Benehmt euch. Ihr seid hier nicht zu Hause
2. November 2007 | Von E. S. | Kategorie: Gesellschaft | Keine Kommentare |Christoph Butterwegge, Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln, schreibt in der „Die Zeit“ über die deutsche Medienlandschaft und wie Sie über Ausländer berichten. Er fällt ein vernichtendes Urteil und macht auf die Bedeutung von sachlicher und objektiver Berichterstattung aufmerksam. Sein Artikel ist eine mediale Reise durch die letzten Jahre. Die Anschläge auf das World Trade Center, so der Autor, seien eine Zäsur für die Berichterstattung der Medien über Migranten.
Über die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer berichten deutsche Massenmedien ähnlich wie über das Ausland – nämlich nur im Ausnahmefall, der möglichst spektakulär sein und katastrophische Züge tragen sollte. Meist werden Zuwanderer mit Chaos und Kriminalität in Verbindung gebracht: (Mafia-)Morden, (Banden-)Raub und (Asyl-)Betrug. Das angelsächsische Bonmot »Only bad news are good news« abwandelnd, kann man für deutsche Medien feststellen: Nur böse Ausländer sind gute Ausländer!
Menschen, die zuwandern, werden von Journalisten nach zwei Kriterien beurteilt: einerseits nach ihrem Nutzen für die Deutschen und ihren »Wirtschaftsstandort«, andererseits nach ihrer ethnischen Abstammung. … Die Medien nehmen kaum Anstoß daran, wenn Zuwanderer nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit beurteilt werden …
(GRAFIK MInteX: NEGATIVE BERICHTE ÃœBER BESTIMMTE GRUPPEN IN DEN MEDIEN IN PROZENTEN)
Wie der Ausgrenzungsprozess vorangetrieben wird, erklärt der Autor anhand einzelner „Migranten-Großereignisse“ der letzten Jahre. Ausländerkriminalität war schon immer ein Dauerthema:
Das fängt schon bei der Wortwahl an. »Wanderungswellen«, »Migrationsströme« und »Asylantenfluten« machen Angst. Ob der Fernsehmoderator von »Asylanten« oder »Flüchtlingen« spricht, ist ein wichtiger Unterschied. Und wenn in der Kriminalitätsberichterstattung einer Lokalzeitung nichtdeutsche Täternamen ausgeschrieben werden, verfestigt sich der Eindruck, die »Ausländerkriminalität« sei im Wachsen begriffen. …
Während die Vertreter ethnischer Minderheiten eher im Kollektiv auftauchen, werden Deutsche überwiegend als Einzeltäter dargestellt. Ein gutes Beispiel dafür lieferte die rheinische Boulevardzeitung Express am 21. Oktober 1999. Ihr Aufmacher auf Seite eins lautete: Balkan-Bande hops genommen. Danke, Polizei! – Hunderte Einbrüche in und um Köln aufgeklärt. Hingegen war der Artikel Burgenkönig vor Gericht: Wie oft hat er betrogen? vergleichsweise klein und stand erst auf Seite 28, obwohl es dabei um einen Schaden in Millionenhöhe ging.
Eine Zäsur für diese Art der Berichterstattung waren die Attentate auf das World Trade Center und das Pentagon:
Zumindest in Westdeutschland löst der arabische oder türkische Muslim seither den südeuropäischen »Gastarbeiter« und den schwarzen Asylbewerber als dominantes Ausländerstereotyp ab. …
Nun bestimmte der »Schläfer« das Zerrbild der muslimischen Migranten. Zuwanderer wurden noch stärker mit Kriminalität, Irrationalität, Rückständigkeit, religiösem Fundamentalismus und ideologischem Fanatismus in Verbindung gebracht. Noch lange nach den Attentaten dominierten in deutschen Massenmedien die Bilder der brennenden Zwillingstürme, militärische Metaphern und eine martialische Sprache. Jetzt droht Kampf der Kulturen (Rheinische Post vom 4.2.2006), Sich rüsten für den Kampf der Kulturen (Welt am Sonntag vom 19.2.2006) oder »Das ist der Krieg der Kulturen« (Kölner Stadt-Anzeiger vom 20.2.2006).
