Passfoto mit Kopftuch im Lichtbildausweis

12. Juni 2006 | Von | Kategorie: Leitartikel | Keine Kommentare |

Eine Aufenthaltserlaubnis muss mit Passbild versehen sein. Der Kreis Offenbach, berichtet die Frankfurter Rundschau, verlangt von muslimischen Frauen ein Foto ohne Kopftuch. Marokkaner verweisen auf Offenbach und Frankfurt, wo das nicht so ist. Was die Frankfurter Rundschau nicht berücksichtigt sind viele weitere Fälle im Bundesgebiet (insbesondere aus Dillenburg-Wetzlar, Bremerhafen oder aus Mönchengladbach).

Vorab: Die offizielle Foto-Mustertafel der Bundesdruckerei und die zweite Verordnung zur Änderung passrechtlicher Vorschriften vom 8. August 2005

Darin heist es kurz: Kopfbedeckungen sind grundsätzlich nicht erlaubt. Ausnahmen sind insbesondere aus religiösen Gründen zulässig. …“. Was damit genau gemeint ist wollen wir uns im folgende näher ansehen.

Rechtsgrundlage

Oft kommt es vor, dass Behörden muslimischen Frauen, die ein Kopftuch tragen, die Ausstellung eines Ausweises verweigern, weil das vorgelegte Lichtbild die betreffende Person mit einem Kopftuch zeigt. Dabei stützen sie sich auf § 3 der Verordnung zur Bestimmung der Muster der Reisepässe. Diese Verordnung stellt eine Konkretisierung des § 4 Absatz 1 des Passgesetzes dar. In der Verordnung heißt es:

„… Das Lichtbild muss das Gesicht im Ausmaß von mind. 20 mm darstellen und den Passbewerber zweifelsfrei erkennen lassen. Es muss die Person im Halbprofil und ohne Kopfbedeckung zeigen; hiervon kann die Paßbehörde Ausnahmen

zulassen….“

In den allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Passgesetzes (VwVPassG), sind Ermessensrichtlinien zu den Vorschriften geregelt. Danach heißt es in der Verwaltungsvorschrift 6.2.3.1 Satz 1 zu § 6 des PassG;

„Für Angehörige von Religionsgemeinschaften und geistlichen Orden, die nach ihren Regeln gehalten sind, sich in der Öffentlichkeit nicht ohne Kopfbedeckung zu zeigen, dürfen Lichtbilder verwendet werden, die den Antragsteller mit der vorgeschriebenen Kopfbedeckung zu zeigen“

In Satz 2 der Verwaltungsvorschrift ist aufgezählt, für wen die Ausnahme gilt. Die muslimische Frau mit ihrer Kopfbedeckung findet keine Erwähnung.

Rechtsprechung

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden (Az: VI/1 E 596/82 in NVwZ 1985, 137 f.) hat durch ein Urteil vom 10. Juli 1984 folgendes festgestellt:

„Der islamische Glaube schreibt der Klägerin, was zwischen den Parteien unstreitig ist, vor, dass sie in der Öffentlichkeit eine Kopfbedeckung zu tragen hat. Das Auftreten ohne Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit wird nach den glaubhaften Bekundungen der Klägerin nach den islamischen Glaubensregeln als Sünde empfunden. In eine solche Situation könnte die Klägerin z.B. bei einer Personenkontrolle geraten, sofern ihr Äußeres nicht mit den in ihren Ausweisen befindlichen Lichtbildern übereinstimmen würde. Sie wäre damit im Falle einer Identitätsfeststellung der ohne weiteren vermeidbaren Gefahr eines Handeln gegen ihre Glaubensüberzeugung ausgesetzt. Dies liefe nach Auffassung der Kammer dem von dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 24, 236) definierten Grundrechtsgehalt zuwider, zumal das Grundrecht der Freiheit der Religionsausübung eine weitgehende staatliche Toleranz auch gegenüber anderen Glaubensauffassungen und Betätigungen verlangt. Die von der Beklagten angeführten Belange der Notwendigkeit eindeutiger Identitätsfeststellung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fallen demgegenüber hier nicht wesentlich in Gewicht. Diese sind zwar bei der Prüfung des Umfangs und der Schranken des Grundrechts der Klägerin in gebotenem Maße in die Abwägung einzubeziehen. Aber es zeigen sowohl die Äußerungen der Beklagten – die offenbar nicht von einer Ungültigkeit der Ausweise wegen mangelnder Identitätsfeststellung ausgeht – als auch die für Angehörige geistlicher Orden, Kongregationen und Schwesternverbände getroffenen Ausnahmeregelungen, dass auch beim Tragen einer Kopfbedeckung der vorliegenden Art eine einwandfreie Personenidentifizierung möglich ist. Nach alledem musste die Klage Erfolg haben.“

