Sicherstellung eines Kinderausweises wegen fehlerhaften Eintrags der deutschen Staatsangehörigkeit
18. Oktober 2006 | Von E. S. | Kategorie: Leitartikel | Keine Kommentare |VG Aachen 6. Kammer, Beschluß vom 28. August 2006, Az: 6 L 328/06
Ein Kinderausweis kann sichergestellt werden, wenn die Eintragung „Staatsangehörigkeit: Deutsch“ – wegen des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit eines Elternteils infolge Wiederannahme der türkischen Staatsangehörigkeit – falsch ist und die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 RuStAG nicht vorliegen.
Gründe:
1. Der sinngemäß gestellte, zulässige Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 26. Mai 2006 gegen die Ordnungsverfügungen vom 9. Mai 2006 anzuordnen,
ist nicht begründet.
Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung und dem Individualinteresse des Betroffenen an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Der Widerspruch des Antragstellers, an dessen Eltern und gesetzliche Vertreter die Ordnungsverfügungen gerichtet sind, hat voraussichtlich keinen Erfolg. Es spricht Überwiegendes dafür, dass die angefochtenen Ordnungsverfügungen vom 9. Mai 2006 sich als rechtmäßig erweisen.
Die Anordnung der Sicherstellung des Kinderausweises, aus der auch die Herausgabepflicht folgt, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Antragsteller ist nicht zum Besitz eines deutschen Kinderausweises berechtigt. Der seinen Eltern für ihn am 19. Oktober 2004 ausgehändigte Kinderausweis Nr. 000 darf daher in Anwendung der Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 1 des Passgesetzes (PassG) sichergestellt werden. Der Kinderausweis ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 PassG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des Passgesetzes auch ein Passersatz im Sinne dieser Vorschrift. Der Antragsteller ist nicht zum Besitz des Kinderausweises berechtigt, weil er nicht deutscher Staatsangehöriger sein dürfte. Er hat die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mit der Geburt im Inland erworben. Damit sind zugleich auch die Vorgaben des § 13 Abs. 1 Nr. 3 PassG erfüllt. Danach kann ein Pass auch dann sichergestellt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass ein Einziehungsgrund vorliegt. Hier drängt sich die Annahme auf, dass der Einziehungsgrund nach § 12 Abs. 1 PassG i.V.m. §11 Nr. 2 PassG deshalb vorliegt, weil die Eintragung „Staatsangehörigkeit: Deutsch“ falsch und der Kinderausweis damit ungültig sein dürfte.
Unzweifelhaft hat der Antragsteller die deutsche Staatsangehörigkeit nicht – wie vom Antragsgegner ursprünglich angenommen – nach der Vorschrift des § 4 Abs. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) erworben. Seine Eltern besaßen im Zeitpunkt seiner Geburt nämlich beide die türkische Staatsangehörigkeit. Sein im Jahre 2000 eingebürgerter Vater hat die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes verloren, als er am 2. Juni 2004 – und damit vor der Geburt des Antragstellers am 23. Juni 2004 – auf Antrag die türkische Staatsangehörigkeit wieder angenommen hat, vgl.
§ 25 Abs. 1 StAG.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen erscheint aber auch der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach der Vorschrift des § 4 Abs. 3 StAG jedenfalls als unwahrscheinlich. Nach § 4 Abs. 3 StAG in der hier maßgeblichen Fassung im Zeitpunkt der Geburt des Antragstellers am 23. Juni 2004 erwirbt das Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil im maßgeblichen Zeitpunkt der Geburt des Kindes seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat und gleichzeitig eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt. Der Vater des Antragstellers, der hier allein als Bezugsperson in Betracht kommt, hatte im Zeitpunkt der Geburt des Antragstellers zwar seit mehr als acht Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet; dieser war aber weder seit mehr als acht Jahren rechtmäßig, noch war er zum damaligen Zeitpunkt im Besitz der erforderlichen Aufenthaltsberechtigung bzw. unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Dabei kann offen bleiben, ob zugunsten des Antragstellers davon ausgegangen werden darf, dass die Zeiten einer deutschen Staatsangehörigkeit für den Achtjahreszeitraum des § 4 Abs. 3 StAG analog Zeiten eines rechtmäßigen Aufenthalts zu behandeln sind. Dies mag mit Blick auf die Intention der Vorschrift, der fortgeschrittenen Integrationsleistung zumindest eines Elternteils Rechnung zu tragen, nicht unangebracht erscheinen. Demgegenüber ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber für den Bereich des Ausländerrechts im Aufenthaltsgesetz eine solche Gleichstellung nicht angenommen hat. Ansonsten hätte es nämlich der umfassenden Sonderregelung des § 38 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) so nicht bedurft. Im Übrigen trüge die oben angedeutete Sichtweise dem nicht nur graduellen, sondern wesensmäßigen Unterschied zwischen einem bloßen Aufenthaltsrecht und dem Status der Innehabung der deutschen Staatsangehörigkeit wohl nicht hinreichend Rechnung. Die tatbestandlichen Vorgaben des § 4 Abs. 3 StAG sind jedoch ungeachtet dessen bereits nicht erfüllt. Seit dem 2. Juni 2004 ist der Vater des Antragstellers nicht mehr Deutscher. Im Besitz eines Aufenthaltstitels ist er erst wieder seit dem 20. April 2005.
