Schäuble: „Alle grundrechtlich geschützten Bereiche enden irgendwo“

21. Januar 2008 | Von | Kategorie: Politik | 7 Kommentare |

Es gibt Zitate, die sind für die An(n)alen bestimmt. So auch Innenminister Wolfgang Schäubles Aussage aus diesem Wochenende in einem Interview mit Welt Online. Darin geht unser Innenminister, Wolfgang Schäuble, sowohl auf Verfassungsfeinde – Terroristen – als auch auf Verfassungshüter – Verfassungsrichter – ein und outet sich, womöglich ohne es bemerkt zu haben.

WELT ONLINE: Die Frage, was im Kampf gegen den Terror erlaubt ist, zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Amtszeit. Nicht immer sind Sie dabei einer Meinung mit dem Bundesverfassungsgericht. Woran liegt das?

Schäuble: Alle grundrechtlich geschützten Bereiche enden irgendwo. Wo diese Grenzen sind, wie man die gegensätzlichen Interessen abgrenzt, ist Sache des Gesetzgebers. Ich verstehe, dass manche Verfassungsrichter gern Ratschläge geben würden. Dazu sind sie aber nicht demokratisch legitimiert. Sie haben – und das ist genauso wichtig – zu entscheiden, ob rechtliche Regeln eingehalten werden. Wenn sich alle an diese Begrenzungen der Kompetenzen halten, ist es ein fruchtbares Miteinander.

An dieser Stelle ist ein kleiner Exkurs hinsichtlich des ersten Satzes von Wolfgang Schäuble angebracht. Fangen wir mit Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes an:

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Dieses Grundrecht ist die bewusste Reaktion auf die massive Missachtung der Würde des Menschen durch den nationalsozialistischen Staat. Die Menschenwürde ist die wichtigste Wertentscheidung des Grundgesetzes. Sie kann niemandem genommen werden, weil sie nach der Ordnung des Grundgesetzes dem Menschen durch seine bloße Existenz eigen ist. Dieses Grundrecht, steht unter dem besonderen Schutz der sog. Ewigkeitsgarantie.

Ewigkeitsgarantie ist eine Bezeichnung für die Regelung in Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes, wonach bestimmte Verfassungsprinzipien einer Verfassungsänderung entzogen sind.

Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche … die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

Demnach kann man also getrost die Gegenbehauptung aufstellen, dass nicht alle grundrechtlich geschützten Bereiche irgendwo enden. Ganz genau: Bestimmte grundrechtlich geschützte Bereiche enden niemals!

Ach ja, da gab es noch einige Ausführungen Wolfgang Schäubles über die Bekämpfung verfassungsfeindlicher Bestrebungen …

PS: Interview gefunden über RA-Blog.

7 Kommentare
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  1. Ich halte Schäubles Aussagen eher für so banal, dass sie aufgrund ihrer Banalität schon wieder mißverständlich sind.

    S. 1: Jedes Grundrecht hat seine Grenzen. Natürlich! U.a. schon einmal die Wortlautgrenze. So schützt Art. 1 I GG die Menschenwürde, nicht jedoch die Tierwürde. Das Tierschutzgesetz erfährt also z. B. keine Beschränkung durch Art. 1 GG. Er ist hierbei schlichtweg nicht einschlägig.

    S. 2 bis 4 der Meldung: Es ist eine Selbstverständlichkeit: Der Gesetzgeber ist für den Erlass von Gesetzen zuständig und damit auch für die Abwägung der unterschiedlichen grundrechtlich geschützten Interessen in den Gesetzen. Am deutlichsten wird dies anhand des gerichtlichen Kontrollmaßstabs, indem die Rechtmäßigkeit und nicht die Zweckmäßigkeit überprüft wird. In der Verhältnismäßigkeit obliegt es sodann dem Gesetzgeber und nicht den Richtern zwischen mehreren gleich schwer eingreifenden Mitteln auszuwählen.
    Es entspricht auch bisher guter Praxis, dass sich Richter des Bundesverfassungsgerichts aus der Tagespolitik fernhielten. Die Tipps von Herrn Papier sind also genauso unangebracht, wie fragwürdige Aussage bezüglich „einiger Richter“ durch Schäuble.

    S. 5 der Meldung: Auch hier eine Selbstverständlichkeit: Richter überprüfen die Rechtmäßigkeit von Gesetzen und Maßnahmen im Nachhinein. Es ist entsprechend der Gewaltenteilung nicht ihre Aufgabe politisch gestaltend tätig zu werden. Allein schon der Anschein, wie vorliegend die Hinweise von Papier, kann hierbei ein unschönes Bild auf das BVerfG werfen.