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin (Az: 1 A 146/87 in NVwZ 1990, 100) vom 18.01.1989 führt folgendes aus:

„Bekennt sich eine Frau ernsthaft zum christlichen Glauben, so kann sie einen Anspruch auf Ausstellung eines Personalausweises mit einem Lichtbild haben, das sie mit Kopfbedeckung zeigt. … Die Ablehnung des Antrages verletzt die Klägerin in ihrem Grundrecht auf Freiheit des Glaubens und ungestörte Religionsausübung (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG). Im vorliegenden Falle hätte der Beklagte bei Beachtung des Grundrechts der Klägerin eine Ausnahme von der Verpflichtung, dass das Lichtbild den Antragsteller ohne Kopfbedeckung zeigen muss, zulassen müssen. Das Grundrecht der Freiheit des Glaubens umfasst die Freiheit des kultischen Handelns, zu der auch die Beachtung religiöser Gebräuche gehört. Deshalb gewährleistet das Grundrecht auch die Einhaltung bestimmter Bekleidungsvorschriften von Angehörigen der Religionsgemeinschaften in der Öffentlichkeit. Der Grundrechtsschutz wird jedem zuteil, der glaubt, also die Grundsätze der Religion angenommen hat. Ohne Belang ist, ob er formell Mitglied einer bestimmten Religionsgemeinschaft ist. Des weiteren ist insoweit ohne Bedeutung, ob die in Frage stehende Bekleidungsvorschrift auch von einer Vielzahl anderer Personen beachtet wird. Allein maßgebend ist die Ernsthaftigkeit der Glaubensüberzeugung des einzelnen, den das Grundrecht davor bewahren soll, infolge eines Widerstreits der allgemeinen Rechtsordnung mit dem persönlichen Glaubensgebot in eine seine Menschenwürde verletzende seelische Bedrängnis zu geraten“.

In einem aktuelleren Fall hat das VG Kassel am 04.02.2004 (Az.: 3 G 1916/03) die Stadt Baunatal auf Antrag einer aus der Türkei stammenden deutschen Staatsangehörigen im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, ein Lichtbild der Antragstellerin, das sie mit einem Kopftuch zeigt, für einen von ihr beantragten vorläufigen Reisepass zu verwenden. In der Begründung wird folgendes sinngemäß ausgeführt:

Weibliche deutsche Staatsangehörige muslimischen Glaubens haben einen Anspruch aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auf Zulassung eines Fotos, das sie mit Kopfbedeckung zeigt, für die Ausstellung eines Passes; die Zulassung darf nicht von der Vorlage einer Bescheinigung einer Religionsgemeinschaft abhängig gemacht werden. … Ein solcher Anspruch folgt aus dem Grundrecht auf Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sowie aus dem Recht auf ungestörten Religionsausübung (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG). In den Schutzbereich dieses Grundrechts fallen auch religiöse Bekleidungsvorschriften wie das aus dem Koran abgeleitete Gebot, sich in der Öffentlichkeit nur mit Kopftuch zu zeigen. Teil der religiösen Überzeugung der Antragstellerin ist, ihren Körper in der Öffentlichkeit nur so zu zeigen, dass Gesicht und Hände zu sehen seien. Wenn sie diese Verpflichtungen nicht einhalte, verstoße sie gegen die Gebote Allahs. Die religiöse Anschauung der Antragstellerin ist nicht willkürlich, denn nach einer religiösen Lehrmeinung kann das Verschleierungsgebot nachvollziehbar aus dem Koran abgeleitet werden.

Staatliche Sicherheitsinteressen sind durch das Ansinnen der Antragstellerin nicht berührt. Das ist nur dann der Fall, wenn das Lichtbild die Antragstellerin nicht zweifelsfrei erkennen lässt. Davon kann nicht ausgegangen werden. Die Antragstellerin hat mithin einen Anspruch darauf, dass in ihrem Falle für die Passausstellung ein Lichtbild mit Kopfbedeckung genügt. Von der Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung einer Religionsgemeinschaft darf die Zulassung eines solchen Lichtbildes ebenfalls nicht abhängig gemacht werden. Niemand müsse einer Religionsgemeinschaft angehören, um in den Genuss des Grundrechts aus Art. 4 GG kommen zu können.