Sein Aufenthalt war bei Geburt des Antragstellers auch nicht aus anderen Gründen rechtmäßig. Der ihm vor seiner Einbürgerung zuletzt erteilte Aufenthaltstitel ist – selbst, wenn es sich um einen der gemäß § 4 Abs. 3 StAG erforderlichen Titel gehandelt haben sollte – mit der Einbürgerung gegenstands- und damit wirkungslos geworden. Ein automatisches Wiederaufleben eines früheren Aufenthaltstitels nach Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit sieht das Gesetz nicht vor. Das Aufenthaltsgesetz stellt im Gegenteil für diese Fälle ausdrücklich ein abgestuftes Regelwerk zur Verfügung, wonach abhängig von der jeweiligen Dauer des Besitzes der deutschen Staatsangehörigkeit – und gerade nicht in Abhängigkeit vom früheren Aufenthaltsstatus – entweder eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen ist, vgl. § 38 AufenthG.
Eine andere Beurteilung dürfte auch nicht aufgrund vor der Einbürgerung ggf. erworbener, gemeinschaftsrechtlicher Aufenthaltsrechte aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei (ARB 1/80) geboten sein. Dabei bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob und inwieweit die konstitutiven Rechte aus Art. 6 oder 7 ARB 1/80 dem nach § 4 Abs. 3 StAG erforderlichen Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gleichzustellen wären. So wie nämlich das Entstehen dieser Rechte erkennbar abhängig davon ist, dass der Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat dem regulären Arbeitsmarkt angehört, die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, ist auch deren Fortbestand nur unter dieser Voraussetzung denkbar, und zwar schon deshalb, weil Staatsangehörige des jeweiligen Mitgliedstaates wegen ihres Inländerstatus weder eines Beschäftigungs- noch eines davon abhängigen Aufenthaltsrechts bedürfen. Dass der Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit bei gleichzeitigem Erwerb der Staatsangehörigkeit des aufnehmenden Mitgliedsstaates die aufgrund der vor der Einbürgerung erfüllten Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 in der Weise unberührt ließe, dass diese bei erneutem Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit automatisch als konstitutive Rechte wiederaufleben, ist dem Beschluss – und hier insbesondere Art. 7 Abs. 2 ARB 1/80 – nicht zu entnehmen. Selbst, wenn – was mangels entsprechender Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs allerdings völlig offen ist – aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 10 ARB 1/80 reflexartig ein Anspruch auf die Gewährung eines, der früheren assoziationsrechtlichen Stellung vergleichbaren Beschäftigungs- und Aufenthaltsrechts erwachsen sollte, vermag ein solcher, aus dem Verbot, dem Arbeitnehmer in Ansehung früherer Beschäftigungszeiten die weitere Beschäftigung und den weiteren Aufenthalt zu untersagen, resultierender Anspruch allein – d.h. ohne die entsprechenden nationalstaatlichen Genehmigungsakte – die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht zu vermitteln.
