Mehr Migranten in Polizeiuniform oder weniger Diskriminierung im Schulsystem?

17. August 2007 | Von | Kategorie: Gesellschaft | Keine Kommentare |

In der Heilbronner Stimme wird über 15 Beamte des Heilbronner Polizeireviers berichtet, die einen Türkisch-Sprachkurs abgeschlossen haben. Die FAZ und die Frankfurter Rundschau berichten, die hessische Polizei wolle die Zahl der Migranten in ihren Reihen erhöhen. Die Landesregierung versuche, der demographischen Veränderung in der Gesellschaft gerecht zu werden. In Frankfurt am Main haben nach Auskunft der Polizei nur rund 20 von 3200 Polizisten einen ausländischen Pass – legt man den Anteil an der Gesamtbevölkerung zugrunde, müssten es rund 800 sein.

Das Umdenken und erkennen der demographischen Wirklichkeit Deutschlands ist selbstverständlich begrüßenswert. Auf der anderen Seite ist dies allerdings nur ein selbstverständlicher und überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Dem Idealfall kommen wir damit aber nicht näher. Optimal wäre es, wenn sich Migranten aufgrund ihrer Qualifikation in die grünen Uniformen aufdrängen und nicht wegen ihrer hohen Kriminalitätsrate. Die vorgeschobene „Anpassung“ an die demographischen Tatsachen Deutschlands hat nämlich einen anderen Hauptgrund: Die Bekämpfung der Ausländerkriminalität. So als wolle man den Feind mit eigenen Waffen schlagen.

Obwohl sämtliche Studien belegen, dass Arbeitslosigkeit und Chancenlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt die Hauptgründe für hohe Kriminalitätsraten sind, wird die Lösung des Problems an das Ende der Kausalkette verlagert. In einer Gesellschaft, in der selbst Realschüler und Gymnasiasten erhebliche Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu finden, sind viele Migrantenkinder, die eine Sonderschule durchlaufen müssen, von vornherein chancenlos. Nicht zu vergessen sind Kinder, die auf eine Realschule oder auf ein Gymnasium gehen könnten, aber aufgrund vieler Vorbehalte der Lehrer nur eine Empfehlung für eine Hauptschule bekommen. Diese Kinder landen meist im sozialen Abseits ohne Hoffnung auf eine sozial und finanziell gesicherte Zukunft.

Insofern wäre es wichtiger, die seit Jahrzehnten bestehenden und institutionalisierten Diskriminierungen im Schulsystem möglichst ganz zu unterbinden. Viel zu viele Migrantenkinder müssen zu Unrecht und entgegen landesrechtlichen Schulgesetzen eine Sonderschule – verharmlosend auch Förderschulen genannt – besuchen, weil sie die deutsche Sprache nicht ausreichend sprechen. Obwohl dieser Umstand weder etwas mit dem Intellekt des Kindes noch mit der Lernfähigkeit zu tun hat, ist diese Form des Umgangs mit der Problematik meist die einfachste Lösung für Lehrer und Schulen.,.

Die Entscheidung, welche Schule ein Kind besuchen muss, liegt grundsätzlich bei der örtlichen Schulaufsichtsbehörde. Grundlage der Entscheidung über Dauer, Art und Umfang der sonderpädagogischen Förderung sind in der Regel eine Überprüfung durch eine entsprechend ausgebildete Lehrkraft und eine schulärztliche Untersuchung, die gegebenenfalls durch ein schulpsychologisches Gutachten zu ergänzen ist. Die Eltern haben einen Anspruch darauf, umfassend informiert und beraten zu werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung (BVerfGE 96, 288) festgestellt, dass die Überweisung eines Schülers in eine Sonderschule dann eine verbotene Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG darstelle, wenn es gegen den Willen des Schülers und der Eltern erfolgt, obwohl eine Unterrichtung an der allgemeinen Schule mit sonderpädagogischer Förderung personell, sachlich und organisatorisch möglich ist (Näheres zum Thema: Schul- und Prüfungsrecht Band 1 Schulrecht, Niehues/Rux).

