieraufhin nahmen der Angeklagte T. und der Geschädigte D. ihre Schlägerei wieder auf und schlugen nun auch unter den Augen der Angeklagten Y. und H. weiter aufeinander ein. Als die Angeklagten Y. und H. merkten, dass ihr Freund, der Angeklagte T., langsam aber sicher unterliegen würde, kamen sie überein, ihm nunmehr zu helfen. Infolgedessen sprangen die beiden – jeder von einer Seite – mit Anlauf auf den Zeugen D. zu und kickten ihn mit ihren beschuhten Fuß gegen den Körper, wodurch der Zeuge D. zu Boden stürzte. Ohne dass der Angeklagte Y. dies wollte, versetzte der Angeklagte T. den Zeugen D. sodann einen äußerst heftigen Fußtritt gegen den Kopf. Der Angeklagte Y. reagierte sofort, half dem Geschädigten hoch und setzte ihn auf die Bank. Zeitgleich forderte er andere Jugendliche auf, Wasser zu holen, um dem Geschädigten weiter zu helfen.

Infolge des Fußtrittes musste der Geschädigte D. für einige Tage stationär im Krankenhaus aufgenommen werden. Er erlitt ein Schädelhirntrauma und eine Fraktur des Kiefergelenkes links. Der Angeklagte Y. entschuldigte sich noch im Krankenhaus für sein wie auch der Mittäter an den Tag gelegtes Verhalten.

Im Vorfeld der Hauptverhandlung absolvierte der Angeklagte Y. zur Wiedergutmachung freiwillig weitere Sozialstunden. Er entschuldigte sich nochmals bei dem Geschädigten und dessen Vater.

III.

Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte gemeinsam mit den ehemals Mitangeklagten T. und H. einer gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 II StGB strafbar gemacht. Der durch den gesondert Verfolgten T. erfolgte Fußtritt war dem Angeklagten nicht zuzurechnen. Insoweit handelte es sich um eine von dem Angeklagten nicht zu vertretenden Exzesshandlung des gesondert verfolgten T..

IV.

1. Das Gericht hatte auf den zum Tatzeitpunkt 16 ½-jährigen Angeklagten gemäß §§ 1, 3 JGG Jugendstrafrecht in Anwendung zu bringen und mit der Verurteilung des Jugendschöffengerichts vom 11.10.2006 gemäß § 31 Abs. 2 JGG einheitlich auf eine Maßnahme oder Jugendstrafe zu erkennen. Eine separate Entscheidung gemäß § 31 Abs. 3 JGG kam aufgrund der vorliegenden Sachlage und insbesondere der für den Angeklagten aufgrund des Urteils vom 11.10.2006 entstandenen Folgen, nämlich der Folgen aus der Bleiberechtsregelung, aus erzieherischen Gründen nicht in Betracht. Mithin hatte das Gericht unter Berücksichtigung des am 11.10.2006 erfolgten Schuldspruches nunmehr mit einer neu zu bestimmenden erzieherischen Sanktion auf das Verhalten des Angeklagten zu reagieren.

Hiernach war zum Zeitpunkt der Verurteilung und zwar losgelöst von der Rechtsfolgenentscheidung im einbezogenen Urteil vom 11.10.2006 unter Neubewertung des Gesamtverhaltens des Angeklagten einerseits sowie der von ihm begangenen Straftaten andererseits eine einheitliche Rechtsfolge im Sinne des § 31 Abs. 2 JGG zu bestimmen, (BGH-Beschluss vom 20.08.1998 – 4 STR 387/98 BGH, St. 37, 34, BGH StV 1996, 273 ff., vgl. Ostendorf, NSTZ 1991, 184 ff., LG Gera, GVJJ-Journal 3/1998, 280). Hierbei hat das erkennende Gericht, so die herrschende Meinung in Rechtssprechung und Literatur, die erzieherisch notwendige Sanktion zu bestimmen und zunächst die Voraussetzung für die Verhängung von Jugendstrafe im Sinne des § 17 JGG regelmäßig neu und unter Berücksichtigung aller im Verfahren erlangten Erkenntnisse zu prüfen, (vgl. Ostendorf Kommentar zum JGG, 7. Aufl. Zu § 31 Rdn. 20, 21 ff. m.w.N.). So kann es unter Berücksichtigung des im Jugendstrafrecht über alles stehenden Erziehungsgedanken auch dazu kommen, dass im Verhältnis zu dem einbezogenen Urteil sogar mildere Sanktionen verhängt werden können, (BGH StV 1990, 505, 1992, 432; vgl. auch Eisenberg, Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz 2007, 12. Aufl. Zu § 31 Rdn. 42). Dies insbesondere dann, wenn zum Zeitpunkt des Urteils die Voraussetzungen der schädlichen Neigungen im Sinne des § 17 JGG nicht mehr vorliegen (vgl. LG Gera, DVJJ-Journal 3/1998, 280, Böhm NSTZ-RK 1999, 290 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). So darf das Jugendgericht dann keine Jugendstrafe verhängen, wenn die Voraussetzung zur Bildung einer Einheitsjugendstrafe mit einer früheren Verurteilung zur Jugendstrafe zwar im Grunde genommen vorliegen, aber zum Zeitpunkt der Entscheidung schädliche Neigungen im Sinne des § 17 JGG nicht mehr festzustellen sind (vgl. Böhm, NSTZ 1992, 528, BGH, Beschluss vom 23.10.1991 – 2 StR 457/91). Hierbei ist weiter ständige Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs, dass auf Grundlage aktueller Erkenntnisse neu und einheitlich gemäß § 31 Abs. 2 JGG die jugendrichterliche Sanktion, die zum Zeitpunkt der letzten Entscheidung nach den Voraussetzungen der jeweiligen im Jugendgerichtsgesetz verankerten Entscheidungsmöglichkeiten geboten ist, auch auszuurteilen ist (vgl. insoweit BGH ST 37 ff., Brunner/Dölling zu § 31, Rn. 14 m.w.N.).