Der Aufenthalt des Vaters des Antragstellers war zum maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht fiktiv erlaubt. Nach § 38 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt in den Fällen des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit für das Aufenthaltsgenehmigungsverfahren die Bestimmung des § 81 Abs. 3 AufenthG entsprechend. Dieser Regelung bedurfte es mit Blick darauf, dass es bei einem ehemaligen Deutschen nach Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit gerade an der tatbestandlichen Vorgabe des § 81 Abs. 3 AufenthG – rechtmäßiger Aufenthalt ohne Aufenthaltstitel – fehlt. Die in § 81 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AufenthG geregelte Erlaubnisfiktion tritt zudem, anders als die des § 81 Abs. 4 AufenthG, auch erst ab Antragstellung und nicht etwa rückwirkend mit der Antragstellung bezogen auf den Zeitpunkt des Ablaufs des früheren Aufenthaltstitels – hier bei entsprechender Anwendung: rückwirkend ab Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit – ein. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde erst mit Schreiben vom 19. April 2005 gestellt. Eine der Regelung des § 69 Abs. 3 Satz 2 des Ausländergesetzes vergleichbare Bestimmung, wonach in bestimmten Fällen auch der Aufenthalt bis zum Ablauf einer Antragsfrist als erlaubt galt, findet sich im Aufenthaltsgesetz nicht mehr. Dass der Vater des Antragstellers im Zeitpunkt der Geburt einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hatte, ist hier ohne Belang.
Es drängt sich auch mangels Vergleichbarkeit nicht auf, hier einen Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmen.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. November 2004 – 1 C 31/03 – BVerwGE 122, 199.
Danach soll ein Ausnahmefall vom Erfordernis des ununterbrochenen achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt dann vorliegen, wenn während dieses Achtjahreszeitraums eine nur kurze und deshalb unbeachtliche Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des achtjährigen Aufenthalts gegeben war, weil ein – unproblematisch positiv zu bescheidender – Verlängerungsantrag um wenige (hier: drei) Tage verspätet gestellt worden war. Der hier zu entscheidende Fall unterscheidet sich hiervon schon insoweit, als es vorliegend gerade an der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des vermittelnden Elternteils im für die Einbürgerung maßgeblichen Bezugszeitpunkt der Geburt fehlt. Im Ãœbrigen stellt sich die Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auch aus der Rückschau nicht als nur kurz dar, denn der die Fiktion des erlaubten Aufenthalts auslösende Verlängerungsantrag datiert erst von April 2005.
Zuletzt ist auch zum Nachteil des Antragstellers zu berücksichtigen, dass der Antrag auch nicht zur Erteilung eines der Aufenthaltsberechtigung oder der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis entsprechenden Aufenthaltstitels geführt hat. Aus diesem Grunde fehlt es, selbst für den Fall, dass der Eintritt der Erlaubnisfiktion rückwirkend zum Zeitpunkt des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit erfolgt wäre, an der Vorgabe des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StAG. Zu Recht wurde dem Vater des Antragstellers nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erteilt, denn die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis liegen offenkundig nicht vor.
Der Antragsgegner hat auch das ihm im Rahmen der Entscheidung nach § 13 Abs. 1 PassG zustehende Ermessen ausgeübt. Ermessensfehler und dem öffentlichen Vollzugsinteresse entgegenstehende, dieses überwiegende private Interessen des Antragstellers sind nicht erkennbar. Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass eine andere Beurteilung auch nicht geboten ist, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen eingeschätzt würden. Der Antragsteller hat nicht behauptet, dass er aktuell einen Kinderausweis benötigt, weil er über eine Auslandsgrenze aus dem Bundesgebiet aus- oder in die Bundesrepublik einreisen will. Auch, wenn dies der Fall wäre, ist es dem Antragsteller, der als Kind türkischer Eltern jedenfalls auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, zuzumuten, sich zur Vermeidung etwaiger Nachteile für die Dauer des Hauptsacheverfahrens entweder ein eigenes türkisches Passpapier ausstellen oder sich in dem türkischen Reisepass eines seiner Elternteile eintragen zu lassen. Dem Kinderausweis kommt hinsichtlich der Innehabung der deutschen Staatsangehörigkeit auch keine konstitutive Wirkung zu, so dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren in keiner Weise gehindert ist, sich weiter auf das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit zu berufen.
Die Zwangsgeldandrohung rechtfertigt sich – wie in den angefochtenen Ordnungsverfügungen zutreffend aufgeführt – aus den §§ 55, 57 Nr. 2, 60 und 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
2. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes in Höhe der Hälfte des Auffangwertes beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Mit Rücksicht auf den einstweiligen Charakter des vorliegenden Verfahrens erscheint das Antragsinteresse an der Aussetzung der Vollziehung in der bestimmten Höhe ausreichend und angemessen berücksichtigt.
Ekrem Senol – Köln, 26.10.2006