Der deutsche TV-Alltag: Normal ist das nicht

2. November 2007 | Von | Kategorie: Feuilleton | Keine Kommentare |

Hilal Sezgin zappt in der Zeit durch die vorabendliche Serienlandschaft, bevor die Tagesschau-Sprecherin die Nachricht von neuen Flüchtlingsleichen an europäischen Küsten verkündet und bemängelt entgegen zahlreichen Verlautbarungen die immer noch herrschende Nicht-Existenz von Migranten im deutschen TV-Programm. Anstoß des Artikels ist die „Wohngemeinschaft Deutschland“ im ZDF. Von kommenden Montag an kümmert sich der Sender eine Woche lang intensiv ums Thema Integration.

Auf RTL bleiben die Deutschen bei Unter uns komplett unter sich, genauso wie bei Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Im Kinderkanal wird das Internat Schloss Einstein fast ausschließlich von deutschen Jungs und Mädels besucht, und sonderbarerweise laufen selbst in dem Berlin, in das Sat.1 nach dem Vorbild einer kolumbianischen Telenovela verliebt ist, keine Multikultis herum. Wo »Zusammenleben« nicht explizites Thema eines eigenproduzierten Spielfilms ist, kommen Migrationshintergründler offenbar überhaupt nicht vor.

Eine rühmliche Ausnahme macht die Lindenstraße. Natürlich haben auch hier die Herzensergüsse eines Gung oder Marys Asylprobleme stets weniger Sendeminuten gefüllt als die Haushaltslogistik der Mutter Beimer; natürlich war das südländische Temperament Nikos Sarikakis’ von Anfang an so überzeichnet wie später die Aids-Erkrankung seiner Schwägerin Bariya. Doch überzeichnet waren auch der sanfte Lederjacken-Machismo Andy Zenkers oder die Xanthippiaden der Else Kling. Die Lindenstraße sammelt nun einmal die Typen und Extreme, und sie beherbergt in ihrem großen Herzen insbesondere die Scheiternden und die Sozialfälle – bei denen sie aber nicht unterscheidet zwischen Menschen mit deutschem oder sonstigem Pass. Inländer und Ausländer sind einander hier absolut ebenbürtig in ihrer Nähe zu Alkoholismus und Hartz IV, zu Scheidung, Gewalttätigkeit oder Selbstmordgefahr. Am ganz anderen Ende des Serienspektrums macht die ARD Ernst mit der »Integration«, wenn Ende des Jahres die halb deutsche, halb kongolesische Schauspielerin Dominique Siassia die Hauptrolle in Sturm der Liebe übernimmt.

Doch die ansonsten übliche Unterschlagung der Minderheit ist leider kein Phänomen der kommerziellen Fernsehsender allein. Das ostfriesische ZDF-Dörfchen, in dem Doktor Martin Sprechstunde hält, ist von den Migrationsbewegungen der Neuzeit ausgespart geblieben, auch der Wald ums Forsthaus Falkenau ist allein in deutscher Hand. Während Adlige im Vorabendprogramm in überstatistischer Hülle und Fülle ihren Auftritt haben, findet sich von den Nachkommen der einstigen Gastarbeiter keine Spur. Wird in der Integrationswoche des ZDF also endlich eine türkischstämmige medizinisch-technische Assistentin Doktor Martin zu Hilfe eilen? Oder ein Flüchtling aus dem Kosovo im Forsthaus einziehen?

Ihr Fazit ist nicht nur zutreffend sondern offenbart auch eine gehörige Portion Heuchelei der Sendeanstalten. Eine Wohngemeinschaft funktioniere eben nicht, wenn man nur einmal im Jahr ausgiebig feiere und die restlichen 51 Wochen übereinander herziehe.

In der Tat, hat man das Gefühl, dass Serienproduktionen aus Deutschland von der deutschen Wirklichkeit immer mehr abdriften. Serien kommen über mehrere Hundert Folgen ohne Migranten aus. Deutschland dagegen schon lange nicht mehr. Ein Anfang und besser als nichts, ist die „Wohngemeinschaft Deutschland“ es aber allemal.

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