Heute führt nur noch eine Mindermeinung in der Literatur gegen die zuvor beschriebene Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes aus, dass die neue Sanktion eben nicht milder ausfallen dürfe, als die Rechtsfolge der früheren Verurteilung. Eine Einbeziehung diene nämlich nicht einer Korrektur des einbezogenen Urteils, weswegen § 31 Abs. 2 JGG letztlich ein Verbesserungsverbot enthalte. Hiernach begrenze die bereits verhängte Jugendstrafe des einzubeziehenden Urteils die Höhe der nunmehr festzusetzenden Jugendstrafe. Sie stelle die Untergrenze der neu und einheitlich auszuurteilenden Jugendstrafe dar (vgl. Seiser in NSTZ 97, 374/375, Dallinger – Lackner zu § 31 JGG Rd. 26 m. N.). Diese nur noch wenig vertretene Ansicht verkennt jedoch, dass eben mit der Einbeziehung der früheren Entscheidung diese im gesamten Rechtsfolgenausspruch ihre Wirkung verliert und nunmehr eine einheitliche Sanktion selbständig und losgelöst mit den neusten Erkenntnissen zu bestimmen ist (vgl. Ostendorf Kommentar zum JGG zu § 31 Rd. 20/21). Auch trägt diese Minderansicht dem Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht nicht genügend Rechnung. Vielmehr fehlinterpretiert sie Zweck und Funktion des das gesamte Jugendstrafrecht (vgl.: Schoreit in Diem/Schoreit/Sonnen Kommentar zum JGG, 3. Auflage, 1999 zu § 31 JGG Rd. 14). So bedeutet Erziehung regelmäßig nicht nur zu sanktionieren, sondern ggf. mittels Reduzierung und Milderung der erfolgten Sanktion auch zu belohnen. Dies ergibt sich nicht nur aus dem über alle Normen stehenden Erziehungsgedanken, sondern selbst direkt aus mehreren im Jugendgerichtsgesetz durch den Gesetzgeber verankerten Rechtsbestimmungen.

So kann beispielsweise etwa bei einem positiven Bewährungsverlauf gemäß § 22 Abs. 2, § 28 Abs. 2 Satz 2 JGG die ursprünglich regelmäßig auf 2 Jahre bestimmte Bewährungszeit nachträglich bis auf 1 Jahre verkürzt werden. Auch kann im Rahmen der Verhängung von Zuchtmitteln aus erzieherischen Gründen auf die Vollstreckung verzichtet werden. Unter Berücksichtigung der zuletzt genannten im Jugendgerichtsgesetz verankerten Möglichkeiten, sowie darüber hinaus des Wortlautes des § 31 Abs. 2 JGG, wo es eben heißt: „einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe“ folgt das Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Bernau der herrschenden Lehre sowie der ständigen Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs, dass bei Einbeziehung einer verhängten Jugendstrafe eine völlige Neubewertung vorzunehmen ist. Insoweit bedarf es zunächst regelmäßig der Prüfung, ob zum Zeitpunkt der nunmehr zu treffenden Entscheidung noch schädliche Neigungen bei dem Angeklagten vorliegen.

Dies hat das Gericht aufgrund der zuvor ausgeführten Rechtsauffassung und der im Verhältnis zu dem Verfahren vom 11.10.2006 wesentlich umfangreicheren Beweisaufnahme erneut geprüft. Hierbei hat das Gericht nochmals die von dem Angeklagten insgesamt begangenen Straftaten gewichtet. Es hat zunächst gesehen, dass die von dem Angeklagten begangenen Straftaten in mehreren Fällen Verbrechenstatbestände nach dem allgemeinen Strafgesetzbuches darstellen. Andererseits zielte der Angeklagte regelmäßig auf geringe Beute. Auch war zu sehen, dass die von dem Angeklagten begangenen Straftaten in einem überschaubaren Zeitraum lagen und damit als episodenhaft einzuschätzen sind. Berücksichtigt werden musste insoweit, dass die gegen den Angeklagten sodann durchgeführten Strafverfahren sich hinzogen und dieser erstmals am 11.10.2006 durch die Autorität eines Jugendstrafgerichtes in seinen Bahnen gewiesen wurde. Zuvor wurden alle Verfahren gemäß § 45 JGG von der Staatsanwaltschaft beendet. Hinsichtlich der hier neu zu beurteilenden Tat musste weiter gewertet werden, dass der Angeklagte zwar an einer gefährlichen Körperverletzung teilnahm, diese jedoch spontan und aus einer besonderen Situation heraus erfolgte. In Anbetracht dessen, dass der Angeklagte dann als einziger vor Ort sofort dem Geschädigten half und sich bei diesem noch im Krankenhaus entschuldigte, reduzierte er die im Rahmen der von ihm zu vertretenden Körperverletzung verwirkte Schuld, die bereits am unteren Ende der Körperverletzungshandlungen liegt, noch weiter. Bereits vor der Hauptverhandlung vom 11.10.2006 versuchte er darüber hinaus Täter-Opfer-Ausgleiche durchzuführen. Sofern das Jugendschöffengericht am 11.10.2006 schädliche Neigungen bejahte, dürfte dies bereits an der Grenze der hierfür notwendigen Voraussetzung gewesen sein. Denn das Jugendschöffengericht hat seinerzeit nicht gewertet, in welch schwierigen Umständen der Angeklagte aufgewachsen ist. Es dürfte seinerzeit zu sehr pauschalisiert worden sein.

Wenn man nun aber noch das Verhalten des Angeklagten nach der am 11.10.2006 verhängten Jugendstrafe betrachtet, so zeigte sich der Angeklagte eben mustergültig. Er trat nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung und hielt regelmäßig Kontakt zur Bewährungshelferin und weiteren Stadteilsozialarbeitern. Er hat erkannt, welche Schuld er bezüglich seiner Straftaten wie auch hinsichtlich der durch die Bleiberechtsregelung entstandenen Probleme für seine Familie auf sich geladen hat. Er leistete weiter freiwillig gemeinnützige Arbeitsstunden.

Das Gericht hat im hiesigen Verfahren feststellen müssen, dass der Angeklagte aus einer sozial außerordentlich geschwächten Familie stammte und er durch Begehung der Straftaten am „normalem“ jugendlichen Konsum hatte teilhaben wollen. Deshalb beging er die räuberische Erpressung zur Erlangung von Handys. Abschließend hat das Gericht positiv gewichtet, dass seine letzte Tat 10 Monate und seine schwerste Tat sogar 17 Monate zurück liegt.

