Die relative Wahrheit
17. Dezember 2005 | Von E. S. | Kategorie: Recht | Keine Kommentare |Aus aktuellem Anlass (VG Düsseldorf Beschluss Az.: 1 K 4791/03) möchte ich, nein muss ich erneut auf das Bundesamt für Verfassungsschutz eingehen: Eine islamische Religionsgemeinschaft wehrte sich vor Gericht jahrelang gegen „unwahre“ Veröffentlichungen in Verfassungsschutzberichten. Das Land NRW hatte in der Publikation „Islamismus in Nordrhein-Westfalen – Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke“ vom Dezember 2001 unter anderem Veröffentlicht:
- in einem Papier der islamischen Gemeinschaft zu den grundlegenden Aufgaben der Führung heißt es: „Die islamische Gemeinschaft ist ein Mittel, das dem Ziel dient, die Gesellschaft zu islamisieren“.
- Auf der Jahreshauptversammlung der IGMG am 11. Juni 1994 in Antwerpen wurde der Brandanschlag auf ein Hotel in Sivas, in dem ein Treffen von alevitischen, prowestlichen Künstlern und Journalisten stattfand, frenetisch gefeiert.
- Ein IGMG Funktionär kommentierte die Ereignisse von Sivas in einer Sendung des WDR vom 19. August 1994: In Sivas hätte sich der Islam durchgesetzt.
- Die IGMG hätte in einem Jugendprogramm die Jugend im Sinne der IGMG beschrieben und ihr die angeblich vom Imperialismus gewünschte Jugend gegenübergestellt.
- In dem Jugendprogramm seien folgende Sätze enthalten: Die nach dem Islam Verbotenes nicht tut…Die das Gebot des heiligen Krieges durchführen kann…Die ihre sexuellen Gefühle unterdrücken kann…Die den Angriff gegen die Religion als Demokratie bezeichnet.
- Alle „Hocas“ (Religionslehrer) in den IGMG-Vereinen würden verpflichtet, die Milli Gazete zu abbonieren.
- Von demokratiefeindlichen und antijüdischen Aussagen hätte man sich nicht ausdrücklich distanziert.
- Der IGMG Vorsitzende Erbakan habe in einem Gespräch mit der Zeitung „Die Welt“ (veröffentlicht am 2. Oktober 2001) gesagt, man habe das Sagen bei dem Satellitensender Kanal 7 und der Tageszeitung Milli Gazete.
Acht Punkte, die mit dazu führen, dass die islamische Religionsgemeinschaft in den Verfassungsschutzberichten als „gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“ abgestempelt und somit in der Öffentlichkeit diffamiert wird.
Vor dem VG Düsseldorf wurden nach drei jährigem Rechtsstreit diese acht Punkte wie folgt für erledigt erklärt:
- Hinsichtlicht der im Klageantrag mit 4. und 5. bezeichneten Punkte räumt das beklagte Land ein, dass es sich um eine „falsche Übersetzung“ gehandelt hat, die nicht mehr verwendet werden wird.
- Im Rahmen der Erörterungen ergänzen die Vertreter des beklagten Landes ihre Erklärung dahin: Wir räumen ein, dass die hinsichtlich der Punkte 2. und 3. genannten Angaben in der Broschüre „Islamismus“ nicht zugetroffen haben.
- Hinsichtlich des Punktes 7. erklären die Vertreter des beklagten Landes: „Es hat in der Tat ausdrückliche Distanzierungen gegeben…“
- Hinsichtlich des Punktes 1., 6. und 8. erklären die Vertreter des beklagten Landes: „Die dort umschriebene Behauptung wird das beklagte Land nicht mehr wiederholen…“
Auf der Internetseite des Bundesamtes für Verfassungsschutz steht unter „wir über uns“, die ich zwischen den Zeilen kommentieren möchte, folgendes:
„Damit der Bürger darauf vertrauen kann, dass der Verfassungsschutz sich an seinen Auftrag hält, wird er auf mehreren Ebenen kontrolliert:
- durch den parlamentarisch verantwortlichen Innenminister,
- durch die Parlamente des Bundes und der Länder,
- durch den Bundes- bzw. die Landesbeauftragten für den Datenschutz.
