Hier isch die Fahrkart‘!

14. Februar 2006 | Von | Kategorie: Leitartikel | Keine Kommentare |

In den letzten Tagen ist es mühselig geworden, über Muslime in Deutschland zu schreiben. Türkische muslimische Verbände schließen sich erstmalig zusammen und veranstalten eine gemeinsame Pressekonferenz, in der sie Gewalt in Zusammenhang mit den Karikaturen ablehnen und Muslime zur Besonnenheit aufrufen. Schäble dankt Erfogan für seinen mäßigenden Einfluss. Und was ist der Dank für Muslime, meist türkischer Herrkunft, in Deutschland?

  • Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach legte Ausländern ohne „ausreichende Verfassungstreue“ die Ausreise nahe. „Es kann nicht sein, dass ich mich entschuldigen muss für das deutsche Grundgesetz. Da muss die erste Frage sein: Zählen Sie zu denen, die Schmerzen empfinden, wenn sie vom Grundgesetz hören? Ja? Hier isch die Fahrkart‘! Der Kollege Innenminister Rech hat mir gesagt, mittlerweile haben wir von den hier lebenden Moslems 21 Prozent, die sagen, der Koran ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die 21 Prozent sollen gefälligst wieder weggehen. Das sag ich in aller Deutlichkeit, und da nehm‘ ich auch kein Blatt vor den Mund.“
  • Europa-Minister Willi Stächele hat Muslime, die Koran und Verfassung nicht für vereinbar halten, öffentlich zum Verlassen des Landes aufgefordert. „Wenn Migranten unter Hinweis auf ihre religiöse Ãœberzeugung die grundlegenden Prinzipien unserer Verfassung nicht respektieren, weil sie sie wegen ihrer Glaubensüberzeugung nicht respektieren können, dann wäre es in der Tat gut, wenn sie diesen Konflikt nicht auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland austragen würden“, sagte Bosbach.

Was bewegt Herrn Bosbach zu dieser Aussage? Was sind die Gründe für Herrn Stächele? Haben sich Muslime in Deutschland denn nicht bestmöglich in Zusammenhang mit den Karikaturen verhalten?

Zwangsheirat und Ehrenmorde, sind nur einige zusätzliche Themen, mit denen sich Muslime neuerdings täglich beschäftigen müssen, da es ein religiöses Problem sei. So müssen Muslime seit Wochen Fragen von Kollegen und Nachbarn beantworten, ob sie denn ihre Partner lieben oder zwangsverheiratet wurden. Nur weil eine Necla Kelek den Anspruch erhebt, für mich und alle anderen sprechen zu können und Herr Schily dies auch noch propagiert. Ich bedaure Frau Keleks Schicksal und fühle mit. Auch ist es wichtig, dass diese Themen angesprochen werden. Nur, wieso soll das die Zukunft anderer beeinflussen, bei denen Zwangsheirat kein Thema ist und war. Wieso soll die 18 jährige Ayse zu ihrer großen Liebe erst mit 21 ziehen können?

Herrn Schäuble interessiert es nicht, was Erkenntnisse von insgesamt 58 Migrationsforschern zutage fördern, die Autorinnen wie Necla Kelek, Ayaan Hirsi Ali oder Seyran Ates vorwerfen „reißerische Pamphlete“ geschrieben zu haben, „in denen eigene Erlebnisse und Einzelfälle zu einem gesellschaftlichen Problem aufgepumpt werden, das um so bedrohlicher erscheint, je weniger Daten und Erkenntnisse eine Rolle spielen.“ Wenn es darum geht, Ausländerrechte einzuschränken, sind Fakten, Zahlen oder wissenschaftliche Erkenntnisse nicht erwünscht. Außer die Zahl 21: Die Altersgrenze 21 für „Importbräute“ und die 21 %, die den Koran mit der Verfassung für unvereinbar halten.