Der hessische Verwaltungsgerichthof hat anschließend mit Beschluss (Az: 7 TG 448/04) die Beschwerde der Stadt Baunatal gegen einen Beschluss des VG Kassel vom 20. Januar 2004 abgelehnt.

„Der Senat teilt .. die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass sich aus der im angefochtenen Beschluss ausführlich zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere aus dessen Urteil vom 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 – (NJW 2003, 3111 = DVBI. 2003, 1526) eine für Gerichte und Behörden gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG verbindliche – Auslegung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG dahin ergibt, dass für die Verbindlichkeit wirklicher oder vermeintlicher Glaubensgrundsätze allein die subjektive Glaubensüberzeugung des Einzelnen maßgebend ist. Es kommt deshalb weder darauf an, ob sich dem Koran überhaupt – wie die Antragstellerin meint ein Gebot entnehmen lässt, in der Öffentlichkeit stets Kopftuch zu tragen, noch darauf, mit welchen Grad von Verbindlichkeit ein solches Gebot von Autoritäten der jeweiligen religiösen Gemeinschaft umgesetzt wird. Mit Recht ist das Verwaltungsgericht auch davon ausgegangen, dass eine Überprüfung der subjektiven Glaubenshaltung auf ihre theologische Richtigkeit oder eine Bewertung ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen dem Staat verwehrt ist. Die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten individuellen religiösen Überzeugungen entziehen sich auch der Prüfung einer rationalen Nachvollziehbarkeit, die von der Antragsgegnerin letztlich angemahnt wird.

Zwar können Belange der Sicherheit, die ein von der Verfassung anerkanntes Rechtsgut von besonderem Rang darstellen, das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG einschränken, wobei allerdings unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Alternativen, etwa die Aufnahme biometrischer Daten anstelle eines Lichtbilds in einen Personalausweis, in Betracht zu ziehen wären (BVerwG, B. v. 24. Oktober 1990 – 1 B 98.90 Buchholz 402.02 PAuswG Nr. 3). Die Entscheidung hierüber obliegt jedoch dem Gesetzgeber, der in § 4 Abs. 6 Satz 1 des Passgesetzes vom 19. April 1986 (BGBl. 1 S. 537) in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 21. August 2002 (BGBl. 1 S. 3322) die Entscheidung über „Einzelheiten des Lichtbildes” einer durch das Bundesministerium des Innern im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt zu erlassenden Rechtsverordnung vorbehalten hat. In Art. 1 § 3 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung zur Reform pass- und personalausweisrechtlicher Vorschriften vom 3. Dezember 2001 (BGBl. 1 S. 3274) ist geregelt, dass das Lichtbild die Person im Halbprofil und ohne Kopfbedeckung zeigen müsse und „hiervon” die Passbehörde Ausnahmen zulassen könne. Das der Passbehörde bei der Anwendung dieser Vorschrift zustehende Ermessen ist, worauf der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2003 zutreffend hingewiesen hat, durch Nr. 6.2.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Passgesetzes vom 3. Juli 2000 (BAnz. S. 18859) dahin gebunden, dass für Angehörige von Religionsgemeinschaften und geistlichen Orden, die nach ihren Regeln gehalten sind, sich in der Öffentlichkeit nicht ohne Kopfbedeckung zu zeigen, Lichtbilder verwendet werden dürfen, die den Antragsteller mit der vorgeschriebenen Kopfbedeckung zeigen. Dasselbe gilt nach den Verwaltungsvorschriften für Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes, der Arbeiterwohlfahrt und des Diakonischen Werkes sowie dem Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband angeschlossener Schwesternschaften. Damit ist ein weit über den Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG hinaus reichender Ausnahmekatalog geschaffen worden, der das grundsätzlich fortbestehende Verbot der Verwendung von Kopfbedeckungen auf Passfotos stark einschränkt.

Angesichts dieser Relativierung des im Verordnungswege festgelegten Verbots durch die auf Verwaltungsvorschriften beruhende Verwaltungspraxis erscheint es auch dem Senat nicht vertretbar, an eine glaubhaft vorgebrachte individuelle religiöse Überzeugung, dass das Tragen einer Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit religiöse Pflicht sei, erhöhte Begründungsanforderungen zu knüpfen, zumal dann, wenn – wie im Islam – gar keine religiösen Autoritäten existieren, die solche Gebote mit allgemeinverbindlicher Wirkung festlegen können.

Nachtrag vom 13.06.2006: Dank an Too Much Cookies Network für die Fundstelle zur zweiten Verordnung zur Änderung passrechtlicher Vorschriften und weiteren Hinweisen.

Ekrem Senol – Köln, 12.06.2006

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