Diese Kontrollen werden ergänzt durch die Möglichkeit gerichtlicher Nachprüfung, die betroffene Bürger verlangen können. Und in einer freien Gesellschaft selbstverständlich: die kritische Kontrolle durch die Massenmedien Presse, Rundfunk und Fernsehen.“
Leider ist in Deutschland von einer kritischen Kontrolle durch die Medien keine Spur. Jährlich wird über die Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichtes in den 20:00 Uhr Nachrichten berichtet. Fälle, in denen festgestellt wird, dass der Verfassungsschutz offensichtlich die Unwahrheit verbreitet hat, werden dagegen nicht zur Kenntnis genommen. Bis auf einige wenige islamische Internetseiten und die Betroffene Organisation selbst, hat keine Zeitung über den Beschluss des VG Düsseldorf berichtet.
„Alles in allem kann man sagen, dass der Verfassungsschutz eine der bestkontrollierten Institutionen unseres Staates ist.„
Höchst fraglich ist meines Erachtens, wer wen kontrolliert. Auf die Auswirkungen der Verfassungsschutzberichte wurde (hier) bereits vor Wochen eingegangen. Da geriet die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) in die Kritik, allein mit der Begründung, sie habe eine Person als Experten empfohlen, der in den Verfassungsschutzberichten aufgeführt ist. Dieser Kritik hatten sich neben vielen anderen auch Kristina Köhler (CDU), Ulrich Speck (Die Zeit), Clemens Wergin (Der Tagesspiegel) angeschlossen. Insbesondere Herr Speck und Herr Wergin sind meines Erachtens, aufgrund ihrer bisherigen Veröffentlichungen, gefordert und können mit gutem Beispiel vorangehen und, nicht nur der dem Journalisten gebührenden Objektivität wegen, über den o. g. Beschluss des VG Düsseldorf berichten. Denn dieser Beschluss zeigt eindeutig, dass nicht alles, was in den Verfassungsschutzberichten steht, der Wahrhiet entspricht und legt folglich auch die Vermutung nahe, dass in den Verfassungsschutzberichten möglicherweise Personen und Organisationen zu Unrecht aufgeführt werden. Frau Köhler ist dagegen gefordert zu handeln, weil sie im Parlament sitzt und ein Mitglied des Organs ist, die verpflichtet ist, den Verfassungsschutz mit zu kontrollieren (s.o.).
Unstreitig ist, dass Verfassungsschutzberichte eine sehr große Rolle in der Meinungsbildung der Öffentlichkeit einnehmen. Vor allem weil die Inhalte von den Medien sehr häufig und meist ohne bösen Hintergedanken als „wahr“ empfunden und ohne Hinterfragung übernommen werden. Mahatma Gandhi (1869 – 1948 ermordet), sagte einmal: “…Wir beziehen uns auf eine relative Wahrheit, auf das, was uns als Wahrheit erscheint…“
So passiert es häufig, dass Personen und Organisationen in den Medien sehr leicht als verfassungsfeindlich abgestempelt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, ohne dass konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht bestätigen.
„Er tut nicht, was er will, sondern nur was er in unser aller Interesse muss und darf. Der Verfassungsschutz beschränkt nicht die Freiheit der Bürger. Er schützt sie.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Interview des Focus Magazins mit Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hinweisen, der zu Recht kritisiert, dass zwischen islamischem Terrorismus und Fundamentalismus nicht unterschieden und daher Gruppierungen ausgegrenzt und so in die terroristische Richtung gedrückt würden. Diese Fehleinschätzung sei für unsere Sicherheit gefährlich.
„Deshalb sind seine Arbeitsergebnisse auch offen nachzulesen: in dem jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht und in zahlreichen Publikationen der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz“
Ekrem Senol – Köln, 17. Dezember 2005