Wie man das Recht abschneidet

15. Juni 2006 | Von | Kategorie: Leitartikel | 2 Kommentare |

Vor kurzem berichtete ich über die Praxis einiger Behörden (unter anderem in Mönchengladbach) in Zusammenhang mit Passfotos mit Kopftuch in Lichtbildausweisen. Obwohl die einschlägigen Vorschriften als auch die Rechptsprechung ein Passfoto mit Kopftuch in Ausnahmefällen zulassen, verweigern einige Behörden generell die Ausstellung von Lichtbildausweisen mit Kopftbedeckung. Nicht ohne Grund: Neben der offiziellen Foto-Mustertafel der Bundesdruckerei hängt in einigen Ausländerbehörden eine weitere Version der Foto-Mustertafel.

So haben die Damen und Herren des Rathauses Rheydt in Mönchengladbach einfach die letzte Zeile des Foto-Mustertafels abgeschnitten. Was diese Herren allerdings nicht bemerken ist, dass sie nicht nur ein Stück Blatt abgeschnitten haben sondern auch ein gutes Stück Recht.

§ 3 der Verordnung zur Bestimmung der Muster der Reisepässe:

„… Das Lichtbild muss das Gesicht im Ausmaß von mind. 20 mm darstellen und den Passbewerber zweifelsfrei erkennen lassen. Es muss die Person im Halbprofil und ohne Kopfbedeckung zeigen; hiervon kann die Paßbehörde Ausnahmen zulassen….“

Die Damen und Männer im Rathaus Rheydt haben also einfach mal den letzten Halbsatz des zweiten Satzes abgeschnitten und so manche ganze Absätze aus Gerichtsurteilen und Beschlüssen.

VGH Hessen, Beschluss (Az: 7 TG 448/04):

Foto-MustertafelZwar können Belange der Sicherheit, die ein von der Verfassung anerkanntes Rechtsgut von besonderem Rang darstellen, das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG einschränken, wobei allerdings unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Alternativen, etwa die Aufnahme biometrischer Daten anstelle eines Lichtbilds in einen Personalausweis, in Betracht zu ziehen wären (BVerwG, B. v. 24. Oktober 1990 – 1 B 98.90 Buchholz 402.02 PAuswG Nr. 3). Die Entscheidung hierüber obliegt jedoch dem Gesetzgeber, der in § 4 Abs. 6 Satz 1 des Passgesetzes vom 19. April 1986 (BGBl. 1 S. 537) in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 21. August 2002 (BGBl. 1 S. 3322) die Entscheidung über „Einzelheiten des Lichtbildes” einer durch das Bundesministerium des Innern im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt zu erlassenden Rechtsverordnung vorbehalten hat. In Art. 1 § 3 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung zur Reform pass- und personalausweisrechtlicher Vorschriften vom 3. Dezember 2001 (BGBl. 1 S. 3274) ist geregelt, dass das Lichtbild die Person im Halbprofil und ohne Kopfbedeckung zeigen müsse und „hiervon” die Passbehörde Ausnahmen zulassen könne. Das der Passbehörde bei der Anwendung dieser Vorschrift zustehende Ermessen ist, worauf der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2003 zutreffend hingewiesen hat, durch Nr. 6.2.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Passgesetzes vom 3. Juli 2000 (BAnz. S. 18859) dahin gebunden, dass für Angehörige von Religionsgemeinschaften und geistlichen Orden, die nach ihren Regeln gehalten sind, sich in der Öffentlichkeit nicht ohne Kopfbedeckung zu zeigen, Lichtbilder verwendet werden dürfen, die den Antragsteller mit der vorgeschriebenen Kopfbedeckung zeigen. Dasselbe gilt nach den Verwaltungsvorschriften für Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes, der Arbeiterwohlfahrt und des Diakonischen Werkes sowie dem Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband angeschlossener Schwesternschaften. Damit ist ein weit über den Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG hinaus reichender Ausnahmekatalog geschaffen worden, der das grundsätzlich fortbestehende Verbot der Verwendung von Kopfbedeckungen auf Passfotos stark einschränkt.