Unter nochmaliger Würdigung aller Umstände sowie der nunmehr in diesem Verfahren ganz genau betrachteten Persönlichkeit des Angeklagten und seines Nachtatverhaltens konnte das Gericht schädliche Neigungen im Sinne des § 17 JGG nicht mehr feststellen.

Das Gericht hat weiter geprüft, ob aufgrund der nunmehr festgestellten Tat bei einer Gesamtbetrachtung des von dem Angeklagten insgesamt an den Tag gelegten strafbewährten Verhaltens aus dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld gem. § 17 JGG Jugendstrafe zu verhängen wäre. Hierbei hat das Gericht nochmals alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen. Zu Lasten musste gewertet werden, dass der Angeklagte bereits vor der Verurteilung vom 11.10.2006 mehrfach in Erscheinung getreten ist. Des weiteren musste das Gericht sehen, dass der Angeklagte Verbrechenstatbestände erfüllte und selbst nach polizeilicher Vernehmung erneut Straftaten beging. Dagegen musste das Gericht aber ins Gewicht setzen, dass der Angeklagte in beiden gegen ihn geführten Verfahren vollumfänglich geständig war. Es musste sehen, dass hinsichtlich der Verbrechenstatbestände es das Ziel des Angeklagten war, letztlich geringe Beute zu erlangen. Des weiteren war zu beachten, dass die von dem Angeklagten letztlich zu vertretenen Körperverletzungshandlungen keine besonderen Folgen für die Geschädigten hatten. Außer Acht zu lassen war insoweit auch nicht, dass der Angeklagte Täter-Opfer-Ausgleiche durchgeführt und darüber hinaus sich bei den Verletzten auch persönlich und zwar im letzten Fall bereits direkt nach der Tat entschuldigt hatte. Es war weiter zu sehen, dass der Angeklagte der hier festgestellten Tat sofort darum bemüht war, Hilfe herbei zu holen. Schließlich hat das Gericht gesehen, dass der Angeklagte im Vorfeld der hiesigen Hauptverhandlung noch freiwillig soziale Arbeitsstunden leistete. Hiernach reduzierte er die von ihm zu vertretene Schuld, die allerdings nicht im Sinne des § 17 JGG aus den zuvor ausgeführten Gründen als schwere Schuld zu sehen ist, noch weiter, so dass es auch aus dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld nicht geboten war Jugendstrafe gegen den Angeklagten zu verhängen.

Letztlich war gemäß § 31 Abs. 2 JGG unter Einbeziehung der Verurteilung vom 11.10.2006 auf eine einheitliche Maßnahme oder auf Jugendstrafe zu erkennen. Da die Voraussetzungen der Verhängung von Jugendstrafe nicht vorliegen, war mithin mit einer anderen Maßnahme im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes erzieherisch zu reagieren. Insoweit war die Verhängung eines Zuchtmittels in Form einer Arbeitsauflage zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausreichend.

2. Soweit die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihres Verurteilungsantrages die Verhängung einer Einheitsjugendstrafe in Höhe von 10 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, beantragt hat, war davon abgesehen, dass das Gericht schädliche Neigungen nicht mehr feststellen konnte, aber auch aus weiteren hilfsweise darzulegenden Gründen nicht zu entsprechen.

So hätte sich das Gericht vorliegend nicht in die Lage versetzt gesehen, gegen den Angeklagten eine Einheitsjugendstrafe gemäß § 31 Abs. 2 JGG zu verhängen. Nach dem Willen des Gesetzgebers darf eine Jugendstrafe grundsätzlich dann nicht verhängt werden, wenn sie zu schweren Schäden in der Entwicklung des jungen Menschen führen würde. Dies zeigen bereits die Richtlinien zu § 17 JGG auf. Hier heißt es: „Jugendstrafe darf nur verhängt werden, wenn andere Rechtsfolgungen des Jugendgerichtsgesetzes nicht ausreichen. Sie soll in erster Linie der Erziehung dienen und darf deshalb mit der Freiheitsstrafe nicht gleich gesetzt werden. Wenn aber die Verhängung einer Jugendstrafe erzieherisch begründet werden muss, dann spielt es immer eine Rolle, welche Wirkung die Verhängung derselben für den jeweiligen Angeklagten haben wird. Hierbei hätte das Gericht berücksichtigen müssen, dass der Angeklagte bereits durch die gegen ihn im Oktober 2006 verhängte Jugendstrafe eine im Verhältnis zu vergleichbaren Sanktionen bei nicht unter ausländerrechtlichen Duldung stehenden jugendlichen Straftätern außerordentliche und nach Auffassung des Gerichts verfassungswidrige Härte erlitten hat. Nach dem Erziehungsgedanken des Jugendgerichtsgesetzes muss eine jugendrichterliche Sanktion erzieherisch gestaltet werden. Die Verhängung einer Jugendstrafe, die damit verbunden ist, dass einer gesamten Familie die Möglichkeit unter die Bleiberechtsregelung zu fallen, genommen wird, kann nicht mehr als erzieherisch positiv wirksam für den Jugendlichen angesehen werden. Obwohl sie bei dem Angeklagten nicht direkt kontraproduktiv wirkte, hätte sie zur Überzeugung des Gerichts auch negative Wirkung entfalten können. Ein Jugendlicher, der damit leben muss, dass sein Verhalten seiner gesamten Familie die Möglichkeit auf Aufenthalt, Zukunftsorientierung und Arbeit für den Vater nehmen kann, ist psychisch enorm belastet. Er könnte gerade aufgrund dieser enormen psychischen Drucksituation erneut Straftaten begehen. Abgesehen hiervon wäre er nicht nur vorüber gehend psychisch belastet, sondern ein Leben lang. Die Folgen, nämlich der Umstand, dass seine gesamte Familie nicht mehr unter die Bleiberechtsregelung fällt ist so erheblich, dass eine Jugendstrafe gegen geduldete jugendliche Familienmitglieder nur noch in absoluten Ausnahmefällen mithin bei schwersten Verbrechen verhängt werden kann. Die Bleiberechtsregelung – soweit sie jugendrichterliche Verfahren berührt – hätte damit kontraproduktive Wirkung.

