Urteilsverkündung im Verfahren „Rücknahme einer durch Täuschung erwirkten Einbürgerung“

9. Mai 2006 | Von | Kategorie: Leitartikel | Keine Kommentare |

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelte am Dienstag, 22. November 2005 die Verfassungsbeschwerde eines Beschwerdeführers, der sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband wendet.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts wird auf Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2005 am Mittwoch, 24. Mai 2006, 10:00 Uhr sein Urteil verkünden.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer stammt aus Nigeria. Nachdem seine Ehefrau bereits 1997 durch Einbürgerung deutsche Staatsangehörige geworden war, beantragte im November 1999 auch er seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Dabei gab er an, bei einer Firma in Hanau beschäftigt zu sein, und legte eine auf seinen Namen ausgestellte Bescheinigung der Firma über das Bestehen dieses Arbeitsverhältnisses vor. Am 9. Februar 2000 wurde er eingebürgert.

In einem in der Folgezeit gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren stellte sich heraus, dass er bei der Firma in Hanau nicht bekannt, sondern eine andere Person dort unter seinem Namen beschäftigt war. Im Februar 2002 nahm die zuständige Behörde daraufhin, gestützt auf § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes, die Einbürgerung des Beschwerdeführers zurück. Die Einbürgerung sei rechtswidrig gewesen, weil sie voraussetze, dass der Ausländer im Stande sei, sich und seine Angehörigen zu ernähren. Dies sei tatsächlich nicht der Fall gewesen. Da der Beschwerdeführer die Einbürgerungsbehörde durch Vorlage wissentlich falscher, entscheidungserheblicher Unterlagen über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses arglistig getäuscht habe, sei sein Vertrauen auf den Bestand der Einbürgerung nicht schutzwürdig. Der Beschwerdeführer habe auch derzeit keinen Anspruch auf Einbürgerung, da wegen der im Jahr 2001 erfolgten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe die Einbürgerungsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer weiterhin im Besitz der nigerianischen Staatsangehörigkeit sei, so dass er durch die Rücknahme seiner Einbürgerung nicht staatenlos werde. Sollte er tatsächlich staatenlos werden, stünde dies im Übrigen nicht im Gegensatz zum geltenden Recht, denn die Einbürgerung sei auf Grund arglistiger Täuschung vollzogen worden, so dass kein schutzwürdiges Vertrauen bestehe.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage des Beschwerdeführers blieb vor den Fachgerichten erfolglos. Das Verbot der Entziehung der Staatsangehörigkeit in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG sei als Reaktion auf die im nationalsozialistischen Staat praktizierte Aberkennung der Staatsangehörigkeit aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen entstanden; es solle gezielte Zwangsausbürgerungen verhindern. Den Fall der Rücknahme einer durch bewußte Täuschung erwirkten Einbürgerung habe der Verfassungsgeber nicht im Blick gehabt. In derartigen Fällen stehe daher Artikel 16 Abs. 1 GG der Rücknahme nicht entgegen. Dies gelte auch für den Fall eintretender Staatenlosigkeit. Neben dem Anliegen der Vermeidung von Staatenlosigkeit sei gleichermaßen auch der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu berücksichtigen. Auf die – im gerichtlichen Verfahren nicht geklärte – Frage, ob der Beschwerdeführer durch die Rücknahme der Einbürgerung staatenlos geworden ist, komme es daher nicht an.

Wortlaut des Artikel Art. 16 Abs. 1 GG: Art. 16 (Ausbürgerung, Auslieferung): (1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

Vorbringen des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 16 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG.

Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG verbiete die Entziehung der Staatsangehörigkeit. Die Annahme, dass die „erschlichene“ Einbürgerung durch Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG nicht geschützt sei, finde im Wortlaut der Bestimmung keinen Anhaltspunkt. Vielmehr werde die Staatsangehörigkeit hier generell gegen Entziehung geschützt. Die Einbürgerung könne auch nicht nach den allgemeinen Rücknahmevorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze zurückgenommen werden. Denn das Staatsangehörigkeitsgesetz enthalte speziellere Regelungen für den Verlust der Staatsangehörigkeit, die einen Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften ausschlössen. Darüber hinaus scheide eine Rücknahme der Einbürgerung auch deswegen aus, weil dies zur Staatenlosigkeit des Beschwerdeführers führen würde. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG verbiete ohne Einschränkung einen Verlust der Staatsangehörigkeit für den Fall, dass der Betroffene hierdurch staatenlos werde. Dies sei hier der Fall.

Ekrem Senol – Köln, 09.06.2006

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