Letztlich haben die Damen und Herren im Rathaus Rheydt anscheinend nicht begriffen, dass in Deutschland so etwas Gewaltenteilung gibt. Die Vollziehende Gewalt ist an Recht und Gesetz gebunden und ist vor allem nicht die Legislative.

Wenn es darum geht, Deutschland zu No-Kopftuch-Areas zu machen, sind im Rathaus Rheydt und in vielen weiteren Behörden alle Mittel „Recht“ auch wenn man dabei die eigenen Grundsätze abschneidet.

Dazu auch: Passfoto mit Kopftuch im Lichtbildausweis

Nachtrag vom 22.06.2006: Der original Aushang im Rathaus Rheydt

Ekrem Senol – Köln, 15.06.2006

2 Kommentare
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  1. […] Wie man das Recht abschneidet […]

  2. Meine Geschichte passt zwar nicht ganz, ist aber auch tüchtig vom Recht abgeschnitten!

    Ein Regel-Ausnahme-Verhältnis?

    Wie eine Grundrechtsregelung auf dem Ausnahmeweg unregelmäßig gemacht wird um Unternehmen und Arbeitgeber des gesetzwidrigen Verhaltens zu überführen.

    Die Übertragung von Rechten und Pflichten, der Bundesanstalt f ü r Arbeit durch gute Leistungen zu helfen, ihre hoheitsrechtlichen Aufgaben zur Durchsetzung staatliche Normen zu realisieren!

    Wie pervers muss jemand in staatlicher Verantwortung oder eine Behörde sein, die einen zeitlich begrenzt (befristet) angestellten Arbeitnehmer u.a. zur strafrechtlichen Verfolgung (illegale Ausländerbeschäftigung, -verleih) auf diese Firmen und Arbeitgebern ansetzt, auf die er nach Fristablauf unbedingt zur Findung einer neuen Arbeitsstelle angewiesen ist, um seinen Lebensweg weiter gestalten und seine Existenz aus Eigeninitiative sichern zu können?

    Ist es nicht ekelhaft, wenn so etwas durch einen Mann gerechtfertigt wird, der als Politkader daran beteiligt war, den Menschen in der DDR demokratische Grundsätze zu verwehren und hier nun wieder legitimiert ist, dem Bürger persönliche Freiheiten nehmen zu dürfen?

    Widerlich ist, wenn dieses Vorgehen auch noch durch die Volkspartei SPD mit der Aussage ihres Staatsministers, jetzt parlamentarischer Staatssekretärs, Rolf Schwanitz gestützt wird, der anfänglich aber mit ganz gegenteiliger Meinung auftrat, die lautete: “Das ist kein haltbarer Zustand, das geht doch nicht. Hierzu muss ich unbedingt beim Landesarbeitsamt in Chemnitz vorsprechen“. Ein Jenachdemer?

    Liebe Grüße

    Joachim Kraus
    Tel. 037436 83988 Mail: fredomail@web.de

    P.S. Bei eventueller Unklarheit nochmals kurzum und konkret:

    Warum ist es in unserem Land möglich, Aufgaben und Befugnisse aus dem Gewaltmonopol des Staates, hier z.B. von Eingriffen in das informationelle Selbstbestimmungsrecht freier Bürger (Arbeitgeber und alle anderen Personen in Betrieben), an zeitlich begrenzte/befristete Aushilfsangestellte in privaten Rechtsverhältnissen zu übertragen. Noch dazu, wenn diese dann daraus nachhaltige persönliche Schädigungen erleiden?

    Können Sie sich vorstellen, dass ein Wurstwarenfabrikant jemanden einstellt, der vorher unter Preisgabe seiner Person durch Kontrollen bei ihm Gammelfleisch entdeckt hat, was dann zum weiteren Verfahren der Staatsanwaltschaft vorgelegt ist?

 

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