Nach § 2 Abs. 2 SGB IX ist behindert, wer aufgrund ihrer körperliche Funktion, geistigen Fähigkeiten oder seelischen Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Da die Einweisung in eine Sonderschule auf Dauer erfolgt und ein Schulwechsel nach Möglichkeit vermieden werden soll, ist diese Definition dahingehend zu modifizieren, dass die Beeinträchtigung voraussichtlich zumindest während des gesamten folgenden Schuljahres bestehen muss.

Wendet man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die Definition auf ein Migrantenkind mit sprachlichen Defiziten an, folgt daraus, dass die Überweisung in eine Sonderschule nicht in Betracht kommt, da die deutsche Sprache innerhalb kurzer Zeit durch entsprechende Kurse ohne große personelle, sachliche oder organisatorische Umstände gelernt werden kann. Auch liegen in den allermeisten Fällen keine körperlichen oder geistigen Abweichungen vor. Auch werden keine Untersuchungen oder ein Gutachten vorgelegt, die eine Überweisung in eine Sonderschule rechtfertigen könnten. Ebenso wenig werden Eltern beraten oder informiert, geschweige denn umfassend.

Die Erkenntnisse Prof. Dr. Reimer Kornmann’s, der seit den 80er Jahren auf diesem Gebiet tätig ist, lassen sich wie folgt zusammen fassen: Ausländische Schüler werden systematisch benachteiligt. Das Risiko ausländischer Kinder und Jugendlicher, in eine Sonderschule für Lernbehinderte abgeschoben zu werden, ist doppelt so hoch wie bei deutschen Mädchen und Jungen. 2,3 Prozent aller deutschen Kinder und Jugendlichen besuchten 2002 eine Sonderschule für Lernbehinderte. Bei den ausländischen Schülern liegt dieser Anteil bei 4,7 Prozent. Im Vergleich zu deutschen Mädchen und Jungen besuchten Ausländerkinder Realschulen und Gymnasien nur halb so häufig. Das deutsche Schulsystem sei nicht in der Lage, soziale Benachteiligungen auszugleichen, im Gegenteil: Diese würden verstärkt. (Quelle: GEW)

Dennoch, konnten sich bisher nur wenige Länder – und das erst seit ein paar Jahren – lediglich auf eine Sprachprüfung im Vorschulalter durchdringen. Diese im Ansatz richtige aber unzureichende Maßnahme ist allenfalls geeignet, die Probleme zu erkennen. Zur Lösung tragen Sie allerdings nicht wesentlich bei.

Einem türkischen Sprichwort zu folge beugt man Bäume, wenn sie noch frisch sind oder auf Deutsch: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. In diesem Sinne sollten die Länder die demographische Wahrheit an der Wurzel packen und nicht an der bereits verfaulten Blüte. Wichtig ist es, Menschen zu erziehen und auszubilden, die eine reale Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Mangelnde sprachliche Bildung im Grundschulalter, das durch relativ geringe Mittel und in kurzem Zeitraum behoben werden kann, darf nicht dazu führen, dass sie lebenslänglich ins soziale Abseits geraten.

Trotz dieser Erkenntnisse, so scheint es, wird sich die Situation für viele Migrantenkinder immer mehr verschlechtern. Länder wie Berlin und Nordrhein-Westfalen haben ihre Schulgesetze kürzlich dahingehend geändert, dass die Schulbezirke für Grundschulen aufgehoben werden. Dadurch wird künftig den Eltern freigestellt, ihr Kind an einer anderen als der wohnortnächsten Grundschule anzumelden. Dies wird dazu führen, dass Kinder deutscher Eltern ihre Kinder möglichst in eine Schule mit geringem Migrantenanteil schicken werden. Migrantenkinder dagegen werden zunehmend unter sich bleiben. Sicher wird das nicht dazu beitragen, dass sie sich nach Absolvierung der Pflichtschuljahre mit Aussicht auf Erfolg um einen Ausbildungsplatz bei der Polizei bewerben können.

Ekrem Senol – Köln, 17.08.2007

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