Die Türken sind da – aber wer geht auf sie zu?

18. Juli 2006 | Von | Kategorie: Leitartikel | Keine Kommentare |

Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen, der im vergangenen Jahr den deutsch-türkischen Freundschaftspreis erhielt, teilt unter der Ãœberschrift: „Die Türken sind da – aber wer geht auf sie zu?“ in der Süddeutschen Zeitung vom 18.07.2006 mit, dass es hat keinen Sinn hat, von Zuwanderern immer nur zu verlangen, dass sie sich anpassen sollen. Hier ein Auszug:

„Für Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland gibt es eine Mitverantwortung von Politik und Öffentlichkeit. Die Integrationsdebatten der jüngsten Zeit haben sich sehr einseitig auf den vermeintlich fehlenden Anpassungswillen der Zuwanderer konzentriert. Unterschwellig kam dabei zum Ausdruck, dass Andersartigkeit tendenziell ein Problem darstellt. Auf diese Weise ist Fremdenfeindlichkeit mittelbar legitimiert worden.

In der Diskussion wird die Leistung der Zuwanderer, sich einer fremden Kultur anzupassen, völlig unterschätzt. Und es wird der Eindruck erweckt, Fälle fehlgeschlagener Integration seien durch die Unwilligkeit der Zuwanderer zu erklären, sich anzupassen – ja, diese selbst seien ein spaltender Faktor in der deutschen Gesellschaft. Beide Vorstellungen bedürfen dringend der Korrektur. …

Das eigentliche Problem ist die Frage der Chancengleichheit. Wenn Zuwanderer sich der Gesellschaft anpassen, die sie aufgenommen hat, und wenn sie dort rege Kontakte anstreben, so sind dies keine schlechten Voraussetzungen, um Chancengleichheit zu erlangen. Aber auch längst keine Garantie dafür.

Dies sieht man überdeutlich, wenn man die Integrationsbilanz von Zuwandererfamilien betrachtet, die mitunter bereits in der dritten Generation hier leben. Denn obwohl die Kinder und Enkel die deutsche Sprache gelernt, das deutsche Schulsystem durchlaufen und in Deutschland auch emotional eine Heimat gefunden haben, ist ihre Teilhabe an Wirtschaft und Gesellschaft weit unterdurchschnittlich. Warum sollte noch mehr Anpassungsbereitschaft daran etwas ändern können? Die Frage nach der Chancengleichheit muss beantwortet werden, bevor man von Zuwanderern immer nur Anpassung fordert. Für viele Angehörige der zweiten Generation schlägt sich deren Hinwendung zur deutschen Gesellschaft nicht in adäquaten Platzierungen in dieser Gesellschaft nieder. Dies ist nicht nur eine Folge der wirtschaftlichen Situation. Es ist auch eine Folge von gesellschaftlichen Mechanismen, die Zuwanderer grundsätzlich von Teilhabe ausschließen. …

Je stärker die Perspektive, umso geringer auch die Anfälligkeit einer aufnehmenden Gesellschaft für rassistisches Gedankengut. Nicht die Herkunft der Schüler von der Berliner Rütli-Schule ist das Problem – sondern deren Perspektivlosigkeit. Und nicht der Islam als Religion behindert Integration, sondern seine mangelnde Einbindung in die deutsche Gesellschaft. Wer heute den Begriff der Multikulturellen Gesellschaft in den Mund nimmt, gilt schnell als naiver Phantast. Dabei beschreibt er doch nur eine offensichtliche Realität, die nicht nur Bestand haben, sondern unser Land auf Dauer prägen wird. Die wechselseitige Integration der Angehörigen dieser Gesellschaft – das ist die Aufgabe aller. Und nicht allein der Zuwanderer.“

Ekrem Senol – Köln, 18.07.2006

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