Die in der so genannten Altfallregelung unter § 104 a Abs. 3 durch den Gesetzgeber eingeführte und bereits in der Verwaltungspraxis praktizierte Mithaftung weiterer Familienmitglieder bei Verurteilung zu Jugendstrafe, hat jedes Gericht zu beachten. Ebenso den sich aus dem Strafgesetzbuch ergebenden Grundsatz, dass bei jeder Strafzumessung die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters zu erwarten sind, Berücksichtigung finden müssen (§ 46 Abs. 1 StGB). Es entspricht allgemeiner Strafzumessungslehre, dass auch immer die Folgen einer Strafe für das Umfeld des Angeklagten mit zu berücksichtigen sind. Jugendgerichte, die diese Grundsätze ernst zu nehmen haben, dürften tatsächlich in Zukunft nur noch bei schwersten strafrechtlichen Verhalten von unter Duldung stehenden Jugendlichen das schärfste Mittel des Jugendgerichtsgesetzes, nämlich die Jugendstrafe, verhängen.

Der Gesetzgeber hätte mithin durch die Einführung der Haftung der Familie und der Absicht junge Menschen, die unter Duldung stehen, letztlich strenger zu sanktionieren, eine kontraproduktive Regelung herbeigeführt. Der bisweilen frühzeitige Schutz der Bevölkerung eben auch durch Verhängung von Jugendstrafen gegen jugendliche Ausländer könnte hierdurch in sein Gegenteil verkehrt werden. Dem Jugendschöffengericht Bernau erscheint es insoweit denkbar, dass der Gesetzgeber die hier aufgeworfene Frage jedenfalls im Zusammenhang mit der Arbeit der Jugendgerichte nicht gesehen hat.

3. Sofern das Gericht die Auffassung der Staatsanwaltschaft geteilt hätte, dass eine Einheitsjugendstrafe zu verhängen gewesen wäre, hätte das Gericht vorliegend gemäß Artikel 100 Grundgesetz das Verfahren aussetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen müssen. Dies jedenfalls soweit zum Zeitpunkt einer Entscheidung die Altfallregelung im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und damit Gesetz geworden wäre. Denn insoweit wäre die Frage, ob die Altfallregelung – hinsichtlich der Einführung der „Sippenhaft“ – verfassungswidrig oder verfassungsgemäß ist, auch für eine hiesige Entscheidung im Sinne des Artikel 100 entscheidungserheblich gewesen. So reicht es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für eine so genannte Normenkontrollklage aus, dass die Gültigkeit oder Ungültigkeit eines zur Überprüfung gestellten Gesetzes nur ein Element für die Urteilsfindung des Gerichtes darstellt; das Gesetz braucht nicht der alleinige Inhalt der Klage zu sein (vgl. BverfGE 6, 222, 231; BverfGE 13, 97, 104). Dies wäre vorliegend der Fall.

Denn das Gericht hätte sich außerstande gesehen gegen den Angeklagten selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Jugendstrafe zu verhängen. Von einem Jugendgericht zu erwarten, dass es letztlich eine Vorentscheidung zur Abschiebung einer gesamten Familie trifft, die nicht einmal vor Gericht steht, die letztlich keinerlei Schuld auf sich geladen hat, dürfte gegen elementare Grundsätze der Verfassung verstoßen.

Das Gericht hält die Altfallregelung hinsichtlich der mit ihr gewollten Auswirkungen auf sämtliche weiteren Mitglieder der Familie für verfassungswidrig und hätte nur dann eine Jugendstrafe verhängen können, sofern das Bundesverfassungsgericht diese Regelung nach einer Vorlage gleichfalls für verfassungswidrig oder verfassungsgemäß erklärt hätte. Dann nämlich hätte sich das Gericht nicht mehr an den nach hiesiger Auffassung dargestellten verfassungswidrigen Folgen für den Angeklagten und seiner Familie orientieren müssen.

Das Amtsgericht Bernau – Jugendschöffengericht – ist überzeugt von der Verfassungswidrigkeit der so genannten Altfallregelung gem. § 104 a Abs. 3 soweit bei Verhängung von Jugendstrafe hierdurch ein Ausschlusstatbestand für sämtliche weitere Familienmitglieder des Angeklagten herbei geführt werden soll. Diese Regelung verstößt zur sicheren Überzeugung des Gerichts gegen das Grundrecht auf Menschenwürde gemäß Artikel 1 GG, das Differenzierungsverbot gemäß Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 GG und stellt darüber hinaus einen Verstoß gegen Artikel 97 Grundgesetz dar.

a) Verstoß gegen Artikel 1 GG (Menschenwürde)

Nach Artikel 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt. Durch die Garantie der Menschenwürde als unantastbarer, vor aller staatlicher Gewalt zu schützender Wert, trafen die Grundgesetzgeber in Artikel 1 Abs. 1 GG eine elementare Grundentscheidung. Im Rahmen der Verfassungsgebung waren die Inhalte, die sich mit dem Begriff der Menschenwürde verbanden, in erster Linie durch die kurz zuvor erlebten Unmenschlichkeiten der nationalsozialistischen Zeit geprägt. In dieser verloren die Menschen ihren Achtungsanspruch und Millionen von Menschen wurden zu bloßen Objekten herabgewürdigt. Unter anderem durch Diffamierung, Diskriminierung und auch durch Sippenhaft. Infolge wurde die Garantie der Menschenwürde an die Spitze der gesamten Verfassungsordnung gestellt. Sie stellt das Fundament der Verfassungsordnung dar (vgl. Zipelius/Würtenberger 31. Aufl., 2005 zu § 21). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Menschenwürde dann betroffen, wenn der konkrete Mensch und damit auch der Mensch ausländischer Herkunft zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zu einer vertretbaren Größe herabgewürdigt wird. Eben dann, wenn die Behandlung durch die öffentliche Gewalt die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jeden Mensch um seiner selbst Willen zukommt (vgl. BVerfGE 87, 209, 228). So widerspricht es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Grundgesetz, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen. Im Rahmen der Strafrechtspflege hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder deutlich gemacht, dass es zu unabdingbaren Grundsätzen der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung gehöre, dass eine angedrohte oder verhängte Strafe nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf (vgl. BVerfGE 72, 105, 115 ff.; 75, 1, 16 ff.). Im Rahmen der Auseinandersetzung des Bundesverfassungsgerichts mit der Frage, auf welche Art und Weise Menschen bestraft werden dürfen, insbesondere der Frage, ob lebenslängliche Freiheitsstrafe auch bis zum Tode vollstreckt werden darf, hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder deutlich gemacht, dass die unverletzbare Würde des Menschen als Person gerade darin besteht, dass er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt. So muss jede Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Straftat und zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfGE 109, 133, 170 ff.). Im Rahmen des mit Verfassungsrang ausgestatteten Schuldprinzips sind Täter ausschließlich wegen ihrer persönlichen Schuld zu bestrafen und nicht darüber hinaus mittelbar ihre Familienmitglieder.