So lauteten typische Schlagzeilen zum Karikaturenstreit und zu dem türkischen Film Tal der Wölfe. …
Aber nicht nur typische Migrantenthemen werden dazu missbraucht, Migranten in schlechtem Licht darzustellen. Mein Paradebeispiel ist ein Artikel aus dem Stern mit dem Titel: „Die Furcht vor dem Mischgefäß„. Das Thema: Die Vogelgrippe in der Türkei. Auf dem Photo, dass den Artikel zieren soll, ist vor allem eine Frau aus Istanbul in einer Burka zu sehen. In welchem Zusammenhang das Photo mit dem Thema Vogelgrippe stehen soll, lässt sich erahnen: Allem Anschein nach soll dem Leser mit dem Photo suggeriert werden, es handele sich um ein typisches Frauenbild aus Istanbul. Dass Burkas in der Türkei und insbesondere in Istanbul eher atypisch sind, bedarf wohl keiner Erwähnung.
Der Bombenterror auf die Züge in Madrid, die Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh sowie die Themen über Zwangsverheiratungen und Ehrenmorde setzten den Begriff „Parallelgesellschaft“ durch:
… Nun machte man offen Stimmung gegen Muslime. …
Auch die kampagnenartige Berichterstattung über »Zwangsverheiratungen« sowie »Ehrenmorde« hatte rassistische Untertöne. Mediendarstellungen wirkten stigmatisierend und verstärkten den Eindruck, dass sich die muslimischen Migranten, Türken zumal, ohne Ausnahme in »Parallelgesellschaften« verschanzen, ihre Frauen unterdrücken, einfach nicht »zu uns« passen und vielmehr dorthin gehören, wo sie herkommen. …
Koran Urteil und Moscheebau brachten in Augen der Medienmacher die Scharia nach Deutschland.
Als eine Frankfurter Familienrichterin im März 2007 einer Scheidungswilligen die Aufhebung des Trennungsjahres verweigerte … empörten sich die Medien nicht etwa über die verkürzte, unhistorische Koran-Auslegung der Juristin, sondern über ihre Rücksichtnahme auf eine fremde Rechtsauffassung. Im Spiegel vom 26. März 2007, dessen Titelbild das Brandenburger Tor unter einem türkischen Halbmond zeigt und die Ãœberschrift Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung trägt, wurde die Frage gestellt: »Haben wir schon die Scharia?«
Zuletzt sorgte der Konflikt um den Bau einer Zentralmoschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld bundesweit für Schlagzeilen. … Zwar verurteilten die Massenmedien das Wirken von pro Köln, zeigten aber demonstrativ Verständnis für Bedenken hinsichtlich der Lage, Größe und architektonischen Gestaltung des Bauwerks. In der Lokal- wie auch in der überregionalen Presse tat man so, als ob es sich bei den vorgeschobenen Kritikpunkten an Einzelheiten des Bauplans um triftige Gegenargumente handle, verkannte jedoch völlig, dass selbst Neonazis, wohl wissend um die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit, den Moscheebau gar nicht generell ablehnen, sondern gleichfalls Detailkritik vorschieben, um ihre rassistische Abwehrhaltung dahinter zu verstecken.
Die größte Lokalzeitung, der Kölner Stadt-Anzeiger, ließ eine repräsentative Umfrage zum Moscheebau durchführen, ohne sich die Frage zu stellen, ob je eine Synagoge in Deutschland errichtet worden wäre, wenn man die Bevölkerung darüber hätte abstimmen lassen. Wie unterschiedlich man demoskopische Ergebnisse deuten und verarbeiten kann, zeigte die mediale Präsentation der Umfrageergebnisse. Die Schlagzeile auf Seite eins der Zeitung verkündete am 20. Juni 2007 Kölner gegen Moschee in geplanter Größe. Die Ãœberschrift auf Seite 29 des Lokalteils hatte jedoch den entgegengesetzten Tenor: Zwei Drittel der Kölner halten Bau generell für richtig. Mehrheit sieht darin einen Beitrag zur besseren Integration der Muslime. …
Alle Grafiken zur Umfrage des Kölner Stadt-Anzeigers als pdf-Dokument.
Durch die Art und Weise, wie man in der Öffentlichkeit über Ausländer, Flüchtlinge, Arbeitsmigranten und ethnische Minderheiten, aber auch über die Möglichkeit eines gedeihlichen Zusammenlebens mit ihnen spricht, entscheidet sich tatsächlich, ob eine Ausgrenzung von »Fremden« um sich greift. Die Medien sind mitverantwortlich, ob die Gesellschaft zerfällt oder eine gemeinsame Perspektive für alle ihre Mitglieder entwickelt. Gerade nach Ereignissen wie der pogromartigen Hetzjagd auf indische Migranten in Mügeln sollten sich Journalisten ihrer Verantwortung für das Gelingen der Integration stets bewusst sein.