Während Analysten die Proteste in Dänemark in Zusammenhang mit den Karikaturen auf die Gesetzesänderungen zu Lasten von Ausländern (Reduzierung der Sozialhilfe für Ausländer, faktische Unmöglichkeit des Nachzugs für ausländische Ehepartner, Eheschließung von Ausländern erst nach dem 24. Lebensjahr usw.) zurückführen, gehen deutsche Politiker, wenn auch harmloser, in dieselbe Richtung. Das dänische Beispiel zeigt, dass Integration so definitiv nicht fördert sondern gehemmt wird. Vielleicht wollen deutsche Politiker diesen Weg ja auch nur deswegen gehen, weil Rasmussens Partei seit dem Karikaturenstreit Stimmen hinzugewonnen hat. Das belegen jüngste Umfragen in Dänemark, was nicht überrascht. In der Politik ist es eine sichere Strategie, gegen Feindbilder vorzugehen, um Zustimmung bei der breiten Masse zu erhalten. Gibt es keine Feindbilder, so werden diese Geschaffen. Wie? Siehe oben!

Zugegeben, Kritik kam auch von vielen Seiten:

  • SPD (Wolfgang Derxler): „Stimmenfang am rechten Rand“ und „Stächele erschwert mit seinen Äußerungen eine vernünftige Integrationspolitik“.
  • FDP (Ulrich Noll): fordert „integrationsfeindliche Signale zu unterlassen“.
  • Grünen (Winfried Kretschmann) „Stächele fordert faktisch die Abschiebung von 21 Prozent der Muslime in Deutschland aufgrund einer Umfrage. Das ist rechtlich völlig ausgeschlossen und nur Stimmungsmache übelster Art.“

Sicher stimmen die Reaktionen der Nicht-CDU- und -CSU’ler positiv. Dennoch weis ich, dass es dann, wenn es darauf ankommt, nur die Opposition genug Courage zeigen wird, wirklich dagegen zu halten (siehe Abstimmung in Baden-Württemberg zum Gesinnungstest), was, wie immer, nicht ausreichen wird.

Eine akute Unlust macht sich bei mir daher breit. Ein ungutes Gefühl aus der rechten Magengegend weitet sich zunehmend aus, überdeckt den mittleren und linken Flügel und bereitet mir übelste Bauchschmerzen. Schlimmer werden meine Bauchschmerzen, wenn ich daran denke, was die Stoibers, Becksteins, Bosbachs und Rechs von all denjenigen erwarten, die sich, sei es wegen Sprachproblemen oder weil sie neu eingereist sind, schwer tun mit Integration, wenn die es immer wieder schaffen, dass – ohne überheblich klingen zu wollen – sogar ich teilweise resigniere. Ich, die Dritte Generation. Ich, der hier geboren und aufgewachsen bin. Ich, der bereits eingebürgerte. Ich, der deutsch in Wort und Schrift kann. Ich, der Demokrat und zugleich Moslem bin. Ich, der „Du bist Deutschland“ bin.

Motiviert die Menschen! Mir könnt ihr nur metaphorische Magenschmerzen bereiten. Ich bin Deutschland und weis, dass ich auch dann noch Deutschland sein werde wenn Herren wie Stoiber und Schäuble ihre Posten längst geräumt haben. Aber so vielen anderen entzieht ihr ihre Luft zum Atmen. Die Luft, die sie brauchen, um deutsch zu lernen. Die Luft, um tief Luft zu holen und sich zu besinnen anstatt auf die Straßen zu gehen, nur weil sich einige einen provokativen Scherz erlaubt haben. Führt sie an die deutsche Staatsbürgerschaft heran! Ihre Stimmen sind euch, sofern sie die Einbürgerungstests bestehen, sicher bei der nächsten Wahl.

Ekrem Senol – Köln, 14.02.2006

Keine Kommentare möglich.

 

WichtigeLinks

JurBlogEmpfehlungen

Blog'n'Roll