Studie: Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

31. Oktober 2007 | Von | Kategorie: Gesellschaft | Keine Kommentare |

Sie unterschreiben Hausratversicherungen und denken, es handelt sich um Haftpflichtversicherungen; sie arbeiten jahrzehntelang und bekommen doch nur eine Minirente, weil sie keine Belege gesammelt haben; sie haben an der Haustür etwas unterschrieben und wundern sich über die hohen Kosten: Zuwanderer hierzulande wären die geborene Klientel für Verbraucherschützer und Schuldnerberater. Die Realität aber sieht anders aus, wie aus einer Studie für den Bundesverband Verbraucherzentralen (vzbv) hervorgeht.

Eine Etablierung der Verbraucherbildung im Zentrum der deutschen Integrationspolitik hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gefordert. „‘Gut informiert, gut integriert‘ lautet die bisher in der Integrationspolitik viel zu wenig beachtete Erfolgsformel“, resümiert Uwe Hüser, stellvertretender Vorstand des vzbv anlässlich der Tagung „Migranten und Konsum“ in Berlin. Es zeuge von wenig Weitsicht, dass in dem Nationalen Integrationsplan das Stichwort Verbraucherschutz ausgeblendet sei.

Es kommt in der Tat nicht selten vor, dass Zuwanderer Verträge unterschreiben, aus denen sie sich allenfalls mit Verlusten und ohne Nutzen befreien können. Es müssen nicht einmal habgierige Geschäftemacher, Versicherungsvertreter oder Kreditvermittler im Spiel sein. Einfachste Geschäfte des täglichen Lebens sind oft gespickt mit Spitzfindigkeiten und Fallen, die bei Nichtbeachtung viel Geld und Zeit kosten. Eine gehörige Portion Naivität der Zuwanderer tut sein Übriges.

Als weiterer Punkt der Unterscheidung wird mehrmals eine große Gutgläubigkeit und Vertrauensseligkeit der Migranten genannt, sowohl der türkischen als auch derjenigen russischer Herkunft, die sich aus diesen eigentlich sympathischen Haltungen heraus in geschäftlichen oder Vertragsangelegenheiten oft in Schwierigkeiten bringen lassen und deshalb rechtliche Beratung brauchen. Im Hintergrund dafür steht die Verschiedenheit der gewohnten Sozialstrukturen im Vergleich zu den hierzulande gängigen Praktiken. In den Ländern, aus denen eine große Zahl der Migranten kommt, das betrifft sowohl die Türkei als auch die ehemalige Sowjetunion als Herkunftsländer, ist man in Großfamilien eingebettet, auch im Sinne der sozialen Sicherung, und das bedeutet, dass man innerhalb dieser sozialen Gruppe auch einen Vertrauensbonus hat und sich sicher fühlen kann. So werden auch Geschäfte abgewickelt, mit Handschlag, ohne schriftliche Verträge, und wenn schon schrift-lich, dann kann man sich auf den Geschäftspartner verlassen. Das Gegenmodell der westlichen Länder basiert auf rechtlicher Regelung und Schriftlichkeit. Das ist nicht besser oder schlechter, aber anders, und für viele Migranten ungewohnt. Schon allein daraus ergeben sich viele Schwierigkeiten.

Die Probleme, mit denen die Einwanderer aus der Türkei kommen, sind vor allem Themen wie:

  • Hausierer drehen ihnen Verträge an (zum Beispiel Abos von Zeitschriften oder Videos), die sie unterschreiben, ohne zu wissen, was sie unterschrieben haben.
  • Lebensversicherungen: hier geht es häufig darum, dass ungünstige Versicherungen abgeschlossen werden oder dass Versicherungen nicht ausgezahlt werden, weil bei Versicherungsabschluss falsche Angaben gemacht wurden.
  • Kredite werden bei unseriösen Anbietern aufgenommen, ebenso Bausparverträge.
  • Probleme mit dem neuen Gebrauchtwagen, Mietfragen und Fragen zu Heizkosten.
  • Rentenberatung: hier ist festzustellen, dass die Ratsuchenden keine Ahnung davon haben, welche Rentenansprüche sie haben. Diese werden immer höher eingeschätzt, als sie tatsächlich sind. Den Leuten ist auch teilweise nicht klar, dass sie, wenn sie „schwarz“ gearbeitet haben, für diese Zeit keine Rente bekommen. Dass sie die unterschiedlichen Arbeitsstationen nachweisen müssen, ist ihnen ebenfalls nicht klar. Teilweise wissen sie nicht, in welcher Firma sie vor 30 Jahren gearbeitet haben. Die Unterlagen haben Sie bereits weggeworfen.

In der Frankfurter Rundschau wird auf eine Fehlerquelle aufmerksam gemacht:

Zum anderen sind Verbraucherzentralen kaum mit örtlichen Migrantenorganisationen vernetzt. Die einen haben das rechtliche Knowhow, die anderen haben den kurzen Draht zu den Zuwanderern – nur: Zusammengeführt wird beides kaum, schreibt die Autorin der Studie, Tatiana Lima Curvello. Die Folge: „Migranten kennen die Verbraucherberatung nicht“, muss Uwe Hüser vom Bundesverband einräumen.

„Wir müssen nacharbeiten“, sagt Hüser im FR-Gespräch. Deutlich mehr zweisprachige Berater würde er sich wünschen, außerdem mehr Kapazitäten der Beratungsstellen, auf Zuwanderer zuzugehen. Er denkt an Angebote „etwa in Moscheevereinen und Kaffeehäusern, um kulturell bedingte Hürden abzubauen“, auch an Trainings für Multiplikatoren.

Es besteht akuter Handlungsbedarf. Mit Deutschkursen vor oder nach der Zuwanderung wird das Problem nicht gelöst. Sowohl Grundkenntnisse der deutschen Sprache, die neuerdings vor der Einreise gefordert werden, als auch ein erfolgreicher Abschluss eines Integrationskurses versetzt den Zuwanderer noch lange nicht in die Lage, juristische Formulierungen in Verträgen zu verstehen. Daher ist die Forderung der Verbraucherzentrale Bundesverband ernst zu nehmen und von der Bundesregierung an die Tagesordnung zu setzen.

Umso mehr sind auch Migrantenverbände gefordert, die sich anbieten und mit den Verbraucherzentralen zusammen arbeiten müssen. Gemeinsame Seminare, Verbraucherberatung oder auch die schlichte Belehrung ihrer Mitglieder über die Existenz von Verbraucherzentralen sind Schritte in die richtige Richtung.

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