    Insgesamt kann man Schäuble wohl kein so verkehrtes Verfassungsbild vorwerfen. Gewaltentrennung und demokratische Legitimation hat er verfassungsgemäß erfasst. Und das beides ist schließlich auch durch die „Ewigkeitsklausel“ geschützt.

  2. Im Artikel ist richtig ausgeführt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und dieses Grundrecht nicht einmal durch eine Verfassungsänderung zu begrenzen ist. ThomasB irrt also gewaltig ebenso wie Schäuble, wenn er meint, jedes Grundrecht habe seine Grenzen. Es gibt nur die verfassungsimmanente Grenze, die da angesetzt wird, wo die Grundrechte anderer berührt werden. Wenn Verfassungsrichter Papier äußert, auch künftige von Schäuble in dieser Richtung initiierte Gesetze würden für verfassungswidrig erklärt, nimmt er nur sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wahr, das ihm genauso zusteht wie Schäuble. Und er hat natürlich recht, denn glücklicherweise lässt sich das Abschießen unbeteiligter Zivilisten auch nicht nach einer Verfassungsänderung legalisieren, wie dies dem Schäuble vorschwebt. Wie im Bericht
    richtig ausgeführt wird, ist eine Änderung der Grundsätze in Art. 1 und 20 des Grundgesetzes unzulässig. Das scheint ThomasB nicht verstanden zu haben. Schäubles Äußerungen sind weder banal noch missverständlich. Sie sind einfach gefährlich.

  3. Des Herrn Innenministers, Dr.Schäuble’s, Äußerungen sind zumindest leicht missverständlich, besonders an Tagen kurz vor dem 30.01., der ja in der Historie des 1933 beginnenden Unrechts-Staates bedeutsam ist.
    Selbstverständlich kann und will niemand Dr. W. Schäuble irgendwelche „schlechte“ Ambitionen unterstellen – er ist und bleibt in seinem Kern ein aufrichtig überzeugter Demokrat, der als Innenminister zu den Garanten des Rechtsstaates BRD gehört!
    Ob Herr Schäuble aber gut beraten ist, öffentlich über Aussagen des ebenso zweifelsfreien wie absolut zuverlässigen Garanten des Rechtsstaates, dem Präsidenten des BVG, Herrn Prof. Papier, sich derart kritisierend zu äußern, bleibt äußerst fraglich.
    Mich stört schon das missverständliche Wort „Beschreibung der Grenzen von Grundrechten“. Es handelt sich eben nicht um Deskription, sondern m.E. um „das Postulat einer besonderen Ausgestaltungsfunktion des Gesetzes … als Auftragsnorm … mit Hochrang …“ der Ausgestaltungspflicht des Gesetzgebers und der Handlungspflicht der Regierung. Taktierend vermeidet Herr Schäuble in der Öffentlichkeit mit der Wendung „rechtliche Regeln“ den Hinweis, dass die Inhaltskontrolle der Ausgestaltung und Konkretisierung von Normen sehr wohl zum Prüfungsrecht vers. -pflicht durch das BVG gehört. Kurz vor dem 30. Januar drängt sich gerade die Erinnerung auf, wie durch procedurales – nur auf die Form reduzierter Anschein rechtsmäßigen – Vorgehen, der ganze Staat sogar in schändlichstes widerwärtiges Unrecht geführt werden kann.
    Das Verfassungsgericht schützt uns glücklicherweise nicht nur durch formalistische Prüfung, sondern auch durch Kontrolle des Inhalts einer Ausgestaltung übergeordneter Normen und ob „abweichende“ Ausgestaltungen ggf. unvermeidbar und im zulässigen Umfang sind.
    Generell hat Herr Papier das gleiche Recht sich zu Inhalten (besonders in den gewählten wohlüberlegten und zweifelsfreien Formulierungen) zu äußern, wie alle anderen Verfassungsorgane bzw. deren Vertreter und eben auch alle Bürger!.
    Ich kenne bisher keine Äußerungen von früheren oder derzeitigen Mitgliedern des BVG, die zu solchen Irritationen geführt haben, wie sie bei Herrn Schäuble jüngst durch seine Akzentuierungen zu vernehmen sind. Noch irritierender wirkt, wenn jene eindeutig akzentuierte, von jedweder Zurückhaltung freigehaltenen „Koch-Rezepte“ aus Hessen angeblich „nur“ missverstanden wurden. Offenbar ist der hessische Ministerpräsident ein gespaltenes „Verfassungsorgan“ im Verein mit einer sozusagen schrankenlosen Sphäre?
    Es ist nicht gerade beruhigend für den („Normal“-)Bürger, wenn ausgerechnet ein Vertreter der Bundesregierung in diesem Zusammenhang fordert, „ein großes Maß an Rücksicht walten zu lassen“ – aber nur soweit es nicht um die Mitglieder der Bundesregierung (ebenfalls jene gespaltene Verfasungsorgane mit scheinbar schrankenlosem Äußerungsrecht) selbst geht?
    Vielmehr ist es besonders sinnvoll, im Vorfeld diskutierend die Gesellschaft vorzubereiten, wie es der Innenminister derzeit im Prinzip (!) auch richtigerweise tätigt.
    Genehmigen Sie mir den ausdrücklichen Hinweis, verehrter Herr Dr. Schäuble: Der öffentlich zu vernehmende Disput ist keine Anmaßung, sondern der Sauerstoff demokratischer Lebensäußerungen und insofern ist eben auch Unruhe die erste Bürgerpflicht. Und ist etwa ausgerechnet Herr Prof. Papier zu keinem Zeitpunkt und in keiner Lage ein solcher Bürger? Ist er gar eine bürgerrechtlich entrechtete Amtsperson – so zu sagen nach Ãœberzeugung und Belehrung des Innenministers – ein Kollisionsopfer der Verfassung?
    Auch das können wir in der BRD besonders aus Vergangenheit und aktuellen Situationen lernen: Öffentliches ! Reden ist das Gold der Demokratie – Schweigen ist nur allzu oft Heimtücke und Kloake des Unrechts(-Staates) …
    Dankenswerterweise gibt’s dafür auch den beredten SPIEGEL der Gesellschaft, in dem man andere und sich selbst prüfend wiederfinden kann!

