Auf Deutsch heißt es Erziehungslager!

8. Januar 2008 | Von | Kategorie: Politik | Keine Kommentare |

Seit dem Ãœberfall in einem Münchener Bahnhof zweier ausländischer Jugendlicher auf einen deutschen älteren Herrn finden Forderungen nach sog. Erziehungscamp für ausländische Jugendliche kriminelle immer mehr Anhänger innerhalb der christlich demokratischen Union. Roland Koch, der Initiator des ganzen Schauspiels, ist seit Wochen der Oberordnungshüter der Nation. Anfangs noch schüchtern und zurückhaltend folgten ihm die Bundeskanzlerin, der Innenminister und die übliche Gefolgschaft der schwarz-roten. Kein Wunder, angesichts der seit Wochen anhaltenden Medienhysterie um das hessische Wahlkampfthema. Schließlich möchte jeder Mal ganz groß auf der Titelseite erscheinen und sich in XXL-Lettern zitiert sehen. Schließlich ist das geschriebene Wort umso mächtiger, je größer es abgedruckt wird – und welche Zeitung druckt die größten Wörter der Nation?

Für Angela Merkel beispielsweise können „Erziehungscamps … durchaus eine sinnvolle Ergänzung im Strafrecht sein. Sie können junge Menschen früher zum Umdenken bringen, damit sie gar nicht erst ins Gefängnis kommen“. Nobel, die gute Frau Merkel. Sie sorgt sich um junge Ausländer.

Für Schäuble, der auf einer ganz anderen Wolke zu schweben scheint, ist der Vorfall aus München ein Beleg dafür, dass man Vorratsdatenspeicherung braucht. Schließlich seien die Täter aufgrund solcher Daten geschnappt worden. Das stimmt zwar nicht, spielt aber in diesem Zusammenhang auch keine große Rolle. Die Gesinnung lässt sich bereits ausreichend erahnen. Auch er kann eben der Versuchung nicht widerstehen, diesen Fall für seine eigenen Standpunkte zu missbrauchen.

Selbst auf Bundesländer, in denen keine Wahlen bevorstehen, schwappt der Erziehungstsunamie über. So möchte NRW die Vorreiterrolle übernehmen und Bundesweit den ersten Erziehungscamp noch vor allen anderen feierlich einweihen. Was allerdings ein Erziehungscamp genau sein soll, wissen die Ideengeber noch nicht so richtig. Für einige wird darunter mal eine Einrichtung nach amerikanischem Vorbild mit militärischem Drill verstanden, mal eine geschlossene pädagogische Einrichtung “wo Jugendliche unter Druck zivile Verhaltensweisen lernen“.

So oder so, die Union gibt sich dieser Tage mächtig Mühe, um beim Wähler anzukommen. Und die Mühe zahlt sich aus. Alle Zeitungen zitieren auf Ihren Titelseiten Unionspolitiker. Erst ab der dritten Seite kommen im klein gedruckten Wissenschaftler zu Wort. Das ist eine Glanzleistung ohne seinesgleichen und vollendet in der Umsetzung. Um den Erfolg der Union um die Erziehungscamps aber richtig begreifen zu können, bedarf es einiger Fakten. Die liefern uns Wissenschaftler von der Seite 3 ff.:

Nach Prof. Dr. Friederer Dünkel (Kriminologe) ist es beispielsweise „empirisch erwiesen und unter Kriminologen unstrittig“, dass solche Maßnahmen zu keinen „Erfolgen“ führen. Nach ihm sei es seltsam und bedenklich, dass trotz dieser einhelligen und durchgehenden Meinung Politiker immer wieder – vor allem in Wahlkampf Zeiten – mit diesem Thema anfingen.

Nach Prof. Dr. Christian Pfeiffer ist die Jugendkriminalität sogar insgesamt leicht rückläufig. Angestiegen seien dagegen die Körperverletzungsdelikte. Dies aber auch nur deshalb, weil die Anzeigebereitschaft nach oben gegangen sei. In München etwa, so Prof. Pfeiffer weiter, habe man bei den deutschen Jugendlichen einen Rückgang der Gewalttaten und einen deutlichen Anstieg bei den türkischen. Der Anteil der Mehrfachtäter habe sich bei den Türken seit 1988 von sechs auf zwölf Prozent erhöht, in Hannover dagegen sei er von 15 auf 7,3 Prozent zurückgegangen.

Die Ursachen sind für den renommierten Kriminologen offensichtlich. In München würden über 60 Prozent der jungen Türken nach wie vor zur Hauptschule gehen. Im Gymnasium sei ihr Anteil zwischen 1998 und 2005 von 18 auf 12,6 Prozent zurückgegangen. In Hannover sei genau das Gegenteil passiert. Hier habe man einen Rückgang der Türken in der Hauptschule von knapp 50 auf 30 Prozent, aber einen Anstieg unter den Gymnasiasten von sieben auf 15 Prozent.

Entscheidend ist nach Prof. Pfeiffer „die Bildungsintegration“. Dort wo sie gut vorangekommen seien, wo man den jungen Türken das Signal gegeben habe „Jeder ist seines Glückes Schmied“, dort würden sie diese Chancen auch nutzen und deutlich weniger auffällig werden. Bessere Bildungsintegration senkt also Jugendgewalt. Natürlich gäbe es auch andere Faktoren, die eine Rolle spielen, aber in diesem Bildungsfaktor liege ein zentraler Aspekt. „Nicht in Gefängnisse sondern in bessere Schulen sollte investiert“ werden.

Angesichts dieser Fakten- und Erkenntnislage ist es in der Tat ein Meisterwerk der Union, die Bevölkerung dennoch in Angst und Schrecken zu versetzen. Objektiv betrachtet sind die Kriminalitätsraten insgesamt rückläufig, der Schlüssel für noch weniger Kriminalität heißt Bildung und dennoch zieren christlich-demokratische Zitate um Erziehungscamps die Titelseiten.

Bei einem Punkt hat sich Roland Koch allerdings vergriffen. Er nennt sein intellektuelles Feuerwerk „Erziehungscamp“. Dabei müsste gerade er wissen, dass die anvisierten Wähler nicht viel von Fremdsprachen halten, geschweige denn sprechen. Mit einem reinen deutschen Wort wären mehr Stimmen drin gewesen. Auf Deutsch heißt es „Erziehungslager“.

Mit bestem Dank an RA-Blog und Jens Ferner für die Anregungen und Links

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