No-Go-Areas und No-Speak-Themes

22. Mai 2006 | Von | Kategorie: Leitartikel | Keine Kommentare |

Manchmal – und obwohl es einem auf den Fingerspitzen brennt – muss man sich doch zurückhalten und zunächst einmal abwarten, was die Tage so bringen. So verhält es sich bei mir bezüglich der so genannten „no-go-areas“ und dem Ãœberfall auf den türkischstämmigen Politiker Gyasettin Sayan. In stillen Momenten denkt man über diese und jene Entwicklung nach und kommt unweigerlich immer wieder zum selben Punkt. Einerseits wäre es zu gewagt. Andererseits liegt es auf der Hand, denke ich mir.

Ich sehe mich in Zeitungen um und suche nach Stellungnahmen. Ich möchte lesen, dass ein Herr Schäuble die Tat verurteilt und konkrete Maßnahmen in Angriff nimmt. Ich möchte lesen, dass ein Herr Bosbach bestürzt ist über die Tat oder dass ein Herr Schönbohm die Existenz von „no-go-areas“ akzeptiert. Leider finde ich nichts. Stattdessen werden die zu „Ausländerpolitikern“ degradierten üblichen Verdächtigen wie Frau Roth oder einige weitere SPD oder Grüne Politiker immer und immer wieder zitiert, als hätten die Ãœbrigen der deutschen Politiklandschaft ihre Münder zum „no-speak-area“ und einige Themen zu „no-speak-themes“ erklärt.

Ich erwarte Stellungnahmen eins nach dem anderen. Täglich, ohne Ende und auf der Titelseite: „Das läuft mit den Nazis falsch!„. Immer wiederkehrend und nach demselben Schema. Ich erwarte Pauschalisierungen, verdammt noch mal. Das Tragen von Springerstiefeln und die Vollglatze sollen verboten und aus unseren Schulen verdammt werden. Ich erwarte, obwohl die Täter noch nicht vor Gericht standen und verurteilt wurden, dass ein Exempel statuiert wird und die härteste aller Strafen gefordert wird. Ich verlange, dass Jugendämter sich einschalten und allen Braunen ihre Kinder wegnehmen, weil die Gefahr besteht, dass diese später wie ihre Eltern werden. Ich verlange ein Konzert gegen rechte Gewalt. Und ich verlange, dass Deutschland irgendwo ein stück Land kauft und die Täter dorthin ausweist. Letztlich verlange ich, dass Rechtsextreme erst ab 21 Jahren wählen dürfen nachdem sie einen Verfassungseid und einen Gesinnungstest abgelegt haben.

  1. Ihre Tochter bewirbt sich um eine Stelle in Deutschland. Sie bekommt jedoch ein ablehnendes Schreiben. Später erfahren Sie, dass eine Schwarzafrikanerin aus Somalia die Stelle bekommen hat. Wie verhalten Sie sich?
  2. Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammenleben. Wie reagieren Sie?
  3. Halten Sie es für einen Fortschritt, dass Ausländer und Deutsche in Deutschland kraft Gesetzes gleichberechtigt sind? Was sollte der Staat ihrer Meinung nach tun, wenn Deutsche dies nicht akzeptieren?

Aufgrund dieser Forderungen, könnte man mich locker und leicht für Dumm erklären, der nicht einmal von rechtsstaatlichen Grundsätzen Ahnung hat obwohl er ein JurBlog betreibt. Könnte man? Nein, könnte man nicht. Ich würde nämlich nichts anderes machen als die vermeintlich klügsten Köpfe unseres Staates zu imitieren. Die Köpfe, die von einem Volk gewählt wurde, dessen Bildungsgrad weit über dem Weltschnitt liegt.

Denn noch vor nicht allzu langer Zeit haben einige der Politiker, die heute schweigen, im Ehrenmordprozess ein Exempel statuieren wollen noch bevor die Täter vor Gericht standen und verurteilt wurden. Dieselben Stimmen haben, als es um das Sorgerecht des Kindes der getöteten Mutter ging, verlangt, dass das Kind der Familie nicht zurückgegeben wird ohne dass sich ein Gericht mit dem Thema befasst hat. Diese Politiker waren es auch, die wochenlang die Ausweisung von vermeintlichen Integrationsverweigerern gefordert haben in ihr „Heimat“-Länder, wo die Betroffenen weder geboren wurden noch gelebt haben. Auch haben diese Politiker, als es um die rechte Tat auf einen schwarzen in Dresden ging, sich auf einmal auf den Standpunkt gestellt, dass niemand verurteilt werden dürfe, so lange die Ermittlungen noch andauerten. Herr Schäuble spielte die Tat gar damit herunter, dass auch blonde und blauäugige Opfer sein könnten. Auch war es unser aller Innenminister, der die Anhebung des Zuzugsalters von Ehegatten auf 21 Jahre für eine geeignete Lösung für die Verhinderung von Zwangsehen hielt. Und noch so manche haarsträubende Stellungnahmen, deren abschließende Aufstellung aufgrund der Fülle unmöglich ist.

Aber zurück zum dem Punkt, an der ich immer wieder ankomme, wenn ich über die Entwicklungen der letzten Monate nachdenke (siehe hierzu auch die Allensbach-Analyse): Hätten sich unsere Politiker, als es um Einbürgerung, Sprachdefizite, Ehrenmorde oder Muslime allgemein ging, genauso sachlich verhalten, wie unser Herr Innenminister Schäuble es vor hat im Zusammenhang mit dem Angriff auf den türkischstämmigen Politiker (letzter Absatz), wären uns so manche rechtsextreme Angriffe erspart geblieben. Ein türkisches Sprichwort sagt: „Die Ziege hat Wein getrunken und ist in die Berge gegangen, um nach Wölfen zu suchen (vor lauter Übermut)“. Unsere Politiker haben in den letzten Monaten ihre gesamt Zeit damit verbracht, den Ziegen die Becher mit Wein zu füllen. Na denn, prost Deutschland, wo die Welt zu Gast bei Freunden ist.

Ekrem Senol – Köln, 22.05.2006

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