  4. @ Hans Werth

    vielen Dank für Ihr Kommentar. Vor allem dieser Absatz hat mir besonders gefallen:

    Ich kenne bisher keine Äußerungen von früheren oder derzeitigen Mitgliedern des BVG, die zu solchen Irritationen geführt haben, wie sie bei Herrn Schäuble jüngst durch seine Akzentuierungen zu vernehmen sind. Noch irritierender wirkt, wenn jene eindeutig akzentuierte, von jedweder Zurückhaltung freigehaltenen „Koch-Rezepte“ aus Hessen angeblich „nur“ missverstanden wurden.

    Auch im Übrigen kann ich mich Ihren Ausführungen nur anschließen.

    Mit Ihrer Zustimmung würde ich Ihr Kommentar sehr gerne als Gastbeitrag auf JurBlog.de veröffentlichen.

  5. Hallo zusammen,

    das größte Problem der meisten User ist meiner Meinung nach gar die Tatsache, dass Herr Schäuble „alles und jeden überwachen möchte“, wie einige Stimmen skandieren. Viel schlimmer ist für viele die völlig verwirrende momentane Rechtslage. So sind hier die „Strafbarkeit“ von kritischen aber sachlichen Äußerungen in Foren, die Rechtskräftigkeit von Email und die Grauzone von diversen Filesharingangeboten (z.B. Sendungen aus dem TV etc.) als Beispiele zu nennen.

    Meiner Meinung nach sollte Herr Stäuble erstmal hier Abhilfe schaffen und dann sich um das nächste Problem kümmern. Außerdem halte ich es für sehr dringend erforderlich, der Bevölkerung, insbesondere Schülern, die Grundlagen von Datenschutz beizubringen (-> SchülerVZ etc.)

    MfG, Michael N.

  6. @ Michael Nickl

    Aufklärung in rechtlichen Grauzonen und unbestimmte Rechtslage sind in erster Linie eine Aufgabe des Justizministeriums (Brigitte Zypries).

    Wolfgang Schäubles Problem besteht meiner Ansicht nach darin, dass ihn seine Berater zu gewissen Forderungen drängen. Nicht umsonst sagt man, dass ein Chef nur so gut ist, wie seine Mitarbeiter.

    Insbesondere der Verfassungsschutz und alle anderen Sicherheitsbehörden trichtern ihm ein, dass man dies oder das tun müsse damit bla bla sonst bla bla.

    Wie sonst kann man sich erklären, dass ein ganz normaler Politiker, sobald er zum Innenminister wird (siehe insbesondere Otto Schily) meist dazu neigt, die Freiheitsrechte einzuschränken.

    Aber Sie haben Recht. Die Angst der Bevölkerung vor dem unbestimmten ist ein wesentlicher Faktor. Ich persönlich glaube nicht daran, dass beispielsweise von der online Durchsuchung mehr als 0,001% der Internet-User betroffen sind/sein werden. Dennoch ruft eben das Gefühl, man könnte ausgehorcht werden, Unbehagen hervor.

    Wenn die wüssten, was bereits möglich ist und auch praktiziert wird: HIER (pdf)

  7. […] enden, – wenn auch nicht alle, wie Herr Schäuble selbst es noch kürzlich meinte – grundrec…. So auch die der Pressefreiheit. Sie hat ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. § 166 […]

 

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