Das Amtsgericht Bernau – Jugendschöffengericht – ist davon überzeugt, dass die hier in Frage stehende Altfallregelung zunächst den Angeklagten bereits zum bloßen Objekt degradiert und damit seine Menschenwürde, die selbstverständlich auch ein unter Duldung stehender Jugendlicher hat, verletzt. Denn sofern das Gericht gegen den Angeklagten eine Jugendstrafe verhängt hätte, hätte dies für den Angeklagten die Wirkung zeitigen können, dass seine Familie nicht der Altfallregelung unterfällt und damit aus der Bundesrepublik Deutschland ggf. hätte abgeschoben werden können. Er wäre damit als zum Tatzeitpunkt 16-jähriger dafür verantwortlich gemacht worden, dass seinen jüngeren Geschwistern wie auch seinen Eltern Rechte in der Bundesrepublik Deutschland genommen worden wären. Seinen hier integrierten Geschwistern hätte er darüber hinaus bei Verhängung einer Jugendstrafe die Möglichkeit auf eine Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland genommen. Nach Auffassung des Gerichts hat dies nichts mehr mit einer schuldangemessenen Strafe im Sinne eines Schuldstrafrechtes zu tun. Vielmehr sieht das Gericht die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze, dass eine verhängte Strafe nicht unmenschlich oder erniedrigend sein darf, vorliegend im Falle der Verhängung einer Jugendstrafe für verletzt an. Denn die Verhängung der Jugendstrafe gegen den hier Angeklagten kann immer nur im Zusammenhang mit der sich hieraus resultierenden Folge, nämlich des Ausschlussgrundes im Rahmen der Altfallregelung gem. § 104 a Abs. 3 gesehen werden. Einem 16-jährigen aufzuerlegen, diese Verantwortung für das Schicksal seiner Eltern und Geschwister zu tragen, verstößt gegen Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz, da es zur Auffassung des Gerichts unmenschlich und auch erniedrigend ist. Soweit darüber hinaus durch die Verhängung einer Jugendstrafe mittelbar eben nicht nur der Angeklagte – wie zuvor beschrieben – sondern eben auch seine Eltern und Geschwister betroffen sind, würde die Verhängung einer Jugendstrafe auch gegen deren Recht auf Menschenwürde verstoßen. Denn das Gericht würde mittelbar über das Wohl und Wehe von Menschen urteilen, die nicht vor Gericht gestanden, keine Schuld auf sich geladen und darüber hinaus hinsichtlich der Geschwister noch nicht einmal das elementare Recht gehabt hätten, angehört zu werden.

Würde das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Jugendstrafe gegen den Angeklagten verhängen, würde es, da es von der Verfassungswidrigkeit der Altfallregelung überzeugt ist, gleichfalls gegen Artikel 1 Nr. 1 GG verstoßen. Denn die Menschenwürde zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt, mithin auch Verpflichtung des Jugendschöffengerichts Bernau.

b) Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 3 (Diskriminierungsverbot)

Artikel 3 Abs. 3 GG verbietet dem Gesetzgeber, Gesichtspunkte wie Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiöse oder politische Anschauung als Differenzierungskriterien zu verwenden. Hierbei bezieht sich der Begriff der Abstammung einfach auf die biologische Beziehung zu den Vorfahren. Mithin zeichnet der Begriff der Abstammung letztlich Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Menschen. So bedeutet das Diskriminierungsverbot im Hinblick auf die Abstammung, dass Kinder von Protestanten, Katholiken, Sinti und Roma, Juden, politischen Gegnern, Nationalsozialisten, Kommunisten oder von Straftätern, wie auch von Flüchtlingen eben wegen dieser Abstammung bzw. wegen dieses Verwandtschaftsverhältnisses keine Benachteiligungen erdulden dürfen (vgl. v. Mangold-Klein-Stark, Kommentar zum Grundgesetz Band 1, 5. Aufl. 2005, zu Artikel 3 Abs. 3 Rd. 385). Im Umkehrschluss dürfen auch umgekehrt Eltern oder Geschwister lediglich aufgrund ihres Verwandtschaftsverhältnisses keine Nachteile erdulden. In den Kommentaren zum Grundgesetz wie zum Beispiel bei Maunz-Dürig zu Artikel 3 wird eine Differenzierung im Hinblick auf die Abstammung regelmäßig als so genannte „Sippenhaft“ bezeichnet (vgl. u.a. Maunz-Dürig Kommentar zum Grundgesetz, 2007 zu Artikel 3 Abs. 3 GG Rd. 46).

