Kritiker, Gewinner und Verlierer des Koran-Urteils

27. März 2007 | Von | Kategorie: Feuilleton | Ein Kommentar |

Nach Artikel 97 des Grundgesetzes sind Richter unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen. Wie steht es aber mit der Unterwerfung, wenn ein Rechtsstreit unter Hinweis auf den Koran entschieden wird? Dieser Frage liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

Eine deutsche Frau marokkanischer Abstammung, die von ihrem Mann geschlagen wurde und Morddrohungen erhielt, stellte im Oktober letzten Jahres beim Frankfurter Amtsgericht einen Antrag auf vorzeitige Scheidung, weil sie das gesetzlich vorgesehene Trennungsjahr nicht mehr aussitzen wollte. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt. Die Ausübung des Züchtigungsrechts begründe keine unzumutbare Härte gemäß Paragraph 1565 BGB. Die Richterin verwies bei ihrer Entscheidung auf den Koran (Sure 4, 34) und meinte, dass die Gewalttaten des Ehemanns vom Koran legitimiert würden. So entschied sie, dass es sich hier nicht um einen Härtefall handelt. Vorzeitige Scheidungen können aber nur mit Härtefällen begründet werden. Zu berücksichtigen sei, dass beide Ehepartner aus dem marokkanischen Kulturkreis stammen.

Seit dem publik werden der Entscheidung meint man, Deutschland werde vom Islam unterwandert. Dabei kristallisieren sich drei Gruppen heraus, die aus unterschiedlichen Motiven heraus kritisieren.

Die Entscheidung gibt in der Tat Anlass zu Diskussionen. Darf nach dem Koran der Ehemann die Ehefrau schlagen? Darf die Rechtsprechung unter Hinweis auf den Koran Recht sprechen? Die Bandbreite der Meinungen gehen von striktem Gewalt-Verbot in der Ehe bis hin zum Schlagen als ultima-ratio unter Islamwissenschaftlern oder von Berücksichtigung kultureller oder religiöser Besonderheiten bis hin zur strickten Ablehnung dessen unter Rechtswissenschaftlern.

Die erste Gruppe, dem überwiegend Politiker und Islamkritiker angehören, wollen den willkommenen Anti-Islam-Populismus-Zug nicht ohne Eigennutz vorbeiziehen lassen und kritisieren überwiegend den Verweis auf den Koran unter Missachtung deutscher Gesetze.

Die Familienrichterin, die mittlerweile ihre Rechtsprechung bedauert, hat sich, was den Koran-Verweis angeht, nichts vorzuwerfen. Das Schächturteil, das Kopftuchurteil, das Schwimmunterrichtsurteil und viele andere sind von den höchsten Gerichten Deutschlands mit Hinweisen auf den Koran entschieden worden. Ebenso wurden in vielen Entscheidungen Täter milder bestraft weil kulturelle sowie religiöse Besonderheiten berücksichtigt wurden.

Allerdings findet die Beachtung religiöser und kultureller Unterschiede dort ihre Grenzen, wo grundrechtliche Wertordnungen tangiert werden. Wenn es um die körperliche Misshandlung von Menschen oder eine Todesandrohung geht, ist es absurd zu Urteilen, dass das in der einen Kultur milder zu beurteilen ist als in der anderen. Die Menschenwürde ist unteilbar.

Islamische Spitzenverbände kritisieren dagegen vornehmlich die Falschauslegung des Korans. Die Sure 4, 34 ist dabei aus zweierlei Sicht streitig:

Der hier streitige Begriff „darabe“ wird überwiegend mit „schlagen“ übersetzt, wobei es auch Stimmen gibt, die es als „weggehen“ verstehen wollen.

Schließt man sich dem „schlagen“ an, ist weiterhin die Ausführung streitig. Während einige wenige es als ultima-ratio legitimieren meint die überwiegende Mehrheit unter Berufung auf Haditen (Ãœberlieferungen aus dem Leben des Propheten), es handele sich eher um ein symbolisches Schlagen als ultima-ratio, wenn die vorherige Ermahnung sowie die Trennung der Betten nicht fruchten, um eine kurz vor der Trennung stehende Ehe zu retten. Dabei dürfe das Schlagen nicht auf das Gesicht, auf Schmerzzufügung oder Verletzungszufüfung gerichtet sein. Aus Ãœberlieferungen sei bekannt, dass der Prophet das Schlagen von Kindern und Frauen ausdrücklich missbilligt habe.

Der gemäßigten dritten Gruppe – vorwiegend Juristen und Islamwissenschaftler – geht die Debatte zu weit und ist typisch populistisch.

Der quasi-vierten Gruppe – weil immer dabei – ist die Debatte ein willkommenes Geschenk: Die Medien, die wieder einmal etwas handfestes zu berichten haben und (fast) jeden zu Wort kommen lassen, rollen gleich alle Themen der letzten Jahre noch einmal auf. Zeitschriften widmen dem Thema ihre Titelseiten und die Tagesschau berichtet zur Primetime. Journalisten fangen an, sich mit dem Islam zu beschäftigen und würdigen Koranauslegungen sowie -übersetzungen.

Die Gewinner dieser Debatte werden vornehmlich Bild-Politiker, die wir-haben-es-doch-schon-immer-gesagt-Islamkritiker sowie die Medien sein.

Die Verlierer sind erneut Muslime, die mit dem Vorwurf konfrontiert werden, Schläger oder Geschlagte zu sein, denen man helfen muss, den richtigen Weg zeigen muss, bevormunden muss.

Ein weiterer Verlierer ist die unabhängie Rechtsprechung. Der Vorfall zeigt, wie selbst Richter sich von der seit Jahren herrschenden Anti-Islam-Hysterie beeinflussen lassen können und sich zu solchen Urteilen verleiten lassen. Eine Muslima muss Gewalt erdulden. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Bitter, bitter.

Der letzte Verlierer ist der Rechtsstaat. Wenn Politiker posaunen, dass Richter nur dem Gesetz unterworfen und unabhängig sind (Art. 97 GG), stellt sich für mich die Frage, was eine derart heftige Einmischung von außen bewirken soll. Das Urteil des Familiengerichts ist nicht die schwerwiegendste Fehlentscheidung in der Geschichte Deutschlands, nicht die Erste und wird auch nicht die Letzte sein. Gegen Fehlentscheidungen gibt es Rechtsmittel, Populismus dagegen ist nicht vorgesehen.

Es erhärtet sich der Eindruck, als wollten Politiker sich gegen die Rechtsprechungen der letzten Jahre rächen und ihrem Unmut Luft machen. Nicht umsonst finden die oben genannten Rechtsprechungen über Muslime immer wieder Erwähnung. Nach dem Motto: „Das ist die Chance – Schlagen wir zu!“ werden dienstrechtliche Prüfungen gefordert gegen die Richterin um ein Zeichen zu setzen und zu warnen.

Nicht unberücksichtigt darf gelassen werden, dass in Fällen, in denen kulturelle oder religiöse Besonderheiten berücksichtigt werden (müssen), die Richter eine Gratwanderung wagen. In diesen Fällen hängt die Entscheidung nicht selten vom persönlichen Empfinden des Richters ab.

Ekrem Senol – Köln, 27.03.2007

Ein Kommentar
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  1. Entscheidung auf der Basis des Korans, oder doch nur zu wenig Zeit gehabt…

    Die ganze Aufregung um die koranisch begründete Ablehnung einer Scheidung durch eine Frankfurter Richterin scheint langsam abzuklingen, die Fakten um den Fall dringen aber erst so langsam an das Tageslicht. Den millionenfachen BILD-Leser werden dies…

 

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