Soweit der Gesetzgeber mithin lediglich aufgrund der Abstammung ungleiche Folgen herbeiführt, so verstößt dies nach Auffassung des Gerichts gegen das Diskriminierungsverbot des Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz. So wird zunächst der Angeklagte im Falle einer Verhängung einer Jugendstrafe gegen ihn aufgrund der mittelbaren Folge durch die dargestellte Altfallregelung ungleich härter sanktioniert als vergleichbare Täter aus deutschen Familien oder mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis versehener ausländischer Familien. Eine Jugendstrafe bedeutet für ihn – wie oben dargelegt – seine engsten Familienmitglieder enorm in Mitleidenschaft zu ziehen. Es bedeutet weiter, einem 16-jährigen die Verantwortung für das Schicksal seiner gesamten Familie aufzuerlegen. Dies alleine aufgrund des Umstandes, dass er in eine Familie hinein geboren wurde, die seit über 12 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lediglich geduldet wird. Weswegen der Gesetzgeber vorliegend zwischen unter Duldung stehenden jugendlichen Delinquenten und deutschen jugendlichen Delinquenten unterscheidet, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Da diese Ungleichbehandlung einzig und allein auf der Abstammung beruht, ist sie damit als verfassungswidrig im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot zu werten.

Soweit das Gericht schließlich unabhängig von der Folgenbetrachtung für den Angeklagten Jugendstrafe verhängt hätte, würde es mittelbar dafür verantwortlich zeichnen, dass eine mit dem Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 GG verfassungswidrige Folge herbeigeführt würde. So hätte das Gericht mittelbar auch über völlig unschuldige Geschwister des Angeklagten und seine Eltern und deren Zukunft zu entscheiden. Dies alleine aufgrund der Abstammung bzw. des Verwandtschaftsverhältnisses der zuvor genannten Personen. Es würde die Eltern und Geschwister des Angeklagten faktisch mittelbar diskriminieren.

c) Verstoß gegen Artikel 97 Grundgesetz (richterliche Unabhängigkeit)

Die vorstehend angeführten Teile der Bleiberechtsregelung verletzen das Gericht in seiner durch Artikel 97 Abs. 1 GG garantierten sachlichen Unabhängigkeit.

Das Grundgesetz garantiert der Rechtsprechung als sog. dritte Staatsgewalt sowohl gegenüber der Legislative als auch der Exekutive, dass die Richter und damit auch die kollegial verfassten einzelnen Spruchkörper ihre Tätigkeit im konkreten Fall ohne Einfluss von außen, insbesondere der beiden anderen Staatsgewalten, ausüben können. So ist es den anderen beiden Staatsgewalten untersagt, direkt oder nur mittelbar die richterliche Entscheidung im konkreten Fall zu beeinflussen (vgl. Meyer in v. Münch Kommentar zum Grundgesetz 3. Aufl. zu Art. 97 Rd. 7) Dies gilt nicht nur, aber wegen der besonderen Auswirkung strafgerichtlicher Rechtsprechung insbesondere im Hinblick auf die Strafgerichte. Diese sollen auf Grundlage der abzuurteilenden Tatbegehung nach vom Gesetzgeber abstrakt bestimmten Strafvorschriften im einzelnen Fall und nur auf der Basis des dem konkreten Tatvorwurf zugrunde liegenden Sachverhalts Strafbarkeit und Schuld nach dem Schuldprinzip feststellen und die der Tat angemessene Rechtsfolge bestimmen. Dabei sind sowohl der Schuldspruch als auch die im Strafurteil ausgesprochene Rechtsfolge gleichrangige Teile der strafgerichtlichen Rechtsprechung. Jeder Richter und damit auch jedes Kollegialgericht muss eigenverantwortlich und in innerer Unabhängigkeit entscheiden, was nach seiner Einschätzung im Einzelfall „Recht darstellt“ (vgl. Clasen, Bonner Grundgesetz zu Artikel 97 Rd.8). Der Richter ist insoweit nicht nur dem Gesetz sondern regelmäßig auch seinem Gewissen verantwortlich und hat über die von ihm verhängte Rechtsfolge auch deren Folgen zu beachten.

Die grundgesetzlich garantierte Freiheit des Gerichts, von Einflüssen außerhalb der Umstände des abzuurteilenden Sachverhalts freigestellt zu werden, wird jedoch dann verletzt, wenn Exekutive und Legislative Regelungen treffen, die geeignet sind, rechts- und verfassungswidrige Wirkungen zu erzielen, die das Gericht darin beschränken oder daran hindern, eine dem einzelnen Sachverhalt angemessene Rechtsfolge zu setzen. Solche Wirkungen liegen regelmäßig dann vor, wenn gesetzgeberisches oder verwaltungsrechtliches Handeln dazu führt, dass Schuldspruch und Strafe quasi automatisch nicht nur bezogen auf den konkreten Angeklagten, sondern darüber hinaus bei an der abzuurteilenden Tat unbeteiligten Dritten zusätzliche, rechts- und verfassungswidrige Rechtsfolgen, die in keiner Beziehung zum Angeklagten und seiner Tat stehen, hervor rufen. Das Gericht ist dann nicht mehr frei, eine allein auf die Tat bezogene angemessene Entscheidung zu treffen. Jedoch wird das Gericht nicht umhin kommen und ist darüber hinaus dazu verpflichtet, dabei stets auch die weiteren Rechtsfolgen außerhalb des abzuurteilenden Sachverhalts zu beachten. Es kann keine tat- und schuldangemessene Entscheidung mehr getroffen werden, um eine rechts- und verfassungswidrige Rechtsfolge zu vermeiden. Dies ist im Falle der vorstehend in dieses Verfahren hinein wirkenden angeführten Altfallregelung gegeben. Selbst wenn – wie von der Staatsanwaltschaft vorliegend beantragt; die Verhängung von Jugendstrafe angemessen erscheinen würde, so könnte das Gericht diese nicht aussprechen, ohne dass damit die übrigen Familienmitglieder gleichzeitig mit bestraft würden. Diese mit den Prinzipien des Diskriminierungsverbotes und der Menschenwürde nicht in Einklang zu bringende mittelbare Rechtsfolge einer Entscheidung führt zur Auffassung des Jugendschöffengerichts Bernau dazu, dass das Gericht, selbst wenn es wollte und müsste, an einer unabhängigen Rechtsprechung, die von Tat- und Schuldunrecht geprägt ist, gehindert würde.

Obwohl das Gericht, wie oben ausgeführt, die auch in dieses Verfahren hinein wirkende Altfallregelung im dargestellten Teil für verfassungswidrig erachtet, hat es sich allerdings vorliegend nicht für befugt angesehen, das Verfahren zuvor gemäß Artikel 100 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Denn vorliegend kam es zunächst jedenfalls in diesem Verfahren nicht auf die Frage der Verfassungswidrigkeit an, da das Gericht die Voraussetzungen für Verhängung von Jugendstrafe nicht feststellen konnte und bereits deshalb die Verhängung derselben nicht erforderlich war. Abgesehen hiervon lag zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung mangels Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und Verkündung im Bundesgesetzblatt noch kein Gesetz i. S. d. Art. 100 GG vor, das zur Überprüfung dem Bundesverfassungsgericht hätte vorgelegt werden können.

Unter Berücksichtigung all dessen, was der Angeklagte zwischenzeitlich erreicht hat sowie der gesamten erzieherischen Einwirkung durch seine Familie, des Jugendgerichts und Sozialarbeiter, erachtete das Gericht es im Ergebnis für ausreichend, dem Angeklagten lediglich eine Arbeitsauflage in Höhe von 60 gemeinnützigen Arbeitsstunden auszusprechen. Weitere erzieherische Maßnahmen sind nicht mehr angezeigt.

Es bleibt noch anzumerken, dass mit dieser Entscheidung das nunmehr einbezogene Urteil des Jugendschöffengerichts Bernau vom 11.10.2006 nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im Rechtsfolgenausspruch seine Wirkung verliert (vgl. BGH St 37, 34 ff.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 JGG.

11 Kommentare
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  1. Warum einrahmen und aufhängen? Wenn ich das Urteil (als Nicht-Jurist) richtig lese, dann hat sich ein bereits mehrfach straffällig gewordener Jugendlicher (Diebstahl, Körperverletzung) hier der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, wird dafür aber lediglich mit 60 Arbeitsstunden bestraft? Interpretiere ich das Endresultat dieses Urteils jetzt falsch oder bin ich bloss zu blind um zu erkennen, was daran so erfreulich sein soll?

    Da außerdem die Begründung für das Urteil eng mit dem rechtlichen Status der Familie verknüpft ist, frage ich mich, inwiefern nicht der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz untergraben wird, wenn man die familiären Hintergründe in die Urteilsfindung einfließen lässt. Ich entnehme der Urteilsbegründung, dass ein Jugendlicher ohne Migrationshintergrund aber ceteris paribus anders bestraft worden wäre? Auch das halte ich per se nicht für eine erfreuliche Sache. Dass eine „Sippenhaft“ nicht in einen Rechtsstaat gehört und unter allen Umständen zu vermeiden ist, dem schließe ich mich natürlich an.

    Aber bedeutet dies nun, dass ab sofort andere Maßstäbe bei der Urteilsfindung angelegt werden, wenn das Risiko einer „familiären Mitbestrafung“ besteht? Und ist eine Gleichheit vor dem Gesetz damit wirklich noch gegeben? Was bedeutet dies aus Sicht der Opfer und ihrer Familien – vielleicht nicht im vorliegenden Fall, aber in zukünftigen Fällen in denen möglicherweise ähnliche Umstände vorliegen?

  2. @ Christian

    Dass eine “Sippenhaft” nicht in einen Rechtsstaat gehört und unter allen Umständen zu vermeiden ist, dem schließe ich mich natürlich an.

    Dann verstehe ich Ihre Kritik nicht. Die Ausführungen des Gerichtes richten sich ja gerade dagegen. Würde das Gericht eine stärkere Strafe verhängen, würde gerade die Sippenhaft eintreten. Daher sieht das Gericht, um die Sippenhaft zu vermeiden, keine andere Möglichkeit, als den Täter milder zu bestrafen. Strängere Strafe für den Jugendlichen = Sippenhaft = Verfassungswidrig also notgedrungen mildere Strafe = keine Sippenhaft = keine Verfassungswidrigkeit.

    Oder verstehe ich etwas falsch?

  3. Dieses Urteil ist ein selten deutlicher Beweis dafür, was ein unabhängiges Gericht sein kann.
    Christian, versetzen Sie sich in die Situation des Richters: als das vorige Urteil gesprochen wurde, war es nach Auffassung des Gerichts angemessen (in 2006). Nun steht der junge Mann vor dem gleichen Gericht, und dieses stellt zu seinem Entsetzen fest, dass durch eine Gesetzesänderung die damals beabsichtigte Strafe um ein vielfaches verschärft und durch im deutschen Recht eigentlich unzulässige Sippenhaft auf die ganze Familie ausgedehnt wurde. Könnten Sie damit schlafen? Ich nicht.

    Tatsache ist, dass diese lang diskutierte Regelung für Menschen, die seit vielen Jahren in Deutschland mit dem sog. Duldungsstatus leben, zwei ganz massive juristische Probleme hat. Das eine ist die Bestimmung, dass für alle Familienmitglieder es keine AE gibt, wenn irgendjemand in der Familie sich etwas hat zuschulden kommen lassen. Meist sind die – oft hier geborenen – Kinder die Leidtragenden, wenn z.B. der Vater irgendwann einmal falsche Angaben über die Herkunft gemacht hat. Ich halte das für völlig untragbar.
    Hinzu kommt, dass dies nicht nur für Handlungen gilt, die nach dem Inkrafttreten der Regelung vollzogen wurden, sondern rückwirkend für den gesamten Aufenthalt in Deutschland. Auch das ist unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Rückwirkungsverbots mehr als zweifelhaft, jedenfalls aber unmenschlich.

    Ein Jugendgericht soll in erster Linie nicht strafen, sondern erziehen. Bei diesem Jugendlichen sah das Gericht, dass ein Erziehungseffekt trotz der erschwerten Lage eingetreten war. Die verwaltungsrechtliche Rechtsfolge, die dem Jungen auch noch das Leid der ganzen Familie aufgebürdet hätte, wäre untragbar. Deutschland sollte solche Richter hoch achten und sie als Vorbild nehmen. Da hat jemand wirklich Recht gesprochen – und nicht als Beamter nach Schema 0815 eine Akte abgearbeitet.

  4. @E.S.: Strängere Strafe für den Jugendlichen = Sippenhaft = Verfassungswidrig also notgedrungen mildere Strafe = keine Sippenhaft = keine Verfassungswidrigkeit

    Ganz genau so habe ich das auch verstanden! Bedeutet das nicht aber auch, dass ein Jugendlicher ohne Migrationshintergrund, bei dem nun mal keine Sippenhaft eintreten kann, in der gleichen Situation härter bestraft worden wäre? Und wird damit der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz – der ja nun mal ebenfalls äußerst wichtig ist – ziemlich grob mißachtet?

    So wie ich das verstehe, trifft das Gericht hier ganz bewusst eine Fehlentscheidung um einen anderen Fehler zu vermeiden. Als jemand dessen (potenzielle) Kinder in genau der gleichen Situation vermutlich deutlich härter bestraft werden würden, finde ich eine solche Lösung irgendwie unbefriedigend. Offensichtlich ist doch hier der Gesetzgeber in der Pflicht, um „Sippenhaft-Fälle“ auszuschließen und gleichzeitig eine faire und gleiche Behandlung aller straffällig gewordenen Jugendlichen vor Gericht zu ermöglichen….

  5. @Christian:

    Ganz genau! Der Jugendliche ohne Migrationshintergrund wird in der Tat härter bestraft bei ähnlichem Sachverhalt. Die Lösung wäre, den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund ähnlich milde zu bestrafen. Das wäre die einzige Möglichkeit, einer Verfassungswidrigkeit zu entkommen. Da das aber wiederum nicht sein kann ist der Gesetzgeber aufgefordert, vernünftige Gesetze zu erlassen. Leider wird das Aufenthaltsgesetz aber oft als Ersatzstrafrecht missbraucht und dann darf man sich nicht über solche Auswirkungen wundern.

    Manchmal hat man das Gefühl, dass der Gesetzgeber vor lauter Eifer, wenn es um Ausweisung möglichst vieler Ausländer geht, ganz grundsätzliche und wesentliche Dinge vergisst.

  6. @E. S.: Welche Strafe ist aber angemessen bei gewalttätigen Wiederholungstätern? Ist es nicht an irgendeinem Punkt angebracht, auch härtere Strafen zu verhängen, schlicht und ergreifend um den Tätern den Zugriff auf zukünftige Opfer zu entziehen? Ich will ja gerne hoffen, dass der Jugendliche aus dem hier diskutierten Fall nicht mehr straffällig wird – aber einfach mal angenommen, er würde zukünftig wieder regelmäßig Straftaten begehen. In dem Moment, in dem einmal eine härtere Strafe verhängt werden würde, käme es ja wieder zum Problem der „Sippenhaft“. Also auch bei mehrfacher Wiederholung in Zukunft immer nur eine milde Strafe wegen spezieller familiärer Hintergründe? Kann das denn eine Lösung sein?

  7. Herr Senol, Sie haben völlig recht, das Urteil sollte man wirklich einrahmen.
    Die Auffassung, ein deutscher Jugendlicher sei in derselben Situation ungleich härter bestraft worden, stimmt aber so nicht. Der Strafrichter war offenbar der Auffassung, dass das frühere Urteil nicht korrekt gewesen ist, denn er führte aus, dass die Berufung durchaus Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Dann hat der Strafrichter in erster Linie darauf abgestellt, dass zum Zeitpunkt der Verurteilung die Voraussetzungen für die Verhängung einer Jugendstrafe nicht mehr vorlagen, also weder schädliche Neigungen noch die Schwere der Schuld. Dabei hat der Strafrichter insbesondere das Nachtatverhalten und die schwierige persönliche Situation des Jugendlichen und seiner Familie ausführlich gewürdigt. Die folgenden Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit stellen an sich nur Hilfserwägungen dar. Folglich hätte der Strafrichter mit seiner Argumentation, es komme schließlich darauf an, ob zum Zeitpunkt der Verurteilung die Voraussetzungen für die Verhängung einer Jugendstrafe noch gegeben waren, auch bei einem deutschen Jugendlichen ohne weiteres eine Arbeitsauflage verhängen können.
    Es gibt aber wohl nur sehr wenige Strafrichter, die sich die Mühe machen, die persönliche Situation und das Nachtatverhalten so gründlich zu recherchieren.

  8. @Christian:

    Sprinter hat ja auch schon dazu geschrieben.

    Selbstverständlich sind härtere Strafen, wo sie angebracht sind, auch geboten. Daher ist der Gesetzgeber aufgefordert, Abhilfe zu schaffen. Es liegt einzig und allein am Gesetzgeber solche Strafen zu formulieren, die verfassungskonform sind.

  9. Alles schön und gut, aber eine Frage stelle ich mir noch: Was wäre passiert, wenn der Angeklagte die zweite Straftat nicht begangen hätte? Dann wäre das erste Urteil noch gültig, der Angeklagte wäre härter bestraft, und er und seine Familie würden außerdem wahrscheinlich abgeschoben. Das wurde also nur dadurch verhindert, dass der Angeklagte eine weitere Straftat begangen hat. Habe ich das richtig verstanden? Das Urteil ermuntert also dazu in bestimmten Situationen Starftaten zu begehen?

  10. abc: ich würde mal sagen, zur Nachahmung nicht empfohlen. Ich hoffe aber, dass sich dieses Urteil bei den Jugendgerichten herumspricht und der Druck auf die Regierung, dieses unsinnige Gesetz zu ändern, durch entsprechende Berücksichtigung im Jugendstrafrecht nach dem Muster diesen Urteils so groß wird, dass Handlungsbedarf entsteht.
    Leider steht einem Jugendgericht in diesem Fall nicht der Weg offen, das Gesetz gem. Art. 100 GG dem Bunderverfassungsgericht vorzulegen – weil das Gericht es ja nicht anwendet, sondern dieses Gesetz nur als verwaltungsrechtliche Folge des Strafurteils eingreift. Insofern für die Richter eine sehr unschöne Lage.

  11. Wer Kindern Taschentelefone wegnimmt, kann kein ganz schlechter Mensch sein. Taschentelefone gehören nicht in Kinderhand.
    günter Jauch, der bekannte Medienmeister, hatt einmal gesagt : „Wer seinem Kind einen Fernseher ins Kinderzimmer stellt, gehört wegen Körperverletzung angezeigt.“

 

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